In Indien gibt es eine perfide Form der Zwangsarbeit: Beim sogenannten Sumangali wird Mädchen Geld für ihre Mitgift versprochen. Stattdessen gibt es Zwölf-Stunden-Schichten und Misshandlungen. Auch deutsche Firmen sollen davon profitieren.
(aus Hinz&Kunzt 251/Januar 2014)
Sie versprechen den Eltern: Wir passen gut auf Ihre Tochter auf. Sie bekommt eine gute Ausbildung, drei warme Mahlzeiten am Tag und nach drei oder vier Jahren eine große Einmalzahlung“, sagt Maheshwari Murugan. Die indische Menschenrechtsaktivistin berichtete in Hamburg von den Zuständen in ihrer Heimat Tamil Nadu im Süden Indiens. Dort arbeiten in Spinnereien rund 200.000 Mädchen unter unzumutbaren Bedingungen.
Statt ausgebildet zu werden, müssen die 14- bis 18-jährigen Mädchen im Schnitt zwölf Stunden täglich und auch oft mitten in der Nacht arbeiten. Weil die Garnmaschinen rund um die Uhr laufen, bleibt fürs Essen oft keine Zeit. In den Fabriken ist es stickig, laut und staubig. Viele der Mädchen sind nach zwei Jahren körperlich am Ende. Verbale und körperliche Misshandlungen der männlichen Aufseher sind an der Tagesordnung. Die Mädchen erhalten monatlich nur ein Taschengeld von circa 10 Euro. Und hoffen auf die versprochene große Einmalzahlung am Ende. Doch wer die „Ausbildung“ vor Ablauf von vier Jahren abbricht, bekommt: nichts.
„Es handelt sich um eine besonders perfide Form von Zwangsarbeit bei Kindern“, sagt Gisela Burkhardt, Vorstandsvorsitzende der Frauenrechtsorganisation Femnet. Ihre Organisation hat zusammen mit 20 lokalen Organisationen Maheshwari Murugan und Anita Cheria eingeladen. Auf einer 14-tägigen Rundreise durch Deutschland erzählen sie von einer hierzulande wenig bekannten Form der Ausbeutung indischer Arbeiterinnen: dem sogenannten Sumangali-Prinzip. Sumangali bedeutet wörtlich übersetzt „glückliche Braut“. Die Mädchen werden mit einer großen Einmalzahlung am Ende einer mehrjährigen „Ausbildung“ geködert – umgerechnet zumeist zwischen 400 und 600 Euro. Damit soll die kostspielige Mitgift gezahlt werden, für die in Indien die Familie der Braut zuständig ist. Zwar ist die seit 1961 gesetzlich verboten, wird vielerorts jedoch noch immer praktiziert.
„Tatsächlich erhalten nur 10 bis 15 Prozent aller Mädchen das versprochene Geld“, sagt Anita Cheria. Nicht nur, dass viele unter den Strapazen zusammenbrechen – die aus armen Verhältnissen stammenden Mädchen besitzen oft kein Konto, auf das das Geld überwiesen werden könnte und stünden nach vier Jahren härtester Arbeit ohne einen Cent da.
Laut Femnet profitieren auch deutsche Unternehmen von Sumangali: Otto und Ernstings Family würden von einer Nähfabrik beliefert, die ihr Garn von einer Spinnerei bekommt, die „ihre Arbeitskräfte teilweise mithilfe des Sumangali-Systems rekrutiert“. Die Forderung von Femnet: Herstellung von Transparenz. Veröffentlichung der Namen aller Lieferanten entlang der Lieferkette und von Prüfberichten. Unternehmen dürften kein Garn von Spinnereien kaufen, die Sumangali praktizieren.
Thomas Voigt, Unternehmenssprecher von Otto, ist „überrascht“, auf diese Art an den Pranger gestellt zu werden. „Otto ist seit Jahren engagiert, was die Verbesserungen der Arbeitsbedingungen anbelangt“, sagt er. Die Fabrikbesitzer müssten sich vertraglich verpflichten, nicht nach dem Sumangali-Prinzip zu arbeiten, das gelte auch für die Zulieferer. Noch sei Otto trotz Anfrage bei Femnet nicht mitgeteilt worden, um welche Firma es sich handle. „Sobald wir es wissen, werden wir Konsequenzen ziehen“, so Voigt. Das könne bedeuten, dass die Fabrik oder die zuliefernde Spinnerei ihre Arbeitsbedingungen verändert, es könne aber auch bedeuten, dass man sich von dem Fabrikbesitzer trennen müsse. „Eine Mitarbeiterin ist vor Ort.“ Vor allem gehe es aber darum, das Thema grundsätzlich anzugehen. Otto sei deshalb Mitglied in einer Initiative, die Öffentlichkeitsarbeit in den Dörfern betreibe. Nach dem Motto: „Lasst eure Kinder nicht zu diesen Bedingungen arbeiten!“
Gisela Burkhardt möchte nicht immer wieder auf Einzelfälle verweisen, sie fordert grundlegend Transparenz – und von Verbrauchern in Deutschland, dass sie bewusst einkaufen. „Die Verbraucher sollten auf Gütesiegel zum fairen Handel achten. Es ist eine Schande, dass ein T-Shirt bei Primark so wenig kostet wie eine Tasse Kaffee.“
Text: Simone Deckner