Katharina Trebitsch hat 120 Fernsehfilme realisiert. Die Verfilmung von Marcel Reich-Ranickis Biografie fand sogar der Popstar der Literaturkritik fabelhaft
(aus Hinz&Kunzt 194/April 2009)
Mit dem Film über Marcel Reich-Ranicki schlägt die Hamburger TV-Produzentin Katharina Trebitsch ein neues Kapitel ihrer Karriere auf. Ob sie mit Heinz Rühmann oder Ingmar Bergman arbeitete – sie verbindet gern Geschichte mit Geschichten.
Manche Menschen haben einen begehbaren Kleiderschrank. Katharina Trebitsch hat einen begehbaren Bücherschrank. Mit langen Schritten geht sie durch ihr Büro in der Hamburger Innenstadt, an den hohen Fenstern vorbei, die den Blick fünf Stockwerke tief auf die Fußgängerzone der Colonnaden freigeben, öffnet eine schwarze Tür, knipst einen Lichtschalter an und steht, voilà: in ihrer Bücherschatzkammer. „Den Raum habe ich mir extra bauen lassen, als ich hier eingezogen bin“, sagt sie. In den Wandregalen liegen Drehbücher, Bildbände, Nachschlagewerke. Eine alte Schullandkarte entrollt sich halb auf dem Boden. „Die habe ich in Paris in einem Trödelladen gefunden“, sagt die Fernseh-Produzentin. „Les États danubiens“, die Donaustaaten, steht darauf. „Die Karte zeigt genau die Orte, in denen ich im vergangenen Jahr beruflich zu tun hatte: In Triest waren wir für Commissario Laurenti, in Ungarn für das Buch von György Dalos, ,Die Balaton-Brigade‘, und in Polen“, sie nickt, „für ‚Marcel Reich-Ranicki – Mein Leben‘.“
Der Spielfilm über den Literaturpapst, der im April im Ersten ausgestrahlt wird, ist vielleicht der wichtigste in der Karriere der 59-jährigen Produzentin. Seit den 80er-Jahren arbeitet Katharina Trebitsch mit den Großen der Filmbranche zusammen. Für Heinz Rühmann produzierte sie zahlreiche Fernsehfilme, mit Ingmar Bergman realisierte sie „Dom Juan“. Etwa 120 Filme brachte sie ins Fernsehen, erhielt den Telestar als beste Produzentin 1996, bekam den Grimme-Preis für „Bella Block“, arbeitete für Dokumentarfilme mit Peter Scholl-Latour und Gerd Ruge zusammen.
Doch mit Reich-Ranicki schlägt sie ein ganz neues Kapitel auf. Es gab viele Bewerber um die Rechte des Buches, das sich 1,4 Millionen Mal verkauft hat. Katharina Trebitsch traf Reich-Ranicki im Hotel Vier Jahreszeiten an der Binnenalster. „Ich hatte kein fertiges Konzept. Ich sagte ihm: ‚Wir müssen nachdenken und das Drehbuch langsam erarbeiten.‘“ Das gefiel ihm. Trebitsch bekam die Rechte: „Weil niemand so leidenschaftlich dieses Buch verfilmen wollte wie sie“, sagte der Literaturpapst gegenüber Hinz&Kunzt.
Über Monate hinweg führte sie intensive Gespräche mit ihm, über seine Jugend in Berlin, über seine Verfolgung im Nationalsozialismus, die Zeit im Warschauer Ghetto: „Es ist bewegend, wie er es geschafft hat, durch sein reiches geistiges Leben und seine Erzählkunst zu überleben. Er hat immer um sein Leben erzählt.“ Autor Michael Gutmann schrieb das Drehbuch. Danach fand Katharina Trebitsch einen Fernsehsender, einen Regisseur, einen Hauptdarsteller. Das dauerte – bis der 88-Jährige sich bei ihr beschwerte. Er wolle den Film noch erleben. Katharina Trebitsch ließ sich nicht beirren. Anfang 2009 war der Film fertig.
