Christoph Heinrich, Leiter der Galerie der Gegenwart, verabschiedet sich zum zehnjährigen Museums-Jubiläum mit einer Präsentation hauseigener Werke
(aus Hinz&Kunzt 176/Oktober 2007)
Oh – das geht nicht! Christoph Heinrich stoppt mitten im Laufen und geht in die Hocke: Auf dem Boden liegt ein loses Kabel, nicht mehr festgeklebt, man könnte gut darüber stolpern. Da muss er gleich mal in der Technik Bescheid sagen. Heinrich (47) leitet die Galerie der Gegenwart, den Erweiterungsbau der Hamburger Kunsthalle. Vollgestopft mit Kunst des 20. Jahrhunderts; ein dreistöckiger Sandsteinklotz zwischen Hauptbahnhof und Alster.
Und los geht es durch die Stockwerke: „Das ist hier noch alles eine Baustelle“, entschuldigt er das Durcheinander, schließt Türen auf, schließt Türen ab. Zeigt auf Bilder und Skulpturen. Namen purzeln. Manches hängt schon an seinem Platz, anderes muss noch ausgepackt werden. Denn die Galerie der Gegenwart feiert ihr zehnjähriges Bestehen, und das soll mit der Ausstellung „Weltempfänger“ gebührend begangen werden. Im obersten Stock wird Malerei zu sehen sein, im mittleren sind es Videofilme und Fotoserien, die sich mit dem Thema Archivieren und Sammeln beschäftigen. Unten im fensterlosen Sockelgeschoss dagegen wird es kleine Künstlerkabinette geben: für Gerhard Richter, Joseph Beuys, Andy Warhol. Auf den Erwerb einer Reihe von Siebdrucken mit Warhols berühmten Suppendosen ist er besonders stolz.
Die Ausstellung ist zugleich Heinrichs Abschiedsvorstellung: Nach zehn Jahren Leitung sagt er goodbye und nimmt den Flieger Richtung USA. In Zukunft wird er das Denver Art Museum betreuen, zu Füßen der Rocky Mountains. Zum Jubiläum werden nur Kunstwerke gezeigt, die unter seiner Regie erworben wurden, also dem Haus gehören. Keine Leihgaben von Sammlern oder aus befreundeten Kunsthäusern. Das ist der Ehrgeiz? „Das ist der Ehrgeiz“, sagt er ernst und stratzt voran durch den Bau, den der Schweizer Architekt Oswald Mathias Ungers entwarf, getrieben von einem Prinzip: Alles an dem Gebäude und alles in ihm soll quadratisch oder mindestens rechteckig sein. Die Fenster, die Lichtleisten, die Bodenfliesen, auch die Waschbecken in den Toiletten. Die Feuerlöscher, die es nirgendwo auf der Welt in einer rechteckigen Version gibt, mussten in Wandfächern verschwinden. Verborgen hinter rechteckigen Abdeckungen, natürlich.
Christoph Heinrich wollte ursprünglich etwas anderes machen, als ein Kunsthaus zu leiten. Er wuchs im Taunus auf, ging zum Studieren nach Wien. Um seine Eltern zu beruhigen, wählte er Philosophie, Kunstgeschichte – und Germanistik: „Damit kann man immer noch Deutschlehrer werden.“ Er hatte das nicht ernsthaft vor. Stattdessen packte ihn das Theater, er schauspielerte ein bisschen, noch lieber aber wollte er Stücke inszenieren. Theaterregisseur, das wäre was. Doch nach einiger Zeit kamen ihm Zweifel: „Im Theater hat man jeden Tag eine Überdosis Mensch. Und mir fiel wieder ein, wie angenehm leer es in einem Museum ist und wie gern ich dort bin.“ Wo einfach nur Bilder hängen und Skulpturen oder Vasen auf Sockeln stehen und nichts von einem wollen. Wo die Besucher flüsternd durch die Räume schleichen.
