Bei Poetry Slams werden junge Talente bejubelt oder ausgebuht
(aus Hinz&Kunzt 133/März 2004)
Poetry-Slams sind die ideale Gelegenheit für junge Talente, ihre Werke an die Öffentlichkeit zu bringen. Veronika Pohl und Johanna Langmaack nahmen die „Slamburg Hamburg“ unter die Lupe.
Die Meute ist hungrig. Renner auf der literarischen Speisekarte heute Abend ist alles, was mit einer gehörigen Portion Humor zubereitet wurde: Die Stimmung kocht, das Publikum will unterhalten werden. In fünf Minuten versuchen die Teilnehmer des Poetry-Slams, veranstaltet im Kiez-Club „Molotow“, mit ihren Texten die Gunst des Publikums zu erlangen.
Und das erweist sich als schwierige Aufgabe. Im dunklen, verrauchten Kellerraum vollbringen die Dichter ein wahrhaftiges Kunststück. Sie müssen Literaten, Komiker und Performer in einem sein. Denn da unten sitzt kein andächtig lauschendes, biederes Publikum, das höflich schmalzlockigen Literaten applaudiert – es sind gnadenlos ehrliche Zuhörer, die ihre Meinung mit aller Begeisterung, aber auch Härte kundtun. Es wird dazwischengerufen, gejubelt, gebuht; es herrscht totale Meinungsfreiheit. Das Publikum ist es auch, das entscheidet, ob der Künstler nach Ablauf der fünf Minuten noch länger auf der Bühne bleiben darf oder lieber schon vorher abbrechen sollte.
„Das ist relativ erbarmungslos“, sagt Franka Winter. Sie erscheint sehr selbstbewusst und resolut im Gespräch. Aber an diesem Abend betritt sie mit schlotternden Knien die Bühne, noch nicht ahnend, was ihr der Auftritt bringen wird. Und ihr zittern die Hände bei dieser Herausforderung so sehr, dass sie ihre Notizblätter nicht stillhalten kann. Schon seit ein paar Jahren überlegt die 22-jährige Soziologie-Studentin, mal an einem Poetry-Slam teilzunehmen. Heute – ganz spontan – macht sie es. Uschi und Horst sind die Protagonisten ihrer tragikomischen Geschichte. Uschi ist mit Horst verheiratet, verachtet ihn nach mittlerweile 35 Jahren Ehe aber so sehr, dass sie ihn in Gedanken nur noch den „Fettsack“ nennt. In ihrem festgefahrenen Alltag herrscht zwischen den beiden enorme emotionale Kälte, die Franka sehr detailliert und zynisch aufs Korn nimmt.
Auf das Publikum wirken die Situationen – nach dem ersten Schock über die recht unbarmherzige Beschreibung dieser verkorksten Charaktere – urkomisch. Ein Erfolg für Franka: Ihre Geschichten von „Uschi und dem Fettsack“ begeistern die Zuhörer. Sie wollen Franka nach den fünf Minuten gar nicht von der Bühne gehen lassen. Zahlreiche „Weiter!“- und „Mehr!“-Rufe später trägt sie noch eine Geschichte vor. Damit hat sie mehr Glück als ein paar ihrer Mitstreiter, die einen recht harschen Umgang von Seiten des Publikums hinnehmen müssen.
Besonders einen jungen Künstler trifft es schwer, der sich nicht an die Regeln halten will. Die Meinung seiner Zuhörer scheint den jungen Mann in den Turnschuhen und braven Stoff-Baggys wenig zu interessieren. „Langweilig!“ kommt es schon nach zwei Minuten aus der einen Ecke, „Aufhören! Stopp!“ aus der anderen – doch er fährt fort. „Seid doch nicht so!“ Und weiter geht’s, allen Buhrufen zum Trotz. Nach fünf Minuten erfolglosem Gegenanbrüllen ist das Publikum hörbar genervt. Dann, endlich, kann auch er sich nicht mehr gegen das Pfeifkonzert durchsetzen. Die Meinung des Publikums spiegelt sich dann auch in der Wertung der Jury wieder. Ein Juror zieht ihm wegen Penetranz sogar einen ganzen Punkt ab, sodass er insgesamt nur 9,9 Punkte erreicht. Das schlechteste Ergebnis des Abends.
