Die US-Band We Are Augustines fiel uns im vergangenen Musikjahr 2012 besonders auf: weil ihre Musik uns mitriss und weil wir berührt waren von ihrer Geschichte. Viele Songs handeln von James, dem obdachlosen Bruder des Sängers, der Selbstmord beging.
(aus Hinz&Kunzt 239/Januar 2013)
Sie klingen ein bisschen so, als hätten Bruce Springsteen und U2 gemeinsame Sache gemacht: rockig, geradlinig, euphorisch. Live spielen die drei Musiker von der Band We Are Augustines jedes Mal so, als hinge ihr Leben davon ab. Was es gewissermaßen auch tut.
Eigentlich war alles vorbei. Dabei hatte es so gut angefangen: Jede Menge guter Songs trugen der Bassist Eric Sanderson und der Sänger und Gitarrist Billy McCarthy mit sich herum, die nur darauf warteten, auf CD gebrannt zu werden. Doch dann zerbrach die Band, in der die beiden spielten, als ihre Plattenfirma sie nicht so unterstützte, wie es nötig gewesen wäre. Streitigkeiten unter den genervten Bandmitgliedern taten ein Übriges. „Wir hatten damals eine sehr schwierige Zeit in unserem Leben“, sagt Eric, als wir ihn bei einem Tourstopp im Schanzenviertel treffen. Billy musste leider absagen, die Stimme war fast weg, musste für den Auftritt geschont werden. „Wir waren so verzweifelt über die Trennung und dachten, wir seien als Musiker erledigt“, erzählt Eric. Statt vor jubelnden Fans zu stehen, wie sie sich das erträumt hatten, verdingten sich die beiden Freunde als Kellner oder standen für sechs Dollar in der Stunde als Barkeeper hinter der Theke.
Es sollte noch schlimmer kommen: Eines Tages erhielt Billy einen Anruf aus einem Krankenhaus in Kalifornien. Sein jüngerer Bruder James, der an Schizophrenie litt, hatte Selbstmord begangen. Fünf Jahre hatte er zuvor im Gefängnis in Isolationshaft gesessen, weil er einen Mitarbeiter einer Notunterkunft angegriffen hatte. James lebte seit seinen Teenagerjahren auf der Straße, nahm Drogen und verlor durch seine Krankheit den Anschluss an die Gesellschaft. Eric holt einmal tief Luft: „Man kann sich vorstellen, was Isolationshaft schon aus Menschen ohne psychische Probleme macht, aber für James muss es noch schlimmer gewesen sein.“ Er hat viel mit Billy über James gesprochen und erzählt an dessen Stelle: „Er hatte es nach langen Kämpfen irgendwann geschafft, James in eine geschlossene Klinik einweisen zu lassen. Dann passierte irgendetwas, wovon wir nicht genau wissen, was es war. Klar war nur: Er dachte, er müsste wieder zurück ins Gefängnis gehen. Da hat er sich umgebracht.“
Für Billy ist es nicht die erste persönliche Katastrophe: Auch seine Mutter war an Schizophrenie erkrankt, auch sie lebte zuletzt auf der Straße. Sie brachte sich um, als Billy 19 und sein Bruder James elf Jahre alt waren. Beide Brüder lebten bereits in Pflegefamilien, weil die Mutter sich nicht um sie kümmern konnte. Über ihren Tod konnte Billy lange nicht schreiben. Doch jetzt, nachdem auch noch James gestorben war, zog er sich zurück und begann an neuen Songs zu arbeiten. Das Stück „Book of James“ handelt, wie danach viele Lieder, von seinem Bruder. Darin heißt es: „Er ging die Straße hinunter / am 99-Cent-Laden und den Mülltonnen im Hinterhof vorbei / und er fing an zu singen / über die Heuschrecken und die kleinen Straßen, wo wir als Kinder gespielt haben / Ich schätze, entweder du gehst irgendwo hin, oder du endest nirgendwo.“ Eric sagt: „Dieser Song änderte alles für uns.“
Für Eric und Billy war klar, dass sie weitermachen, eine neue Band gründen mussten. Sie hatten etwas zu erzählen. Billy sagte damals: „Jemand muss darüber sprechen, womit Obdachlose und psychisch Kranke in unserem Land zu kämpfen haben. Jemand muss für sie einstehen, weil sie sich oft nicht mehr selbst verteidigen können.“
„Rise Ye Sunken Ships“ ist trotzdem kein Depri-Album geworden. Das liegt entscheidend an der energiegeladenen Musik, die Billy, Eric und ihr neuer Schlagzeuger Rob Allen spielen. Es gehe nicht darum, in der Vergangenheit festzuhängen. Sondern darum, dankbar zu sein für die Gegenwart, sagt Eric: „Wir erleben auf unseren Konzerten, dass sich die Menschen mit unseren Songs verbunden fühlen. Sogar hier in Europa, auf einem ganz anderen Kontinent. Das ist ziemlich außergewöhnlich. Ich bin dankbar und demütig.“
Text: Simone Deckner
Foto: Dmitrij Leltschuk
„Rise Ye Sunken Ships“ ist erschienen bei Oxcart Records (EMI).