Seit 16 Jahren kommentiert er in der „Lindenstraße“ mit frechen Sprüchen das Geschehen in der ARD-Kultserie: Harry Rowohlt ist Deutschlands populärster TV-Obdachloser. Wir haben ihn getroffen und dolle Sachen über sein „Doppelleben“ erfahren …
(aus Hinz&Kunzt 222/August 2011)
Das mit der „Lindenstraße“ begann so: Harry Rowohlt, Übersetzer, Kolumnist, Sprecher und Vorleser, erhielt einen Anruf von einem Feinschmeckermagazin. Die hätten eine Reihe, wo Prominente in einem Lokal ihrer Wahl zum Essen eingeladen werden, um sie dabei zu filmen und zu interviewen. Rowohlt lehnte brüsk ab. Er könne sich schließlich selbst ein Mittagessen leisten! Doch seine Frau hatte eine Idee: Er schaue doch so gerne jeden sonntag die Fernsehserie „Lindenstraße“ und in der gebe es ein Restaurant, das „Akropolis“, ein Grieche.
Gesagt, getan: Ein paar Tage später sitzt Harry Rowohlt dort am Tisch, umgeben von den Schauspielern der „Lindenstraße“ und dem Filmteam – es wird der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Harry wird als Hartmut Rennep (rückwärts gelesen: Penner) ins Ensemble aufgenommen und kommentiert seitdem zuweilen garstig als Obdachloser das geschehen. Dass er sich für die Rolle des Obdachlosen – oder, wie Harry Rowohlt mit leicht ironischem Unterton gedehnt sagt, des Nichtsesshaften – entschieden hat, hat durchaus mit ihm selbst zu tun. „Ich bin so oft in meinem Leben, weil ich so aussah, wie ich aussah, irgendwo nicht reingelassen worden. Zum Beispiel im Hamburger Literaturhaus in meine eigene Lesung nicht. Weil die studentische Hilfskraft sagte: ‚Nee, das kann gar nicht sein, wir haben hier heute Abend Dichterlesung.‘ Und zwar dreimal, weil das immer wiederholt werden musste wegen Andrangs.“ Und gleich fällt ihm die nächste Anekdote ein, während er sich die nächste Zigarette anzündet und der Rauch schön gekräuselt gen Himmel steigt: „Das war auch mal sehr schön bei einer Lesung in der Herder Buchhandlung in Berlin: Die hatten so wie bei Dichterlesungen üblich mit 20, 30 Leuten gerechnet. Es kamen aber deutlich mehr, ich auch. Sodass das Ganze so aussah wie eine unangemeldete Demonstration. Auch die Leute, die da hinkamen, sahen so aus, und da kamen sofort unsere Ordnungskräfte und haben uns zerstreut. Ich hab auch gepflegt einen mit dem Schlagstock über den Brägen gezogen gekriegt und dachte gerührt: ‚So schön wird es nie wieder.‘ Das alles kann mir leider seit der ,Lindenstraße‘ nicht mehr passieren!“
Harry Rowohlt schwärmt von den Schauspielerkollegen, dem netten Team, über diese sozialdemokratische Utopie, jeden Sonntag, pünktlich um 18.50 Uhr im Ersten. Er freut sich, morgen früh zum Dreh zu fahren, nach Köln, auch wenn die mittlerweile über 1330 Folgen ja tatsächlich in München spielen sollen. Zu den Kölnern hat Rowohlt übrigens eine ganz eigene Einstellung: „Das Kölner Publikum ist das einzige, das ich hasse. Weil die durch Jahrhunderte Karneval so abgerichtet sind und immer prophylaktisch lachen, wenn noch gar nichts war. Deshalb sind die auch so ein beliebtes Studiopublikum.“
Und wie wird es weitergehen mit Harry in den nächsten Folgen, wie sieht überhaupt seine Zukunft aus? „Ich habe nicht die geringste Ahnung!“, sagt Harry Rowohlt vollster Überzeugung. Obwohl – einmal hatte man ihn schon rausgeschrieben, ließ ihn nach Italien und damit raus aus der Serie trampen (mit Sandra Sarikakis, die zwischendurch drogenabhängig wird, dann aber den Akropolis-Wirt Vasily heiratet, deren gemeinsames Kind in den aktuellen Folgen gerade nach langem Hin und Her von der Motocrossfahrerin Jack ausgetragen wird): „Aber das ließen die Fans landauf, landab nicht mit sich machen!“ Und schnell zog Harry wieder in die „Lindenstraße“ ein, fand wieder Platz auf seiner Parkbank.
Hat er in der letzten Zeit etwas Nettes erlebt? „Neulich in der Edeka-Filiale am Eppendorfer Baum habe ich mir ein Capri-Eis gekauft und die Schlange war so lang, da hab ich gedacht: Bis ich das bezahlt hab, ist das geschmolzen. Hab’s also schon mal gegessen und mir gedacht, wenn die Kassenfee mich anmufft, dann zeig ich ihr den Spatel und die Tüte – aber die Kassenfee war weit davon entfernt, mich anzumuffen. Die sagte nur: Oller Naschbär!“
Text: Frank Keil
Foto: Martin Kunze