Kennedybrücke : „Das war unser Zuhause“

Vermutlich hat ein 17-Jähriger im Mai die Obdachlosen-Platte unter der Kennedybrücke angezündet. Die ehemaligen Bewohner haben das wenige, was sie besaßen, verloren.

(aus Hinz&Kunzt 244/Juni 2013)

Das FEUER unter der Kennedybrücke hat  alles vernichtet: Zelte, Kleidung, Schlafsäcke, Bücher. Zum Glück wurde niemand verletzt.
Das FEUER unter der Kennedybrücke hat
alles vernichtet: Zelte, Kleidung, Schlafsäcke, Bücher. Zum Glück wurde niemand verletzt.

Fritz ist den Tränen nahe. „Das da war mein Bett“, sagt er und zeigt auf ein verkohltes Metallgestell. „Das war unser Zuhause, mehr kann ich dazu nicht sagen.“ Mitbewohner Jürgen ist gefasster, aber auch er wird wehmütig: „Hier kommen Erinnerungen hoch …“ Sieben Menschen haben hier gelebt, jetzt ist die Platte unter der Kennedybrücke völlig zerstört: Asche und verkohlte Reste von Kleidung und Büchern liegen auf dem Boden. Es riecht verbrannt, die Brückenwand ist schwarz vor Ruß. „Als wir das hier gesehen haben, waren wir restlos bedient“, sagt Jürgen.

Die Polizei hat den mutmaßlichen Brandstifter gefasst: Ein 17-Jähriger soll das Feuer am 11. Mai gelegt haben. Er hatte mit anderen Jugendlichen in der Nähe der Brücke gezeltet. „Straßenkinder“ nennt sie die Polizei. „Er hat damit geprahlt, dass er die Zelte angezündet habe“, sagt Polizeisprecherin Ulrike Sweden. Die Tat habe er zugegeben. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen schwerer Brandstiftung.

Zum Glück hat niemand in den Zelten geschlafen, als das Feuer um sich griff. Kein Zufall: Die Bewohner hatten die Platte kurz vorher verlassen, weil sie von Jugendlichen bedroht worden waren. „Wir sind froh, dass niemand hier geschlafen hat“, sagt Jürgen. „Der hätte das nicht überlebt.“ Auch der Sachschaden bereitet ihm Kopfzerbrechen: Habseligkeiten im Wert von rund 8000 Euro sind vernichtet worden.

Zelte und Schlafsäcke kann man ­ersetzen, nicht aber Jürgens Zuhause: Ans Zurückkommen ist für ihn nicht zu denken. „Wir haben uns hier wohl und frei gefühlt“, sagt Jürgen, der fünf Jahre unter der Kennedybrücke gelebt hat. „Es ist uns nicht leichtgefallen, hier wegzugehen.“

Auch andere Hinz&Künztler sind wütend wegen der Brandstiftung. „Es gibt viele, die sehr betroffen sind“, sagt Moni. Die 31-Jährige schenkt im Vertrieb von Hinz&Kunzt jeden Nachmittag Kaffee an die Verkäufer aus und weiß, was diese bewegt. „Ich finde es erschreckend, wie niedrig die Hemmschwelle inzwischen ist“, sagt sie. Von Übergriffen auf Obdachlose hört sie öfter: Mal werden sie im Schlaf getreten, mal mit Cola übergossen. Statt sich zu wehren, würden die Opfer sich schämen. Viele hätten schon resigniert und nähmen die Übergriffe hin, ohne sich groß aufzuregen, sagt Moni: „Wenn du draußen pennst, bist du abgestumpft.“

100 Menschen haben sich auf einer Kundgebung mit den ehemaligen Platten-Bewohnern solidarisiert.
100 Menschen haben sich auf einer Kundgebung mit den ehemaligen Platten-Bewohnern solidarisiert.

Für Hinz&Künztler Sascha sind Übergriffe auf Obdachlose „rechtsradikale Dummheit“. Auf dem Land hätte er so eine Brandstiftung vielleicht noch für möglich gehalten. „Aber in einer Weltstadt wie Hamburg? Das verstehe ich nicht!“ Hinz&Künztler Balu ist so zornig, dass er keine Stellung nehmen will. Er zitiert dafür das Grundgesetz: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu schützen ist Aufgabe aller staatlichen Gewalt.“ Und Aufgabe von uns allen, sagt Balu: Die größte positive Gewalt gehe „von der gegenseitigen Achtung und Achtsamkeit aller aus“.

Erschüttert waren auch die Mitarbeiter von „Kids“. Sie sammelten spontan für die Gruppe unter der Brücke. Der Verein arbeitet mit Jugendlichen, die teilweise auch auf der Straße leben. Der Junge, der das Feuer gelegt haben soll, besuchte auch die Einrichtung. Die Sozialarbeiter Monika Peters und Malte Block besuchten Hinz&Kunzt, um das Geld persönlich zu überreichen. Und vor allem, um die Grüße vieler Jugendlicher auszurichten. „Wir alle können bis heute nicht verstehen, dass jemand zu so einer Tat fähig ist“, sagte Monika ­Peters. Jürgen war gerührt: „Das ist eine wirklich nette Geste.“

Text: Benjamin Laufer, Birgit Müller
Fotos: Mauricio Bustamante