Szenen von der Straße: Durch Zufall wurden 100.000 Fotos einer unbekannten amerikanischen Fotografin entdeckt. In Hamburg ist eine Auswahl der Bilder zu sehen.
(aus Hinz&Kunzt 217/März 2011)
Blicke durch Autofenster, in Wohnzimmer, in Telefonzellen. Niemals sind es Schnappschüsse, stets Kompositionen. Jedes Foto: der Beginn einer Geschichte.
Allein: Die Geschichte der Fotografin erzählen die Bilder nicht. Auf Selbstporträts blickt sie sich skeptisch in Spiegeln oder Scheiben an. Sie war wohl selbst nicht ihr liebstes Motiv. Dass Vivian Maiers Bilder in Ausstellungen in den USA und jetzt – erstmals in Deutschland – in Hamburg zu sehen sind, ist John Maloof zu verdanken. 2007 ersteigerte der Makler in Chicago eine Kiste mit mehr als 30.000 Negativen – und fand einen Schatz. Maloof stellt Motive ins Internet und bekommt Angebote von Galerien, die die Bilder ausstellen wollen.
Maloof sucht Maier und findet eine Todesanzeige, wenige Tage alt, vom April 2009. Verwandte hatte die Frau nicht. Maloof findet heraus, dass sie als Kindermädchen gearbeitet hat und spricht mit Familien, deren Kinder sie gehütet hatte. Deren Erzählungen zeichnen das unscharfe Porträt einer eigenwilligen Frau. „Wenn sie einen Tag frei hatte“, erzählt Maren Baylaender, in deren Haushalt Maier in den späten 80er-Jahren arbeitete, „legte sie sich früh am Morgen ihre Kamera um und wir sahen sie nicht wieder bis zum Abend.“ Baylaender sagt: „Ich glaube nicht, dass sie Freunde hatte. Ich erinnere mich an sie als eine zurückhaltende Person, die aber eine ausgeprägte Meinung zu Politik und Filmen hatte.“
Es gibt widersprüchliche Angaben über ihre Biografie. Fest steht, dass sie 1926 geboren wurde. Als Kind lebte sie in Europa. In den 1930er- oder 1950er-Jahren zog sie nach New York, den Großteil ihres Lebens verbrachte sie in Chicago.
Von ihren mehr als 100.000 Bildern hat sie niemandem auch nur eines gezeigt, viele davon wurden nie entwickelt. Glaubte Vivan Maier nicht an deren Wert? Was würde die Fotografin von der Aufmerksamkeit halten, die ihr jetzt zuteil wird? Verstand sie selbst ihr Werk als den Schatz, der es ist? Als Dokumente und als Kunststücke sind ihre Bilder auch deshalb so wertvoll, weil es nie einen kommerziellen Reiz gab – nur Vivian Maier, ihre Kamera und ihre Leidenschaft, das wahre Leben festzuhalten.
Text: Beatrice Blank
Ausstellung „Twinkle, twinkle, little Star“, 87 Fotografien aus den 50er- und 60er-Jahren, noch bis 28. April, Galerie Hilaneh von Kories, Stresemannstr. 384a, im Hof, dienstags bis freitags, 14–19 Uhr, und nach Vereinbarung, Eintritt frei.