Große Wohnungsunternehmen enteignen: Ist das die Lösung? Die Initiative „Hamburg enteignet“ erklärt im Interview, warum Mieter:innen davon profitieren könnten – und der Weg dahin weit ist.
Hinz&Kunzt: Ihre Initiative will „profitorientierte Unternehmen“ enteignen, die mehr als 500 Wohnungen in Hamburg besitzen, und deren Wohnraum „vergesellschaften“. Was bedeutet das?
Marie Kleinert: Wir wollen die Mieten dauerhaft günstig halten. Wir wollen deshalb eine Anstalt öffentlichen Rechts als Eigentümerin der Wohnungen schaffen, die demokratisch verwaltet wird. Würde die Stadt die Wohnungen übernehmen, bestünde die Gefahr, dass diese bei einem Politikwechsel verkauft werden – was anderswo ja schon geschehen ist.
Warum 500? Ihr Berliner Vorbild hat die Grenze bei 3000 Wohnungen gezogen.
Kleinert: In Hamburg ist das Wohneigentum anders verteilt. Wir wollen einen Hebel schaffen, mit dem wir 15 bis 20 Prozent des privaten Wohnungsbestands erreichen. So würden rund 100.000 Wohnungen sofort günstiger werden. Die Baugenossenschaften und die Saga schließen wir ebenso von Enteignungen aus wie gemeinnützige Stiftungen.
Wie kommen Sie auf die Zahl 100.000?
Maura Weigelt: Das ist eine Schätzung. Wir haben in Deutschland leider einen undurchsichtigen Wohnungsmarkt, weil die Grundbücher nicht öffentlich einsehbar sind.
Immobilienverbände sagen, die Unternehmen brauchen Gewinne für Instandhaltung und Klimaschutz. Wollen Sie darauf verzichten?
Kleinert: Bei einer Vergesellschaftung würde man ja das Geld sparen, das jetzt in Aktionär:innentaschen landet oder als Unternehmensgewinn verloren geht.
Weigelt: 2021 haben Aktiengesellschaften mindestens 160 Euro pro Wohnung monatlich als Dividende
ausgeschüttet.
Bis 1960 hat der Staat die Höchstmiete festgeschrieben. Wäre das nicht die bessere Lösung?
Weigelt: Das ist schwer durchzusetzen, weil es massiven Druck von der Immobilienlobby auf die Politik gibt. Fest steht, dass gewinnorientierte Unternehmen die Preise nach oben treiben. Deshalb wollen wir die Logik des freien Wohnungsmarktes verändern, indem wir die Wohnungen diesem Markt dauerhaft entziehen.
Wir brauchen auch Neubau. Die Wohnungswirtschaft sagt, wegen gestiegener Baukosten und Zinsen lohne sich der nicht mehr. Gilt das für eine Anstalt öffentlichen Rechts nicht?
Weigelt: Wir sagen nicht, dass unsere Initiative alle Probleme löst. Und auch andere können bauen. Wir sind für gute Ideen offen, etwa dass Bauland schneller und günstiger an Genossenschaften oder die Saga vergeben wird.
Kleinert: Das Problem heute ist ja: Das, was gebaut wird, ist oft im Luxussegment. Das hilft vielen Normal- und Geringverdienenden nicht.
Hamburg müsste sich für die Umsetzung Ihrer Ideen stark verschulden.
Weigelt: Das ist nicht entschieden. Wie hoch die Entschädigung der Unternehmen sein müsste, ist unter Jurist:innen umstritten und muss politisch und gesellschaftlich ausgehandelt werden.
Der Senat hat Ihre Initiative dem Hamburgischen Verfassungsgericht vorgelegt, weil er rechtliche Bedenken hat. Wie geht es jetzt weiter?
Kleinert: Wir müssen vermutlich ein Jahr auf die Entscheidung warten. Die Zeit nutzen wir, um für unsere Ideen zu werben. Wir merken am Zulauf, dass das Interesse wächst.
Gab es zuvor Gespräche mit Senat oder Regierungsparteien?
Kleinert: Nein, zu keinem Zeitpunkt.
In Berlin hat Ihr Vorbild eine breite Debatte entfacht, in Hamburg spricht kaum jemand über Enteignungen.
Weigelt: Wenn wir mit Mieter:innen sprechen, bekommen wir viel positive Resonanz. Uns ist klar, dass wir einen langen Weg werden gehen müssen. Wir mussten die Mieter:innenbe-wegung in der Stadt ja erst mal wiederbeleben. Ursprünglich hatten wir auf einen Volkentscheid 2025 gehofft. Das wird nicht mehr zu schaffen sein.
Neuer Anlauf in Berlin