Unternehmer Ulf Reyher baut bezahlbare Wohnungen – zum Beispiel am Doormannsweg in Eimsbüttel. Am liebsten würde er das viel öfter tun. Aber er stößt nicht selten auf Hindernisse: Alte Bebauungspläne, enge Vorschriften und uneinige Behörden behindern Neubauprojekte in der Stadt.
(aus Hinz&Kunzt 227/Januar 2012)
5,60 oder 14 Euro kalt pro Quadratmeter: So stark schwankt der Mietpreis am Doormannsweg in Eimsbüttel innerhalb weniger Meter. Im Haus Nummer 29 hat eine Immobiliengesellschaft „Komfort-Wohnungen“ gebaut, 1035 Euro Kaltmiete soll der Gutverdiener hier zum Beispiel für 74 Quadratmeter überweisen. Direkt nebenan wohnen Menschen mit wenig Geld in neuen Sozialwohnungen, die Ulf Reyher und seine Firma „R4“ haben errichten lassen. Hier kostet eine gleich große Wohnung nur 414,40 Euro kalt. Als die „Morgenpost“ über das Projekt berichtet, bewerben sich innerhalb weniger Tage 2000 Menschen. Kann ein Investor von solchen Mieten leben?
Ulf Reyher steht auf dem Dach des Neubaus, erfreut sich am weiten Blick bis zu Michel und Elbphilharmonie und nickt. „Die Frage ist: Wie gierig bin ich? Mir ist kleines, solides Geld lieber als schnelles, spekulatives Geld“, sagt der 45-Jährige. „Wir wollten Wohnungen bauen, die auch in zehn oder 20 Jahren noch nachgefragt werden.“ Drei Prozent Umsatzrendite habe er veranschlagt. „Wir haben keinen Riesenapparat – und können unsere Häuser handwerklich selbst betreuen.“
„R4“ hat ihren Ursprung in der Firma Walter Reyher, einer Sanitärtechnikfirma mit 70 Mitarbeitern, und ihr Geschäftsführer, ein freundlicher wie zurückhaltender Mann, sagt über sich: „Ich bin zu 90 Prozent Handwerker und zu zehn Prozent Immobilienunternehmer.“ Um am Doormannsweg kein Minusgeschäft zu machen, haben Reyher und seine Mitarbeiter sich etwas einfallen lassen: Das Erdgeschoss wird an Gewerbetreibende vermietet, und auf die Flachdächer haben sie geräuumige Penthouse-Wohnungen für Gutbetuchte gebaut. Die bezahlen deutlich mehr – und sorgen so dafür, dass das Projekt überhaupt verwirklicht werden konnte. „Anders wäre es nicht gegangen – trotz günstiger Darlehen von der Wohnungsbaukreditanstalt.“
Oft verhindern veraltete Bebauungspläne neue Wohnungen
Reyher ist stolz, dass er es geschafft hat, in begehrter Lage preiswerte Wohnungen zu bauen. Er weiß aber auch, dass die Erfolgsgeschichte die Ausnahme von der Regel ist: „Hier sind die Behörden über ihren Schatten gesprungen, haben uns zum Beispiel höher bauen lassen als gewöhnlich. Viele Genehmigungsverfahren stecken aber in brutal engen Regularien, die sinnlos und überkommen sind.“
Zum Beispiel in Barmbek. Am Ufer des Osterbekkanals lässt sich gut wohnen und arbeiten, denkt Ulf Reyher im Sommer 2009. Zehn Wohnbüros für Existenzgründer will er am Alten Teichweg errichten lassen. Doch gibt es ein Problem: Der Bebauungsplan aus dem Jahr 1966 sieht hier ausschließlich Gewerbebebauung vor. Reyher bekommt im Frühjahr 2010 signalisiert, dass seine Pläne keine Aussicht auf Genehmigung haben. Offenbar will die Wirtschaftsbehörde das Gewerbegebiet erhalten. Nun hat Reyher Büros gebaut – grotesk angesichts von mehr als eine Million Quadratmeter leerstehender Gewerbeflächen in der Stadt.
