Musik in der vierten Generation: Wolkly Rosenberg tritt mit Fami-lie und Freunden beim Hamburger Festival der Roma und Sinti auf
(aus Hinz&Kunzt 148/Juni 2005)
Ein Festival der Sinti und Roma war schon immer sein Traum. Vom 24. bis 26. Juni geht er für den Musiker Wolkly Rosenberg in Erfüllung. Zusammen mit seiner Band „Swing Gipsy Rose“ und alten Freunden wie Haens’che Weiss tritt er im Golkbekhaus auf und erzählt aus seinem Leben – einem Leben, in dem die Musik die Hauptrolle spielt.
Als er fünf Jahre alt war, machte Wolkly eine unglaubliche Erfahrung. Sein Vater spielte auf der Gitarre die Tonleiter und forderte ihn auf, in den Gitarrenhals zu beißen. Ganz vorsichtig natürlich. „Ich hörte die Musik nicht nur, ich spürte die ein-zelnen Töne im ganzen Körper. Es war unglaublich.“ Nie wieder hat der Junge das vergessen. „Wenn ich falsche Töne höre, tut mir das körperlich weh.“ Der Hamburger Sinto ist inzwischen 59 Jahre alt, und Musik ist sein Leben. Genauso wie bei seinem Bruder Tornado, und wie es früher bei seinem Vater Lani, seinem Großvater Stefan und seinem Urgroßvater Johann war.
Die Rosenbergs waren eine alteingesessene Ham-burger Sinti-Familie und wohnten ganz in der Nähe von Wolklys heutiger Wohnung am Großneumarkt. Damals allerdings in einer Wohnwagensiedlung für „Zigeuner“ hinter dem Gängeviertel. Das Wort „Zigeuner“ ist nach wie vor ein heißes Eisen in seinen Kreisen. Wolkly selbst stört es meistens nicht. „Der Ton macht die Musik“, sagt er.
Ein gewisses Misstrauen gegen die „normalen Deutschen“ schwingt bei ihm schon mit. Verständlich. Sein Großvater wurde 1939 von der Gestapo abgeholt und ins KZ gebracht. 16 Jahre alt war damals Wolklys Vater Lani. Völlig naiv schrieb Lani einen persönlichen Brief an Hitler, um ihm klarzumachen, dass er seinen Vater schnell wieder freilassen müsse. Doch das machte die Sache nicht besser. Zusammen mit 1500 anderen Sinti wurde Lani abgeholt und nach Auschwitz deportiert.
1944 lernte Lani dort seine spätere Frau kennen: Beide waren einem Arbeitskommando zugeteilt, das Schützengräben ausheben musste. Fast seine ganze Familie wurde umgebracht. Trotz der Erfahrungen im Nationalsozialismus wollte er nach dem Krieg zurück in seine Heimat Hamburg. Aber die Erinnerung an das KZ und die Morde an seiner Familie ließen ihn nie los. „Immer wieder kam alles hoch, dann erzählte er und weinte“, sagt sein Sohn Wolkly. „Das ging uns ganz schön unter die Haut.“ Trotzdem verbitterte der Vater nicht. „Man muss immer wachsam sein“, war sein Wahlspruch. „Aber man muss auch verzeihen.“
Die Beziehung zwischen seinem Vater und ihm war eng. Natürlich auch traditionsbedingt. Die Väter brachten den Jungen Musik bei, die Mütter den Mädchen die Wahrsagerei. Bei den Rosenbergs ist das aufgegangen. Wolkly und sein Bruder Tornado haben in der Musikerszene einen Namen. Und „Mama Blume“ und ihre Töchter sagen auf Jahrmärkten die Zukunft voraus.
