Bernd Begemann

Der Pop-Inspirator

Bernd Begemann, nachdem er seinen blauen Bademantel abgelegt hat. Foto: Miguel Ferraz

Ohne den Entertainer und Singer-Songwriter Bernd Begemann gäbe es Bands wie Tocotronic nicht, dabei hatte er selbst nie einen Hit. Im Gespräch erzählt er von den Schwierigkeiten, mit Musik Geld zu verdienen, und von der Wonne, die er beim Publikum auslösen möchte.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Die Wohnungstür öffnet sich. „Gebt mir eine Minute!“, ruft der Mann im blauen Bademantel.Bernd Begemann entschuldigt sich für die Unordnung, er sei erst nachts von einem Konzert heimgekehrt, und überhaupt sei er erst vor drei Tagen aus Japan zurückgekommen. Deutschlandfest in Yokohama, die Botschaft hatte eingeladen. „Ich habe sie mit der Macht und der Herrlichkeit deutscher Volksmusik geblendet. ‚Mein Vater war ein Wandersmann‘ – stell dir 500 besoffene Japaner vor, die ‚Holleri Hollera‘ singen.“

Eine typische Begemann-Anekdote. Der Hamburger ist Songwriter, Sänger und Gitarrist, aber vor allem erstklassiger Entertainer. Es gibt Künstler:innen, von denen man sagt, ihre Lieder seien schlauer als sie selbst. Bei Bernd Begemann ist das nicht der Fall. Er ist gebildeter als die Figuren seiner Songs, lustiger sowieso. Ständig liefert er knackige Zitate; man muss ihm nur ein Stichwort hinwerfen und er hört gar nicht mehr auf, Disney-Serien zu loben, sich über aktuelle Debatten zu wundern („Gegen kulturelle Aneignung hatte ich immer eine ästhetische Barriere. Ich höre gern Blues, finde es aber falsch, wenn weiße Typen zeigen, wie viele Töne sie spielen können.“) oder über das Goethe-Institut zu lästern („Die haben mich noch nie zu etwas eingeladen, obwohl ich den Scheiß erfunden habe! Ich habe die deutsche Sprache zu einer Zeit aufrechterhalten, als sie wirklich unter Beschuss stand.“).

Es ist ein milder Herbsttag in einer Wohngegend unweit des Niendorfer Geheges. Begemann serviert Vanille- schnitten und Baumkuchen, dazu Roibuschtee. An der Wand in seiner Dreizimmerwohnung sind handgeschriebene Songtexte mit Wäscheklammern an einem Drahtseil befestigt. Daneben hängt ein Triptychon mit Röntgenbildern seines Brustkorbs („Mein persönliches Memento mori“). „Den Scheiß erfunden“ – da hat Bernd Begemann, gerade 60 geworden, gar nicht so sehr übertrieben. Seine Karriere begann zu einer Zeit, als die Neue Deutsche Welle gerade abebbte und Pop auf Deutsch oftmals mit Schlager gleichgesetzt wurde. „Heute machen alle Liveshows, sogar Gärtner“, sagt Begemann und schaufelt löffelweise Honig in seinen Tee. „Damals war es viel schwerer, mit Konzerten Geld zu verdienen. Ich bin zwei Mal wieder heimgeschickt worden, als ich als Solokünstler kam. Ich könne doch nicht wie Heino auftreten, hieß es dann.“

Begemann, geboren 1962, wuchs in Ostwestfalen-Lippe auf. Als Teenager interessierte er sich für Punk und traf auf Gleichgesinnte. Bernadette La Hengst, Jochen Distelmeyer und Frank Spilker hießen die prominentesten, Distelmeyer gründete später die Band „Blumfeld“, Spilker „Die Sterne“. Nach dem Umzug an die Elbe sprach man von der „Hamburger Schule“, einer Bewegung, die sich weniger über einen ähnlichen Sound als über eine gemeinsame Haltung definierte. Man war links, aber nicht aktivistisch, man war intellektuell, gab sich aber genügsam. Und schrammelte gern minutenlang auf zwei Akkorden herum.

„Wir haben sehr lange vor uns hin gesuppt“, erinnert sich Begemann an die 1980er-Jahre. „Deshalb mussten wir nach Hamburg, die Stadt, in der die Beatles gut wurden. Wir waren definitiv nicht gut.“ Ein großes Label nimmt Begemanns Band „Die Antwort“ unter Vertrag – und lässt sie wieder fallen, der Sänger macht unter eigenem Namen weiter. Seitdem hat er keine größeren Erfolge zu verzeichnen, seinen mit Abstand meistgestreamten Song „Verhaftet wegen sexy“ hat er zusammen mit Sänger und Podcaster Olli Schulz aufgenommen.

„Olli sagte einmal, er sei richtungslos gewesen, bis er auf meine Konzerte gegangen sei“, kommentiert Begemann. „,Element of Crime‘ meinten, dass sie wegen mir auf Deutsch singen. ,Tocotronic‘ haben auf einem meiner Konzerte zum ersten Mal zu dritt zusammengefunden.“ Aus solchen Sätzen spricht kein übersteigertes Geltungsbedürfnis. Der Sänger betreibt nicht einfach nur Namedropping. Wer seine Songs hört, ahnt, warum er bekannten deutschen Bands ein Vorbild war.