„Die alten Bebauungspläne müssen heutigen Standards angepasst werden“, meint Nils Clasen. Der Architekt und Stadtplaner, der seit Jahrzehnten mit den Verhältnissen in Hamburg vertraut ist, weiß, woran es vor allem hakt: „Wir brauchen mehr Personal in den Ämtern.“ Denn die Überarbeitung der alten Bebauungspläne – manche stammen aus den 1930er-Jahren – ist sehr aufwendig. Und so alt die Pläne auch sind: Sie haben Gesetzeskraft – und behindern Neubau immer wieder. Zudem sind, so Clasen, viele städtische Mitarbeiter mit Prestigeprojekten der Politik beschäftigt: „Der Fokus liegt auf der Hafencity. In den Bezirken fehlen die Mitarbeiter aber nach wie vor.“ Immerhin: 14 Mitarbeiter aus dem Amt für Landschaftsplanung hat der neue Senat in die Bauämter geschickt. Sie sollen die Genehmigungsverfahren beschleunigen.
Doch liegt es nicht nur an fehlendem Personal. In der Ackermannstraße in Hohenfelde will Ulf Reyher anstelle eines einstöckigen Gewerbebaus ein fünfstöckiges Wohnhaus plus Dachgeschoss errichten. Ob er das genehmigt bekommt, steht in den Sternen. Auch hier würde er vom uralten Bebauungsplan abweichen. Für Reyher ist die Hängepartie ein durchaus typischer Fall: „Die Behörden wollen keine formalen Fehler machen, um sich nicht Schadenersatzforderungen einzuhandeln. Die Folge ist aber, dass das Projekt teurer wird – und die Mieten damit steigen.“
Richtig wütend wird der Vater von vier Kindern, wenn er die Geschichte des gescheiterten Umbaus in der Stückenstraße in Barmbek erzählt. Aus einem leerstehenden Bürohaus, das zuletzt ein Zahnlabor genutzt hatte, wollte Reyher gemeinsam mit der Pestalozzi- Stiftung ein Wohnprojekt für gehandicapte Jugendliche machen. Das Vorhaben scheiterte nach längerem Hin und Her, weil der geplante zweite Rettungsweg für den Brandfall den behördlichen Anforderungen nicht genügte. Für den Investor eine unverständliche Entscheidung: „Früher haben dort 25 Leute jeden Tag mit Feuer gearbeitet. Da war die Brandgefahr sicher größer.“
Der Wind des Wandels, meint Ulf Reyher, habe die Bauämter noch nicht erreicht – aus seiner Sicht wenig überraschend: „Wenn Sie angestellt sind und Ihr Chef gibt neue Richtlinien aus, verändert sich ja auch nicht gleich Ihre Sichtweise!“ Aktuelle Zahlen aus dem Statistikamt Nord geben jedoch Anlass zur Hoffnung. Demnach haben die Bezirke in den ersten neun Monaten vergangenen Jahres Baugenehmigungen für 3698 Wohnungen erteilt – gegenüber dem Vergleichszeitraum 2010 eine Steigerung um fast 25 Prozent.
Ulf Reyher würde jederzeit wieder Sozialwohnungen bauen. Es müssten dafür, sagt er, aber einige Dinge zusammenkommen: „Das Grundstück darf nicht so teuer sein. Die Stadt muss sagen: Ihr dürft so hoch bauen. Und die Kredite müssen günstig sein.
Text: Ulrich Jonas
Foto: Hannah Schuh
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3520 Wohnungen wurden 2010 in Hamburg gebaut, darunter 1096 in Ein- und Zweifamilienhäusern und 1955 in Mietshäusern, so das Statistikamt Nord. Zahlen für 2011 liegen noch nicht vor. Sozialer Wohnungsbau wird von der Wohnungsbaukreditanstalt gefördert. Sie bewilligte 2010 Darlehen und Zuschüsse für rund 1500 Sozialwohnungen, nach dem Willen des SPD-Senats sollen es künftig 2000 werden. Jedoch fallen jedes Jahr rund 5000 Sozialwohnungen aus der Mietpreisbindung.