Ohne Frage ist er als Chef eines Kunsthauses heute ständig unter Menschen. Doch geblieben ist eine grundlegende Faszination: In einem Museum wird die Zeit bewahrt, es sammelt für die Ewigkeit. Er weiß, dass sein eigenes Wirken im nächsten Moment verschwinden kann: „Gut möglich, dass mein Nachfolger denkt: ‚Herrje, was ist das für schrecklicher Kram, den der Heinrich da zusammengesammelt hat!‘ Und er sperrt erst mal alles ins Depot. Aber zwei, drei Generationen später wird es vielleicht wieder ans Tageslicht geholt und die Leute denken: Mit was die sich da im Jahre 2000 beschäftigt haben, ist doch interessant.“
Seine Frau ist bereits drüben, sie unterrichtet an der Universität von Denver. Also war die Spedition schon da, hat den gesamten Hausstand in einen Überseecontainer verpackt. Nun ist die Wohnung leer, bis auf ein Bett, einen Tisch und einen Stuhl: „Ich muss sagen, das gefällt mir. Nichts lenkt ab, nichts stört.“ Er hat sich schon bei dem Gedanken ertappt, immer so eine leere Wohnung haben zu wollen.
Kann man nun Kunst verstehen, ohne etwas über den Künstler dahinter zu wissen? „Das ist eine heikle Frage“, sagt er. „Es gibt Kollegen, die sehen nur das Werk und wollen absolut nichts über den Menschen wissen, der es gemacht hat. Dazu gehöre ich nicht. Mir helfen Personen, die Werke zu verstehen.“ Die Arbeiten der Hamburger Künstlerin Hanne Darboven etwa, die immer wieder Hunderte von Blättern mit nahezu gleichen Zahlen, Noten und Linien fertigt, habe er erst begriffen, als er sie persönlich kennengelernt habe. Wobei man im nächsten Schritt natürlich aufpassen müsse: „Finde ich ein Bild nicht gut, weil ich den Kerl nicht ausstehen kann, oder finde ich es gut, weil es so eine reizende Person ist, die es gemalt hat – da muss man jeweils ehrlich zu sich sein.“ Er macht eine kurze Pause, sagt ungewohnt drastisch: „Es gibt gute Kunst, die von Arschlöchern gemacht ist. Da muss man dann über seinen Schatten springen – und sie trotzdem kaufen: Arschloch – aber gute Kunst. Kann ja auch sein, dass dieser Künstler nur zu mir so abweisend ist.“
Manchmal aber bedarf es eines magischen Moments, damit einen die Leidenschaft packt. Er selbst konnte jahrlang nichts mit Minimal Art anfangen – eine amerikanische Kunstrichtung aus den 60er-Jahren, die sich anhand von Würfeln und Flächen mit geometrischen Gesetzmäßigkeiten beschäftigt; sehr abstrakt, sehr theoretisch angelegt: „Für mich waren das blöde Klötze, mitten in den Raum gestellt, nichts war langweiliger. Aber dann sah ich in einer Ausstellung so einen Würfel und plötzlich spürte ich: Dieser Würfel hat etwas mit mir zu tun. Er zeigt mir, wie meine Körperproportionen eigentlich sind, wo etwas an mir weich und fest ist.“ Und er streckt die Arme vor, hebt sie in die Höhe und klopft sich auf die Brust, als wolle er sich mal eben vermessen.
Von daher kann er nur raten: „Gehen Sie in ein Museum oder eine Galerie! Schauen Sie sich die Sachen im Original an!“ Mit der Kunst sei es nicht anders als mit dem Fußball: Man geht am besten mit jemandem ins Stadion und versucht zu begreifen, was da vor sich geht. „Wenn Sie denken: ,Was für ein Blödsinn, 22 Leute rennen hinter einem einzigen Ball hinterher‘, werden Sie nie Begeisterung für Fußball entwickeln.“