In der Sozialklinik Elliniko behandeln rund 200 Ärzte aller Fachrichtungen ehrenamtlich Patienten ohne Krankenversicherung. Giorgos Vichas hat das Projekt 2011 in Athen gegründet, weil er den medizinischen Notstand im Land nicht mehr ertragen konnte.
(aus Hinz&Kunzt 269/Juli 2015)
Hinz&Kunzt: Was sind die schlimmsten Fälle, mit denen Sie es hier zu tun haben?
DR. GIORGOS VICHAS: Da sind zunächst die Krebspatienten und andere chronisch Kranke. In den letzten drei, vier Jahren wurden sie teilweise nicht mehr operiert oder bekamen keine Medikamente mehr. Viele starben. Immerhin: Seit September 2012 kooperieren wir mit einer anderen Klinik, die Krebspatienten ehrenamtlich behandelt.
Sie wirken sehr belastet.
Ich bin Arzt und einiges gewohnt. Neulich kam aber eine Krebspatientin, die vor sechs Monaten ihre Diagnose bekommen hatte. Sie war nicht mehr krankenversichert und war entsprechend nicht behandelt worden. Als sie zu uns kam, sah ich den Krebs mit bloßem Auge. Solche Bilder habe ich nicht einmal in Lehrbüchern gesehen. Die Frau ist gestorben. Die andere Gruppe von tragischen Fällen sind die Babys. Wir haben Babys gehabt, die mit drei, vier, fünf, ja sogar sechs Monaten nicht so viel wogen wie am Tag ihrer Geburt.
Das waren bestimmt Flüchtlinge, oder?
Wir unterscheiden eigentlich nicht zwischen Flüchtlingen und Griechen. Aber die Fälle, von denen ich gerade spreche, waren griechische Babys. So etwas ist kaum zu ertragen.
Gab es eine Initialzündung, warum Sie das Krankenhaus gegründet haben?
Ich arbeite ja als Kardiologe in einem öffentlichen Krankenhaus. Im Mai 2011 kam ein Patient zu mir. Ich hatte ihn sechs Monate nicht gesehen. Er hatte wieder einen Herzinfarkt gehabt, aber seine Krankenversicherung verloren und konnte die Medikamente nicht bezahlen, also hatte er auch keine genommen. Da sagte ich zu mir: Du kennst jetzt das Problem, du musst jetzt handeln. Wenn du nichts tust, bist du mitverantwortlich.
„Wenn du nichts tust, bist du mitverantwortlich“
Stimmt es, dass seit der Krise mehr Menschen sterben, die in normalen Zeiten nicht gestorben wären?
Die Sterblichkeit ist durch die Krise und die damit verbundenen Sparmaßnahmen enorm gestiegen.
Gibt es bestimmte Krankheitsbilder, die durch die Krise verursacht werden?
Die Zahl der Herzinfarkte und Schlaganfälle ist gestiegen, auch die Zahl der Menschen, die daran sterben. Die Kindersterblichkeit ist ebenfalls gestiegen. Und fast jeder, der zu uns kommt mit Bluthochdruck oder Herzbeschwerden, hat auch psychische Probleme. Er hat seinen Job verloren oder keine Kranken- versicherung. Wir haben hier auch sieben Psychologen und zwei Psychiater. Die Termine sind immer ausgebucht.
Glauben Sie, dass die neue Regierung etwas verändern kann?
Ich hoffe das sehr. Immerhin haben sich viele, die jetzt Minister sind, persönlich engagiert und halfen, wo sie konnten. Ich weiß, dass jeder von ihnen etwas verändern will. Aber ich weiß nicht, ob es ihnen gelingt.
Es gibt inzwischen ja ein neues Gesetz: Alle Menschen haben die Möglichkeit, eine Behandlung zu bekommen.
Aber die Situation in den öffentlichen Krankenhäusern ist unglaublich, die haben teilweise noch nicht einmal mehr Bettlaken. Im vergangenen Monat ha- ben wir von unseren Spenden zwei Lkw-Ladungen an Medikamenten und Material an öffentliche Krankenhäuser abgegeben, die nichts mehr hatten.
Sie arbeiten aber auch noch weiterhin in einem öffentlichen Krankenhaus?
Ja, wenn auch unter schwierigen Bedingungen, wir haben noch nicht mal Toilettenpapier.
Gibt es etwas, was Sie sich von den Deutschen wünschen?
Die Hilfe, die wir privat von Menschen aus Deutschland erfahren haben, ist wirklich wichtig. Das Wichtigste aber ist, dass endlich Schluss gemacht wird mit dieser Art der Sparpolitik. Das kostet die Gesundheit der Menschen.
Mehr zur Sozialklinik Elliniko und dem Hamburger Förder- und Freundeskreis unter www.engagement-ohne-grenzen.de und www.mkiellinikou.org/en/ (auf Englisch)
Text: Birgit Müller
Foto: Nikos Pilos