Das Coronavirus hat im März auch das Hilfesystem für Obdachlose lahmgelegt. Fast alle Einrichtungen mussten ihr Angebot stark einschränken. Erst nach knapp zwei Wochen ändert sich das langsam wieder.
Die Hamburger Innenstadt ist Ende März wie leer gefegt. Entsprechend leer sind auch die Becher, die Hinz&Künztler Kai mit Abstand vor sich aufgestellt hat. „Erschreckend“, findet er die Auswirkungen der Coronakrise. Betteln lohnt sich nicht mehr, und Hinz&Kunzt kann er nicht mehr verkaufen. „Einerseits fehlen die Finanzen, andererseits fehlen die sozialen Kontakte“, bedauert Kai. Sein Glück: Gerade ist er im Winterprogramm von Hinz&Kunzt untergekommen – in einem Doppelzimmer mit Dusche.
Und hungern muss er auch nicht: Straßensozialarbeiter Julien Thiele kommt jetzt jeden Tag mit einer Rikscha vorbei, aus der er – mit Mundschutz und Plastikhandschuhen – Lebensmittel verteilt. Sein Beratungsangebot musste er spontan um diesen Service erweitern.
Am 14. März wird ein Obdachloser im Winternotprogramm Friesenstraße positiv auf das Virus getestet, rund 300 Menschen wurden dort für zwei Wochen unter häusliche Isolation gestellt. Zwei Tage später folgt der Quasi-Shutdown der Wohnungslosenhilfe. „Von einem Tag auf den nächsten ist komplett jegliche Hilfsstruktur zusammengebrochen“, sagt Thiele. Tagesaufenthaltsstätten schließen oder stellen ihr Angebot auf die Ausgabe von Lunchpaketen um, der Mitternachtsbus oder Ehrenamtliche wie das Kältebus-Team pausieren, um sich selbst und die Obdachlosen vor Infektionen zu schützen. „Das größte Problem waren die fehlenden Hygienemöglichkeiten“, sagt Thiele. Die Menschen auf der Straße hätten duschen wollen – aber keine Möglichkeit dazu gehabt. Es ist die Zeit der Notlösungen: Stadtteilpolizist Matthias Junge gibt Obdachlosen Geld, damit sie sich auf seine Kosten in öffentlichen Toiletten waschen können.
Die Wucht der Pandemie überfordert alle. Auch in der Sozialbehörde kommt man zunächst kaum hinterher: Die Grundversorgung der Obdachlosen sei ja „durch die im Betrieb befindlichen und staatlich finanzierten Stellen gesichert“, beschwichtigt Sprecher Martin Helfrich – als viele Tagesaufenthaltsstätten schon geschlossen hatten.
„Obdachlose gehören zur besonders gefährdeten Gruppe.“– Dirk Ahrens
Es dauert neun Tage, bis die Behörde einen Plan vorlegt, wie sie die Versorgung der Obdachlosen während der Pandemie sicherstellen will. Eine Einzelunterbringung, wie Hinz&Kunzt sie gefordert hatte, soll es nicht geben. Stattdessen soll der Abstand in den Großunterkünften „durch eine angepasste, lockere Belegung“ gewährleistet werden, so Sprecher Helfrich. Das heißt: Nur noch zwei bis drei Menschen sollen sich ein Mehrbettzimmer teilen. Immerhin: Das Winternotprogramm wird bis vorerst Ende Mai verlängert, die Öffnungszeiten ausgedehnt.
Bei der Diakonie ist man darüber „sehr erleichtert“. Landespastor Dirk Ahrens sagt aber auch, dass es damit nicht getan sein kann: „Am wichtigsten sind weitere Unterbringungskapazitäten, um in weniger eng belegten Unterkünften das Ansteckungsrisiko zu verringern.“ Und fügt an: „Dann werden sich auch mehr obdachlose Menschen trauen, die Angebote zu nutzen.“
Straßensozialarbeiter Thiele kennt viele Obdachlose, die eigentlich in einer Unterkunft lebten, wegen der Pandemie aber wieder auf die Straße zurückgekehrt sind. Weil sie Angst hätten, sich in den Einrichtungen anzustecken: „Die Leute suchen sich wieder einen Hauseingang, weil sie sich dort vor dem Coronavirus sicherer fühlen.“
Nach zwei Wochen kommt das Hilfesystem langsam wieder auf die Beine. Das Wohnungslosenzentrum der Diakonie in der Bundesstraße öffnet die Duschen und gibt wieder Essen aus – vor der Tür. Der Mitternachtsbus fährt wieder, aber nur noch mit Zweierteams. In Horn errichtet das DRK eine neue Unterkunft für obdachlose Frauen.
Die Behörde will ein Schwimmbad für Obdachlose zum Duschen öffnen. Und Kai hofft, dass der Corona-Fonds von Hinz&Kunzt wenigstens seine finanziellen Einbußen ausgleicht.
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