Das „Cafée mit Herz“ auf dem Kiez wird fünf Jahre alt. Ohne seinen hartnäckigen Initiator Holger Hanisch wäre es nie eröffnet worden
(aus Hinz&Kunzt 142/Dezember 2004)
Wer in diesen Tagen Holger Hanisch und das „Cafée mit Herz“ besucht, kommt um eine Führung durch die neuen Räumlichkeiten nicht herum. „Mehr als 500 Stunden Eigenleistung haben wir erbracht“, sagt stolz der Initiator der Begegnungsstätte auf St. Pauli und zeigt auf ein Stück bröckelndes Mauerwerk, das noch der Sanierung harrt: „So sah das hier überall aus.“ Sechs Wochen haben der freundliche 54-Jährige und seine Mitstreiter „malocht“, 240 Quadratmeter bieten seitdem die renovierten Souterrainräume unter Haus 2 des ehemaligen Hafenkrankenhauses – endlich genug Platz für das Projekt, über das der Geschäftsführer, Koordinator, Spendensammler und Sozialarbeiter in Personalunion sagt: „Wir fangen Menschen auf, die auf dem Kiez landen, und das sind längst nicht nur Obdachlose.“
Ihnen zu helfen ist Holger Hanisch wichtig. Das mag an seiner Herkunft liegen wie auch an seiner Geschichte. Er habe die Armut früh kennen gelernt, sagt der gebürtige Hamburger über seine Kindheit im Karolinenviertel der frühen Fünfzigerjahre. Sein leiblicher Vater kam bei einem Autounfall ums Leben, da war er gerade mal zwei. Die Mutter steckte ihn ins Heim. Es war die Zeit, als Butter als Luxus galt und ein Stück Fleisch auf dem Tisch als Geschenk. Dem Stiefvater sei es zu verdanken gewesen, dass er als Siebenjähriger zur Familie zurückkehren durfte, erzählt Hanisch. Doch ein richtiges Zuhause habe er dort nicht mehr gefunden: „Wenn eine Mutter ihr Kind nicht liebt, bekommt man das zu spüren.“ Als 14-Jähriger ergreift er manchmal die Flucht. Irrt durch die Straßen und sucht eine Heimat, die ihm sein Elternhaus nicht bietet. Fragt hier nach Arbeit und dort nach Unterstützung und weiß nicht wohin. „Da hätte ich mir eine Anlaufstelle wie das Cafée mit Herz gewünscht“, sagt Holger Hanisch. Mit 16 packt er den Koffer. Er habe es einfach nicht mehr ertragen zu Hause.
Das Telefon klingelt. Der Koordinator möchte in diesen Tagen möglichst immer erreichbar sein, „wegen der Schuhaktion“, erklärt er. Wenigstens einmal im Jahr, zum Nikolaus, sollen die, die sich so vieles nicht leisten können, ein neues Kleidungsstück geschenkt bekommen, dieses Jahr Winterschuhe. Stolz führt Hanisch den Besucher in einen kleinen Lagerraum, in dem sich unterschiedliche Modelle in Schuhkartons und Kisten stapeln: „150 Paar haben wir beisammen. Doch wir brauchen noch mehr.“ Keine Frage, er und seine Helfer, darunter 40 Ehrenamtliche, werden auch das wuppen, bei der Unterstützung, die das Projekt genießt: 200 Fördermitglieder zählt der Verein mittlerweile und etliche Spender, darunter auch viele Geschäfte vom Kiez. Die Hamburger Tafel liefert täglich Lebensmittel, und auch das Spendenparlament hat schon geholfen.
Er sei nie einer gewesen, der „einfach die Hand aufhält“, sagt Hanisch. Lieber zieht der Mann mit dem ebenso charmanten wie glaubwürdigen Lächeln jeden Sonnabend mit der Büchse über den Kiez und sammelt Spenden, als eine Unterstützung bei der Sozialbehörde zu beantragen. Das sei zwar aufwändiger, zahle sich jedoch aus in Zeiten wie diesen: „Wir hatten nie staatliche Zuwendungen, die man uns wegkürzen kann.“ Noch aus anderem Grund ist Hanisch die finanzielle Unabhängigkeit von der Stadt wichtig: Er möchte „die Finger auf die Wunden legen“ können, wenn es ihm nötig erscheint. Will anprangern, wenn der Bezirk zu überteuerten Preisen schäbige Zimmer in „Läusepensionen“ auf dem Kiez anmietet, um dort Wohnungslose unterzubringen, wie es bis heute immer wieder geschieht. Oder wenn die Stadt Millionen in „Prestigeobjekte“ wie die Hafencity steckt, was unverständlich für einen wie Holger Hanisch ist, „wenn sozialen Einrichtungen gleichzeitig die Gelder gekürzt werden“. Also ruft er jedes Jahr im November zum „Bettlermarsch“ auf und fordert dort, „dass auch die, die nicht so stark sind, um ihre Rechte durchzusetzen, Hilfe bekommen“.
Der Kampf des „Gerechtigkeitsfanatikers“ (Hanisch über Hanisch) währt seit langem. Schon in seiner Jugend habe er nicht verstanden, „warum Spekulanten Häuser verfallen lassen können, wenn Wohnungsnot herrscht“. In den Siebzigern baute er Mieterinitiativen auf. Bei Philips, wo er 25 Jahre war und sich vom Boten zum Auftragssachbearbeiter hocharbeitete, engagierte er sich lange als Betriebsrat für Arbeitnehmer-rechte. Als dort „nichts mehr möglich war und ständig Arbeitsplätze wegrationalisiert wurden“, kündigte er. Seine letzten Gehälter habe er in den Aufbau der Initiative „Ein Stadtteil steht auf“ gesteckt, um das Hafenkrankenhaus zu retten. Aus den Erfahrungen während der Besetzung von Station D sei das „Cafée mit Herz“ entstanden: „Wir haben gemerkt, dass es auf dem Kiez Menschen gibt, die schnelle, unbürokratische Hilfe brauchen.“
Das ist die Mission des Holger Hanisch, und dafür lässt er zur Not auch die Prinzipien mal links liegen. Dass einige seiner Mitarbeiter mit zwei Euro stündlich zusätzlich zur staatlichen Hilfe bezahlt werden („gemeinnützige Arbeit“), obwohl sie vermutlich normal arbeiten wie andere Menschen auch, findet Hanisch zwar grundsätzlich auch „kritisch“. Doch hätten sich seine Mitarbeiter freiwillig dafür entschieden und zudem schon vorher fürs Projekt gearbeitet, ehrenamtlich. „Ich sehe die zwei Euro als Entschädigung für das, was sie leisten.“ Und so könne mancher wenigstens das U-Bahn-Ticket bezahlen und müsse nicht schwarzfahren, argumentiert der Helfer mit dem Sinn fürs Pragmatische und sagt: „Die Frage ist doch immer: Was bringt es dem Einzelnen?“