In ihren Heimatländern leben sie oft in bitterer Armut, werden ausgegrenzt und diskriminiert: Immer mehr Roma kommen auf der Suche nach Arbeit nach Deutschland. Wie Valentina, 29 Jahre alt und Mutter von drei Kindern. Pure Geldnot hat sie vor fünf Jahren das erste Mal nach Hamburg getrieben. Jetzt verkauft sie Hinz&Kunzt.
In Gedanken trägt Valentina sie immer bei sich: Bianca, 13, Laura, zehn, und natürlich auch Dennis, dreieinhalb. In Wirklichkeit sind die Geschwister allerdings nicht bei ihrer Mutter. Die Roma-Familie stammt aus Bacau, Rumänien. Dort leben die Kinder. Mutter Valentina (29) und Vater Florian (37) sind in Hamburg und erzählen ihre Geschichte. Sie klagen nicht, sie lächeln den Trennungsschmerz weg. „Heute Abend telefonieren wir ja mit den Kindern“, beruhigt Valentina sich selbst. „Wie jeden Tag.“
Drei Monate wird das so gehen. Drei Monate, in denen Valentina in Hamburg lebt und arbeitet, bevor sie mit Florian zurück nach Rumänien fährt. Drei Monate, in denen Bianca dann für ihre jüngeren Geschwister die Mutterrolle übernimmt. In Rumänien beginnt das Erwachsensein früh: Bianca ist erst 13, doch sie kocht und wäscht und putzt, denn die Kinder leben in dieser Zeit allein. Wenn ihre Eltern zurückkommen, bleiben der Familie nur wenige gemeinsame Wochen, dann beginnt alles von vorn: drei Monate Hamburg, ein Monat Bacau – solange, bis Valentina und Florian genügend Geld für ein eigenes Zuhause gespart haben.
Pure Geldnot hat die beiden vor fünf Jahren das erste Mal nach Hamburg getrieben. „Hätten wir keine Probleme, wären wir ja nicht hier“, sagt Florian lapidar. Wie ihm und Valentina geht es vielen Südosteuropäern, Rumänen und Bulgaren, besonders hart trifft es die Roma. Sie gehören in ihren Heimatländern zu den am meisten sozial benachteiligten Gruppen, werden als „Zigeuner“ ausgegrenzt und diskriminiert. Viele von ihnen leben in Armut, haben keinen Zugang zum Gesundheitssystem, keinen Zugang zu Bildung und damit auch keine Perspektive auf dem Arbeitsmarkt.
Auf der Suche nach Jobs kommen deshalb immer mehr von ihnen nach Deutschland. Als EU-Bürger dürfen sie zwar einreisen, so oft sie wollen – doch sie dürfen nur drei Monate bleiben und bekommen auch keine Arbeitserlaubnis, erst ab 2014 gilt für Rumänen die volle Arbeitsfreiheit in Deutschland. Die meisten suchen deshalb als Tagelöhner Jobs auf dem Schwarzmarkt, für drei Euro Stundenlohn oder noch weniger arbeiten sie auf dem Bau, sie sortieren Müll, sie putzen. Viele werden von ihren Arbeitgebern ausgebeutet und manche zahlen bis zu 150 Euro im Monat für einen Schlafplatz, bei dem es sich oft nur um eine versiffte Matratze handelt, in einem Raum, den sie sich mit mehreren Leuten teilen müssen (siehe hierzu auch den Artikel „Die Hoffnungsreisenden“).
„Niemand würde sich so etwas freiwillig antun“, sagt Valentina. In Hamburg jobbte sie zunächst zwei Wochen als Putzfrau in einer Wohnung: „Dort wurden mir acht Euro Stundenlohn versprochen“, sagt sie. „Am Ende habe ich aber gar nichts bekommen.“ Später lernte sie zufällig einen Hinz&Kunzt-Verkäufer kennen und fragte im Vertrieb, ob sie ebenfalls verkaufen dürfte. Schon seit einigen Monaten bekommt Hinz&Kunzt vermehrt Anfragen von Roma, die den Straßenzeitungsverkauf als einzige Chance ansehen. Im Sommer hat Hinz&Kunzt deshalb beschlossen, eine begrenzte Anzahl von Verkäuferausweisen an Roma auszustellen. „Wir wollen damit auf die Notsituation der Roma aufmerksam machen“, sagt Hinz&Kunzt-Geschäftsführer Jens Ade. „Ihr Schicksal findet bislang noch viel zu wenig Beachtung.“
Wie begehrt die Hinz&Kunzt-Ausweise sind, zeigte sich schnell: Ratzfatz waren die 20 Plätze weg, mittlerweile stehen schon genauso viele Roma auf einer Warteliste. „Jeder von ihnen ist wichtig, jeder hat eine Geschichte“, sagt Jens Ade. „Aber wir können leider nicht allen helfen. Die starke Nachfrage übersteigt einfach unsere Möglichkeiten.“
Valentina hatte Glück, sie war eine der ersten Roma mit Verkäuferausweis, sie mag diese Arbeit, den Kontakt zu Menschen: „Von Anfang an waren alle freundlich zu mir“, sagt sie. Durch Gespräche mit Kunden hat sie bereits ein paar Brocken Deutsch gelernt, seit einiger Zeit trägt sie außerdem immer ein Wörterbuch bei sich.
Zu Hause in Rumänien hat sie sogar acht Jahre lang die Schule besucht, dann musste sie abgehen: „Zu teuer. Meine Eltern konnten das Schulgeld nicht mehr bezahlen.“ Bei Florian reichte das Geld immerhin für zehn Jahre, plus ein Jahr Berufsschule. Bei der Frage nach einer Ausbildung schütteln allerdings beide den Kopf: „So etwas gab es bei uns im Ort gar nicht. Bei uns ist es üblich, dass jeder da anpackt, wo er gebraucht wird.“ Für das junge Paar hieß das nach ihrer Heirat: arbeiten in der Landwirtschaft. Harte Arbeit – und trotzdem reichte das Geld hinten und vorne nicht.
Valentina glaubt, dass sie das Richtige tut. Die Miete für ihre Wohnung, das Schulgeld für die Kinder und die Lebensmittel, ihre Busreisen von und nach Hamburg sowie den Aufenthalt hier – das alles bezahlen Valentina und Florian mit dem Geld vom Hinz&Kunzt-Verkauf. Fünf Euro pro Nacht und pro Person kostet sie allein ihr Zimmer zur Untermiete in Harburg, das sie mit Florians Schwester teilen. Sie dürfen hier weder kochen noch waschen, der Vermieter könnte sie jeden Tag rausschmeißen. Trotzdem betonen Valentina und Florian, wie dankbar sie sind. „Unsere Tochter Laura musste am Herzen operiert werden“, erzählt Valentina. Sie ist sicher: „Ohne Arbeit in Deutschland hätten wir die Behandlung niemals abbezahlen können.“
Wenn sie an die Zukunft denkt, zeigt sie sich voller Hoffnung. Sie sieht ihre Kinder, wie sie zur Schule gehen, lernen, mit besseren Chancen ins Leben starten. Sie sieht die ganze Familie in einem Haus, am liebsten in Deutschland, sonst eben in Rumänien. „Hauptsache“, sagt sie, „wir sind alle zusammen.“
Text: Maren Albertsen
Foto: Dmitrij Leltschuk