Gerade hat Bernd Begemann ein Buch veröffentlicht: „Gib mir eine zwölfte Chance“ (Ventil Verlag), darin 100 Songtexte von 1987 bis in die Gegenwart. Im Klappentext schreibt Tocotronic-Sänger Dirk von Lotzow, dass Begemanns Lieder ihn mit in ein Land genommen hätten, das er „zu kennen glaubte, aber bis zu diesem Zeitpunkt nicht verstanden hatte“.

„Deutsche Hymne ohne Refrain“ aus dem Jahr 2003 ist so ein Lied, eine „Expedition ins Bekannte“ (O-Ton Be- gemann), voller Alltagsbeobachtungen und Seltsamkeiten, die aus den Zeilen sprechen: „Der Wind in unserer Sied- lung hat einen eigenen Geruch / man kann ihn lesen wie ein Buch / es riecht nach gewaschenen Autos / nach Brat- kartoffeln.“ Der Song endet mit: „Ich will dieses Land verstehen.“ Frage an den Mann, der jetzt einen beigefarbenen Pullover trägt und in seiner Loggia sitzt: Hat er Deutschland mittlerweile verstanden?

„Nein“, sagt Begemann, „aber wichtiger ist die Haltung, verstehen zu wollen. Das ist eine Überlebenstaktik. Die ganze Zeit den Ausweg suchen – das ist schon ein kleiner Ausweg.“ Man könne immer „Wonderwall“ singen und die Zuhörer:innen würden freundlich reagieren, schreibt Begemann im Vorwort seines Buches. Reizvoller sei aber „die Wonne der Zuhörer, wenn sie merken, dass es die ganze Zeit um sie selbst ging, dass unsere privaten Verzweiflungen, Leidenschaften, Verstörungen eine kollektive Erfahrung sind.“

„Die Bühne ist der Raum, wo ich mich am sichersten fühle.“

Politisch ist Begemann obendrein. Er mokiert sich in Liedform über den „Nazi-Tattoo-Papa“ und, Jahre vor der Klimadebatte, über Geländewagen-Fahrende in Hamburgs schickeren Stadtteilen („Die Slums von Eppendorf“). Im Gespräch schimpft der Künstler über moderne Hörgewohnheiten: „Du schreibst ein Lied, damit es in eine Playlist aufgenommen wird. Das ist, als ob man Schriftstellern sagen würde: Ihr dürft nur noch Kurzgeschichten schreiben.“ Seinen Lebensunterhalt verdient er mit Liveauftritten. „Die Bühne ist der Raum, wo ich mich am sichersten fühle, deshalb sind meine Konzerte so lang. Die Zeit vergeht dort anders. Jede Sekunde ist gedehnt, es gibt ein höheres Bewusstsein für dich selbst und den Raum.“

Der gebürtige Braunschweiger hat Hymnen geschrieben, die bei seinen Heimspielen im Hamburger Club „Knust“ lauthals mitgesungen werden: den treibenden Gitarren-Popsong „Ich habe nichts erreicht außer dir“ oder die windschiefe Northern-Soul-Nummer „Oh, St. Pauli“. Lieder, die so catchy sind, dass sie eigentlich auf Dauerrotation im Radio laufen müssten.

Der Erfolg ist ausgeblieben. Vermutlich war Begemann einfach zu früh dran in den 1990ern, als niemand Typen sehen wollte, die alleine mit Gitarre auftraten. Zur falschen Zeit am falschen Ort. In „Berlin war stärker“ heißt es: „Ich war schön, als niemand hinsah / ich war brillant, als es egal war.“

Brillante Momente gibt es noch immer, wenn man Zeit mit ihm verbringt. Während er fotografiert wird, singt Bernd Begemann den alten Gassenhauer „Walk on By“ und begleitet sich auf seiner roten Halbresonanzgitarre. Ganz leise, ganz bei sich. Ob der kommerzielle Erfolg seiner eigenen Songs noch kommen wird? „Das bleibt mir vielleicht verwehrt. Ich habe mein Glück gefunden: mich in Lieder zu versenken und dieses Gefühl mit anderen zu teilen.“ Der Witzbold, Pop-Inspirator und Entertainer hält inne. „Es klingt so erbärmlich, aber es ist so. Es ist alles, was ich je wollte, fürchte ich.“

Artikel aus der Ausgabe:

Wie gehen Sie mit Bettlern um?

Schwerpunkt Betteln: Was hilft? Gespräche mit Politik, Sozialarbeit – und den Menschen auf der Straße. Außerdem: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Interview. Ein Porträt des Hamburger Rappers Disarstar. Und: So feiern unsere Hinz&Künztler Weihnachten.

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Autor:in
Jan Paersch
Freier Kulturjournalist in Hamburg. Zwischen Elphi und Stubnitz gut anzutreffen - und immer auf einen Espresso.

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