Die glücklichsten Menschen leben im armen Bangladesch – behaupten Londoner Forscher. Filmemacher Shaheen Dill-Riaz suchte dort das Glück mit der Kamera
(aus Hinz&Kunzt 151/September 2005)
Der bengalische Dokumentarfilmer Shaheen Dill-Riaz kehrte nach zehn Jahren in Deutschland zurück in seine Heimatstadt Dhaka und begleitete vier Freunde auf ihren Wegen durch die Megacity: Das feinfühlige Porträt feiert auf dem Hamburger Filmfest Premiere.
Es ist ein sehr persönlicher Film. Alle Protagonisten sind mit dem Regisseur befreundet oder verwandt. Er hat sie zu ihren Zielen und Träumen befragt und vier Biografien miteinander verknüpft: Hassan, der ewige Linke, der mit Che auf dem T-Shirt eine lärmende Straße entlangstapft und auf den Verkehr schimpft. Der circa 30-Jährige ist ein Mittelschichtskind, er will in der Filmindustrie arbeiten und von seiner Familie unabhängig werden.
Russel tritt in die Pedale. Der Rikscha-Fahrer ist 15 Jahre alt, vielleicht aber auch erst 13. Genau weiß er das nicht. Er war schon Schauspieler in einem erfolgreichen bengalischen Film. Autogramme kann er noch nicht geben. Russel geht zur Schule, kann aber nicht richtig schreiben. Eines Tages wird er es können, da ist er sicher.
Geübt sucht Kutti sich ihren Weg durch den Verkehr. Sie ist 20, ledig und arbeitet in der Textilindustrie. Sie wünscht sich mehr Freiheit. Früher hat sie als Hausmädchen gearbeitet, 24 Stunden am Tag, da blieb für sie selbst keine Zeit. Den Männern traut sie nicht, sie will auf eigenen Beinen stehen. Sie lebt mit vier anderen jungen Frauen in einem Zimmer. Wenn sie frische Luft braucht, mietet sie sich ein Floß und lässt sich über den Fluss fahren.
Mili wiederum lässt den Wagen von einem Bediensteten parken. Eine Frau in mittleren Jahren, erfolgreich, wohlhabend. Sie ist die Tante des Regisseurs. Stolz präsentiert sie ihre edle Wohnung.
Behutsam entfaltet der Film die vier Geschichten. Der Regisseur kommt seinen Protagonisten näher und wahrt dennoch Respekt. Er fragt beharrlich nach, hört geduldig zu. Und wenn Kutti dann von ihrer Kindheit und Mili von ihrer unglücklichen Jugendliebe erzählen, gewähren sie intime Einblicke, die tief berühren. Und beklemmend nah sind.
Shaheen Dill-Riaz lächelt und nickt: „Habe ich das Recht, so weit in das Privatleben eines Menschen einzudringen? Ich muss aufpassen, dass ich die Menschen nicht bloßstelle.“ Aus westlicher Perspektive seien die Menschen in Bangladesch sehr abhängig von Familie, von gesellschaftlichen Strukturen. Das Individuum habe es schwer, sich zu behaupten. Die Geschichten von Russel, Kutti, Hassan und Mili erzählen von der Selbstbestimmung. „Sie wollen machen, was sie für richtig halten“, so der Regisseur.
Gedreht wurde mit so wenig Personal wie möglich: ein Tonmann und der Regisseur, der gleichzeitig Kameramann ist. Das hält die Kosten gering und ist Voraussetzung für Intimität. So sind zarte, schöne Momente entstanden, die über Menschen erzählen wie es wohl nur im Film möglich ist – mit Blicken und Gesten.
Rund zwei Jahre dauerte es von der Idee bis zur kinofertigen Kopie der „Glücklichsten Menschen“. Der Regisseur und seine Hamburger Produzentin Kathrin Lemme haben nicht durchgehend an dem Film gearbeitet, sich aber immer wieder daran gesetzt: Recherche, Finanzierung, eineinhalb Monate gedreht, noch mal nachgedreht. „Die glücklichsten Menschen der Welt“ ist sein erster Film außerhalb der Hochschule, Shaheen Dill-Riaz ist glücklich, dass er zurzeit vom Filmen leben kann.
Und die glücklichen Menschen in Bangladesch? Gegen Ende des Films antwortet der Regisseur aus dem Off: „Ich scheue mich, diese Menschen zu fragen, ob sie glücklich sind. Nach all dem, was ich auf der Reise erlebt habe, kommt mir die Frage lächerlich vor.“