Die Jury ist übrigens eine der Besonderheiten dieses Slams, da es sich nicht um qualifizierte Juroren handelt, sondern um willkürlich von den Slam-Moderatoren Tina Uebel und Hartmut Pospiech ausgewählte Personen. Fünf an der Zahl, müssen sie jeden Teilnehmer nach Ablauf der Zeit bewerten. 10 Punkte sind das Maximum an Zustimmung, 0 Punkte eine klare Absage an den Autoren. Der Künstler mit den meisten Punkten – also maximal 50 – gewinnt.
[BILD=#poetry2][/BILD]Wer denkt, dass Punkte verteilen ein leichter Job ist, irrt jedoch. Auch als Juror kommt man zuweilen ins Schwitzen, denn einen literarischen Text zu benoten fällt schwer. Unabhängig von der Begeisterung des Publikums hat die Jury das letzte Wort und muss diese Wertung vertreten. Jury Mitglied Quen, 39, hat kein Problem damit, wenn das restliche Publikum nicht immer mit seiner Wertung zufrieden ist. Obwohl er die Kunst des Reimens besonders schätzt und Gedichte deshalb schwerer zu werten findet als Kurzgeschichten, versucht er seinem Gefühl nach fair zu sein. Für die Jury volontiert hat er, da er gerne Input geben und weiterhelfen möchte. Zudem haben die Künstler sein Mitgefühl, weil er selber schreibt und es persönlich für schwer hält, ohne Erfahrung vor 250 oder mehr Leute zu treten und sich beurteilen zu lassen.
Franka steht der Bewertung zwiespältig gegenüber. Einerseits schätzt sie die ehrliche Rückmeldung, die der Vortragende dabei von anderen Menschen bekommt, denn damit verändere sich das Verhältnis zum eigenen Schreiben. „Aber andererseits ist es natürlich schwer, wenn man nicht den Geschmack trifft. Denn das heißt ja nicht, dass es schlecht ist!“ Im Molotow zum Beispiel haben ernstere Werke wenig Chancen, bei der Jury zu punkten. „Das ist leider beim Poetry-Slam so: Nur ganz bestimmte Stile können Erfolg haben und andere werden ausgebuht“, erkennt Franka ganz nüchtern. Die Härte der Urteile ist durch den Aufbau des Slams bedingt, meint sie.
Gerade im Hinblick auf kreatives und künstlerisches Schaffen eine eher heikle Angelegenheit, für die Juror Quen nur eine Art „Klappometer“ als Alternative sieht, bei der nach der Lautstärke des Applauses geurteilt wird. Franka kann sich vorstellen, dass ihre Werke bis auf weiteres in ihrer Schreibtischschublade verschwunden wären, hätte sie ein negatives Feedback bekommen. „Es kann einen sicher sehr zurückwerfen, wenn es negativ ausfällt, denn das ist sehr hart. Aber wenn es positiv ausfällt, kann es auf jeden Fall ein Ansporn sein.“
Auf Franka trifft Letzteres zu. Mit 42 Punkten macht sie den zweiten Platz und bekommt dafür die silberne Pony-Schleife. Nach der Veranstaltung wird sie sogar eingeladen, am letzten Sonntag im März auf der geschlossenen Lesung „Kaffeesatz-Lesen“ in der „Baderanstalt“ vorzutragen. Obwohl es nicht ihre Ambition ist, Schriftstellerin zu werden, verschließt sie sich nicht vor weiteren Entwicklungen: „Wahrscheinlich lese ich noch ab und zu auf einem Slam. Wenn dann wieder so eine Reaktion kommt: Vielleicht geht’s doch so weiter!“
Potenziellen Mit-Slammern empfiehlt Franka, sich die unterschiedlichen Poetry-Slams anzuschauen, bevor man sich auf die Bühne begibt. Denn die Stimmung der Veranstaltung, die Vorlieben des Publikums, all das kann nach Veranstaltungsort variieren. Die Betty Ford Klinik beispielsweise veranstaltete im Winter einen eigenen Slam-Marathon, und auch im Hamburger Umland sind Poetry-Slams zu finden, so geschehen in Reinbek im Dezember. Südlich der Elbe soll Heimfeld in Anlehnung an den Molotow-Slam fortan regelmäßig zum „Reimfeld“ werden. Wer auf den Geschmack gekommen ist und die Slamburg im Molotow einmal live erleben möchte, kann das jeden letzten Dienstag im Monat tun. Wir können dies nur empfehlen. Denn satt essen kann man sich an Poetry-Slams einfach nicht.