„Fabelhaft!“, rief der Kritiker, als er den Film im Februar zum ersten Mal gesehen hatte. In fast 30 Jahren verfilmte die Buchliebhaberin Trebitsch zahlreiche Werke, von Ralph Giordanos Roman „Die Bertinis“ bis zu den Bestsellern von Donna Leon, und wurde dabei zur Literaturexpertin unter den Fernseh-Produzenten. Ähnlich wie der Kritiker schreibt sie keine Bücher, sondern befördert sie – entweder ins Licht der Öffentlichkeit oder ins Jenseits. Im Gegensatz zu Reich-Ranicki macht sie das allerdings so geräuschlos, dass im Internet-Lexikon Wikipedia nicht einmal ein Eintrag von ihr steht. Das kann ein Zeichen von Macht oder Ohnmacht sein, bei ihr wahrscheinlich beides. Denn sie kann formvollendet Netze knüpfen, ist aber immer auf die Leistung des Filmstabs angewiesen. Ihre Rolle ist dabei die einer Königsmacherin, die regelmäßig einen Hofstaat zusammenstellt, der für höchstens 30 Drehtage existiert, in dem es Könige und Narren gibt („Kinder, so kann ich nicht arbeiten!“) und sie ohne Allüren dafür sorgt, dass daraus ein Gesamtkunstwerk wird. Dazu gehört, dass sie bei Reich-Ranickis Lebensverfilmung tagelang an den Drehorten in Breslau und Lignitz ist. Dazu gehört auch, dass sie mit ihrem Mitproduzenten Benjamin Benedict nach Israel fliegt und für die Szenen über das Warschauer Ghetto intensiv mit dem langjährigen Chefhistoriker der Gedenkstätte Yad Vashem, Israel Gutman, spricht, der 1943 einer der Initiatoren des Aufstands im Ghetto war. Denn Katharina Trebitsch erzählt Geschichte in Geschichten, und die müssen stimmen. Zwei Fehler im Drehbuch konnte sie durch Gutmans Antworten korrigieren.
Das Ergebnis ist brillant. Der Film, den Katharina Trebitsch mit einem Etat von 5,25 Millionen Euro realisierte, macht die 30er- bis 50er-Jahre spürbar und erzählt inmitten des Grauens von Krieg und Verfolgung die Liebesgeschichte zwischen dem jungen Marcel und seiner Tosia. Den herausragenden Hauptdarsteller Matthias Schweighöfer entdeckte Katharina Trebitsch für sich, als sie wieder einmal im Kino saß und ihn in einer Nebenrolle in „Keinohrhasen“ sah. Am darauffolgenden Tag ging sie noch einmal in den Film, dann war sie überzeugt: „Er kommt dem Wesen von Reich-Ranicki sehr nahe – beide haben diese Lust am Spielen.“
Im Besprechungszimmer der Trebitsch Entertainment GmbH hängen die Fotos von Schweighöfer, während er in der Maske sitzt und sich verblüffend echt in Reich-Ranicki verwandelt. „Wie sehr sich die beiden ähnlich sehen, war mir vorher gar nicht klar.“ Darum ging es ihr bei der Entscheidung auch nicht: „In diesem Moment war das mehr eine Röntgenaufnahme nach innen.“
Der Blick für Geschichten ist ihr vielleicht in die Wiege gelegt worden. Aber sie ging einen langen Weg, um dafür ihre eigene Perspektive zu finden. Als die kleine Katharina am 25. Oktober 1949 auf die Welt kommt, hat ihr Vater Gyula Trebitsch kurz zuvor die Real-Film gegründet und baut später mit dem Studio Hamburg eines der großen Film- und Fernsehzentren Europas auf. Von Kindesbeinen an ist Katharina bei den Dreharbeiten – das glitzernde Filmset spielte dabei anfangs keine Rolle. „Ich habe sehr an meiner Mutter gehangen“, sagt Katharina Trebitsch an ihrem Schreibtisch. Erna Sander arbeitete als Kostümbildnerin mit ihrem Mann. „Wenn sie von zu Hause wegging, habe ich einfach geweint. Da musste sie mich mitnehmen.“ Wenn Katharina dann aber zwischen den Kameras stand, hat sie gestaunt: „Ich habe gesehen, wie Dinge aufgebaut werden und dann wieder weg sind, das finde ich heute noch phänomenal.“
Mit ungefähr zwölf Jahren hört sie das erste Mal, wie es ihren Eltern im Krieg erging. Gyula Trebitsch, in Budapest geboren, wurde zur Zwangsarbeit verschleppt und kam in mehrere Konzentrationslager, weil er Jude war. Aus dem KZ Wöbbelin bei Ludwigslust wurde er von britischen Truppen befreit. Seine beiden Brüder wurden in Konzentrationslagern ermordet. Mutter Erna Sander war in der kommunis–tischen Partei und wurde beim Flugblattverteilen in Paris von der Gestapo verhaftet. In ihrer Geburtsstadt Hamburg musste sie ins Gefängnis Fuhlsbüttel. „Ich komme aus einer Familie, die mitbekommen hat, was dieses System damals bedeutete für die, die nicht hineinpassten – der eine qua Geburt, die andere qua Verstand.“
Mit 15 Jahren fängt sie an zu reisen, erst nach Amerika, später nach Israel und Mexiko – und Guatemala. Dort lebt sie in dem kleinen Dorf Qetzaltenango bei einer Familie und lernt einen seltenen indianischen Dialekt, Quiché. „Über Sprache begreift man eine Menge: Wer geht wie mit Vergangenheit um, gibt es Vergangenheitsformen, welche Zukunftsformen gibt es? Das sagt etwas über die Menschen und über ihr geistiges Leben aus.“ Typisch Trebitsch: Sie will Grundlagen verstehen. Deshalb studiert sie Jura in München und macht ein Praktikum in den USA. „Manche sagen ja, das Studium sei die beste Zeit ihres Lebens“, seufzt sie. Für sie galt das nicht. „Für mich war es wie schwimmen lernen auf dem Sofa. Aber mich interessierte an dem Jurastudium, dass es ein Spiegel der gesellschaftlichen Regeln ist, die dort abgebildet werden.“ 1980 legt sie das zweite Staatsexamen ab.