Ursprünglich wollte Wolkly gar nicht ins Musikgeschäft. Grafiker wollte er werden. Aber die Schule wurde immer unwichtiger, schon mit 15, 16 stand er regelmäßig auf der Bühne. Ende der 60er-Jahre lernte er den Musiker Haens’che Weiss in Berlin kennen. Der wiederum hatte bei Schnuckenack Reinhardt gespielt, der wiederum mit dem großen Django Reinhardt verwandt ist. Schnuckenack Reinhardt begründete die „Musik deutscher Zigeu-ner“. „Es gab so eine Art Urknall“, sagt Wolkly Rosenberg. Der „Zigeuner-Jazz“ war geboren. Im Gegensatz zu der eher folkloristischen Musik der Roma ist der „Zigeuner-Jazz“ am Swing orientiert – gesungen wird seltener.
Das heißt: Es gab eine Phase, auch in den 70ern, da schrieb Haens’che Weiss erste Protestlieder in Romanes, der Sprache aller Sinti und Roma. Der Grund: In einigen Städten wurde er zwar als Musiker eingeladen, aber sobald er von der Bühne stieg, sollte er die Stadt verlassen. Dagegen wollte er sich wehren.
In der Hamburger Szene war es anders. Wolkly Rosenberg, sein Bruder Tornado und andere Sinti-Musiker gehörten „ganz normal“ dazu, wenn sich die Gang um Udo Lindenberg und Gottfried Böttger im Remter oder Onkel Pö traf. Mitte der 70er-Jahre gründeten die Brüder zusammen ihre eigene Band, die „Swing Gipsy Rose“, die bis heute existiert.
1982 mietete Wolkly Rosenberg eine Kneipe am Großneumarkt. Als sein Vater den Raum zum ersten Mal sah, war er gerührt: „Das gibt’s doch nicht“, rief er. „Hier sind dein Großvater und Urgroßvater schon aufgetreten.“ Damals hieß die Kneipe zwar noch „Der halbe Liter“, aber der Tresen war derselbe. In der „Gamasche“ gab es Live-Konzerte von befreundeten Musikern – und wenn Chris de Burgh oder Manfred Krug, Paco de Lucia und andere Musiker in der Stadt waren, spielten sie oft nach ihrer Show noch in der Gamasche.
„Bei mir wurden sie nicht wie Stars behandelt, sondern ganz normal, vielleicht fühlten die sich deshalb so wohl“, sagt Wolkly. Aber der Traum währte nicht lange. Wegen Lärmbelästigung musste der Laden Ende der 80er-Jahre schließen. Und dann ein Schicksalsschlag: 1984 starb Lani, mit nur 61 Jahren. Die Brüder und ihr Vater hatten einen fulminanten Auftritt gehabt. Mitten im Applaus brach der Vater tot zusammen.
Immerhin erfüllte sich 1992 in Berlin ein anderer Traum: ein Festival mit den bekanntesten „Zigeunermusikern“ Europas – das bis dato größte weltweit. Nach dem Festival sollten die Musiker noch in anderen Städten auftreten. Aber die meisten Sinti und Roma trauten sich nicht zu kommen – wegen Morddrohungen. „Wir spielten vor fast leeren Bänken“, sagt Rosenberg. Die ganze Tournee musste abgesagt werden. Im September zuvor hatte es in Hoyerswerda erste Angriffe auf Asylbewerberheime gegeben. Die Bevölkerung hatte einfach zugeguckt. Immer häufiger wurden jetzt auch Morddrohungen gegen „Zigeuner“ laut. Für die Sinti und Roma ein furchtbares Déjà-vu.
Aber es gab auch andere Erlebnisse: Ein Taxifahrer, der einen Musiker mit seinem Geigenkasten zum Konzert fuhr, entschuldigte sich im Namen der Deutschen dafür, wie die Sinti und Roma heute noch behandelt werden. Tief bewegt gab der Musiker die Worte des Taxifahreres auf der Bühne wieder: „Er sagte, er schäme sich für seine Landsleute.“
Menschen wie dieser Taxifahrer vermitteln auch Wolkly Rosenberg immer wieder das Gefühl, dass es ein gutes Miteinander gibt und geben könnte. Dazu gehört, dass er und seine Musiker-Freunde Brücken schlagen. „Mit Musik kann man Menschen am besten erreichen“, ist sein Kredo. Nicht umsonst heißt das Festival ja auch „Gipsy Vision“.
Birgit Müller
www.gipsyvision.de