Geld hatte er keins. Dafür aber jede Menge Elan. Henna Peschels Film „Madboy“ ist einer von 140 Beiträgen, die beim diesjährigen Hamburger Filmfest zu sehen sind – wie auch „Versailles“ aus Frankreich
(aus Hinz&Kunzt 187/September 2008)
Die telefonische Verabredung mit „Madboy“-Regisseur Henna Peschel verläuft ein wenig seltsam: Er wolle sich nur mit einer Maske fotografieren lassen, sagt der 41-Jährige, seine unbekannten Schauspieler und die Geschichte sollten im Mittelpunkt stehen. Geschehen ist das Gegenteil: Der unbekannte Regisseur steht nun im Mittelpunkt. Aber die Idee mit der Maske ist nicht schlecht, damit sorgt er für Gesprächsstoff und sieht aus wie George Clooney. Seltsam ist er beim Treffen nicht: ein munterer Gesprächspartner voller Elan und Anekdoten.
Peschel ist Autodidakt und „Madboy“ sein erster Spielfilm. Er spielt überwiegend in Wilhelmsburg, wo Peschel herkommt, und beschreibt wie Schäffke, ein junger Musiker vom Lande, in der Stadt sein Glück machen möchte. Schäffke geht zu seinem alten Kumpel Jakobus, der Maler ist, aber seinen Lebensunterhalt mitunter aus der Not heraus als Kleinkrimineller verdient. Die beiden geraten türkischen Ganoven in die Quere, und es kommt zu einem Showdown in einer Tankstelle. Eine komische, lebensnahe Geschichte voll handfester Typen, kerniger Sprüche und sympathischer Künstler.
Lebensnah auch deswegen, weil der ganze Film mit null Budget entstanden ist. Niemand hat Geld bekommen: kein Schauspieler, kein Musiker für den Soundtrack (unter anderem Tocotronic, Nils Koppruch, Frank Spilker), kein Kameramann. Buch, Regie, Kamera, Produktion sind in Henna Peschels Hand, alle anderen hat er davon überzeugt, umsonst mitzumachen. Jakobus (Jakobus Siebels), eine der drei Hauptfiguren, ist Maler (gerade überall präsent durch seine Entwürfe für das Dockville-Festival) und Musiker („Ja, König, Ja“), Schäffke (Hector Kirschtal) ist Musiker und Schauspieler, Nina (Nina Schwabe) ist Schauspielerin. Die türkischen Gangster spielen Laien, darauf schwört Regisseur Peschel. „Die musst du hypnotisieren, dann sind die manchmal besser als Profis.“
Ohne Geld muss man erfinderisch sein, schnell arbeiten, improvisieren. Henna Peschel gefällt das. „Ich möchte dicht dran an die Leute. Ein großes Team stört da nur.“ Proben möchte er sowieso nicht, Drehgenehmigungen holt er auch nicht ein. Er liebt die Spontaneität. „Der deutsche Film hat Angst vor der Realität. Unter drei Millionen Budget geht da gar nichts, und dann hast du Gremien, die alle mitreden wollen.“
Peschel weiß, wovon er spricht. Er ist seit 18 Jahren im Filmgeschäft und hat so ziemlich alle Jobs in der Branche schon gemacht. Auch alle möglichen Jobs, die nichts damit zu tun hatten. „Das Schlimmste war, im Katzenkostüm Futterproben in Einkaufszentren anzubieten.“ Zum Film kam er über die Liebe zur Fotografie und zur Musik. 1993 gründete er einen eigenen Tocotronic-Fanclub und bekam durch Beharrlichkeit die Gelegenheit zum Dreh eines Videos für die Band. Es folgten weitere Musikvideos (Element of Crime), Kurzfilme (mit Rocko Schamoni), Arbeiten als Kameramann unter anderem für sein großes Vorbild Klaus Lemke, für Andreas Geiger und Jan Georg Schütte.
Mit „Madboy“ hat er sein vorläufiges Meisterstück abgelegt und gleichzeitig der Musik- und Kunstszene, die er für ihre idealistische Haltung sehr bewundert, ein Denkmal gesetzt. Jakobus, der im Film stoisch seinen Hunger erträgt und dabei seelenruhig eine seiner Hafenszenen malt, ist ein Beispiel dafür. Vorbild für die Figur war übrigens wirklich ein Künstler, der sein Leben mit Einbrüchen finanziert hat.
Peschel will der Realität auf der Spur sein, und er freut sich, wenn er ihr winzige Momente abluchsen kann. Dafür tut er alles. Auch sein Team kulinarisch hungern lassen. „Bei mir gibt es kein Catering, der hungrige Laie spielt einfach besser.“ Seine No-Budget-Art zu drehen bringt ihn auch immer wieder in interessante Situationen und neuen Kontakt mit der Wirklichkeit. „Bei der Prügelszene in Wilhelmsburg haben wir einfach vor einem Wohnhaus gedreht. Keiner hat sich umgedreht, das ist da wohl normal.“ Den Überfall auf die Sicherheitsleute am Anfang des Films drehte Peschel auf dem Rastplatz in Stillhorn. „Um uns herum standen 20 ukrainische Lkw-Fahrer und klatschten Beifall.“
Applaus gibt es hoffentlich auch beim Filmfest für Henna Peschel. Verdient hätte er ihn für seinen Heimatfilm, wie er ihn nennt. Hinter den idealistischen Künstlern muss er sich nicht verstecken, er ist einer von ihnen. Die Zorro-Maske braucht er eigentlich auch gar nicht, sein Film ist stark genug.