Dann hat sie sich genug bewiesen, dass sie alleine etwas auf die Beine stellen kann und unabhängig vom erfolgreichen Vater ist. Nun kann sie sein geistiges Erbe antreten. Mit einer eigenen Firma, aus der später die Trebitsch-Holding mit fünf Firmen wird, fängt sie 1980 an, Geschichten zu erzählen. Als Erstes dreht sie „Ein Zug nach Manhattan“ mit Heinz Rühmann – den Star lernte sie schon als Kind in ihrem Elternhaus kennen. 2004 schlägt sie wieder ein neues Kapitel für sich auf. Sie verlässt die Holding, an der sich Bertelsmann beteiligt hatte, trotz der sehr guten Zusammenarbeit, weil sie weniger produzieren, aber dafür stärker Geschichten entwickeln will, und gründet die Trebitsch Entertainment GmbH. Seitdem ist sie alleinige Gesellschafterin der Firma. „Damit fühle ich mich ausgezeichnet!“, sagt Trebitsch und lacht. „Ich habe selber den Gewerbeschein abgeholt und 20 Euro bezahlt.“
Nach der Reihe Commissario Laurenti ist der Spielfilm über Marcel Reich-Ranicki das nächste große Projekt ihrer neuen Firma. Sie kennt den Kritiker inzwischen gut – und hat ihr Bild von ihm im Laufe der Zeit grundlegend geändert. „Mit 12 oder 14 Jahren habe ich Marcel Reich-Ranicki zum ersten Mal gesehen“, erinnert sich Katharina Trebitsch. Zu dieser Zeit, in den 60er-Jahren, lernte sie ihn gemeinsam mit ihren Eltern bei gesellschaftlichen Einladungen in Hamburg kennen. Seitdem nimmt sie die Karriere von Reich-Ranicki wahr: Erst als Literaturkritiker für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, später beim „Literarischen Quartett“. In der Buchsendung war Reich-Ranicki bei ihr überhaupt nicht beliebt: „Er war mir zu laut.“
Dass sie heute von dem lauten Mann ein liebevolles Filmporträt seiner jungen Jahre zeichnen kann, verdankt sie seiner Lebensgeschichte, die 1999 erschien. „Als ich seine Biografie las, habe ich Zugang zu ihm gefunden. Da habe ich gelernt, ihn zu verstehen.“ Genau das ist nun das Ziel des ganzen Films: „Wir zeigen, wo der Mensch herkommt und wie er zu dem Menschen wurde, den wir als Popstar der Literatur kennen.“
Sie schaut auf ihre Uhr, eine alte Patek Philippe, die sie von ihrem Vater hat. Zeit für neue Projekte. Kürzlich hat sie wieder die Rechte an einem Bestseller erhalten, vom schwedischen Schriftsteller Håkan Nesser. Neues Futter für die Schatzkammer. Neben der Tür zum begehbaren Bücherschrank hängt ein gerahmtes Schwarz-Weiß-Foto von Sänger Bruce Springsteen, der lässig mit Sonnenbrille in einem Cabrio sitzt. Die entscheidende Zeile in seiner Hymne „No Surrender“ – „Keine Kapitulation“ – kann Katharina Trebitsch auswendig zitieren: „We learned more in a three minutes record song/ than we ever learned in school“ – Wir haben mehr von einem Drei-Minuten-Lied gelernt als jemals in der Schule. Sie nickt und lächelt. Das Lied passt zu ihr, die in anderthalb Stunden Geschichten erzählen kann, in denen die Essenz eines ganzen Lebens steckt.