Im Mai und Juni konnten unsere Verkäufer*innen wegen der Coronapandemie keine Magazine verkaufen. Geldsorgen, Einsamkeit und kleine Freuden – was Hinz&Künztler*innen gerade beschäftigt.
Matthias, 60, wohnt in einer Wohnung.
Verkaufsplatz: U-Bahn Ritterstraße
„Immerhin fühle ich mich nicht allein. Gleich bringe ich einen Brief zur Post. Eine Kundin hatte mir geschrieben und gefragt, wie es mir geht. Den Brief habe ich jetzt beantwortet. Und ich bin jetzt viel mit Marcel (einem anderen Hinz&Künztler, Anmerkung der Redaktion, siehe unten) zusammen. Uns hat Corona zusammengebracht. Morgens begleite ich ihn zur Drogenambulanz, deswegen komme ich auch früh raus. Wie unsere Coronagemeinschaft zustande gekommen ist, weiß ich gar nicht so genau. Es hat sich so ergeben, wir stehen im Moment auch manchmal finanziell füreinander ein.
Wichtig ist für mich, dass ich mich nicht langweile. Denn Langeweile hat bei mir die Alkoholsucht gefördert. Da wir viel zusammen unternehmen und machen, besteht keine Gefahr, dass ich rückfällig werde, obwohl Marcel das ein oder andere Bier trinkt. Aber das stört mich nicht. Jetzt habe ich für euch noch einen Wunsch: Bleibt gesund!“
Marcel, 37, wohnt in einer Wohnung.
Verkauft an unterschiedlichen Orten in der Innenstadt
„Zum Glück bin ich ja jetzt meistens mit Matthias (einem anderen Hinz&Künztler, siehe oben) zusammen. Das Wetter ist ja gut, neulich sind wir richtig lange im Stadtpark spazieren gegangen. Wir hören zusammen Radio und schauen fern, aber so viel fernsehen kann man ja gar nicht. Deswegen machen wir jetzt oft, was man gemacht hat, bevor alle einen Fernseher hatten. Wir haben uns Rätselhefte gekauft und Comics – und wir spielen. Das Einzige, was ich wirklich vermisse, ist meine Familie. Ich kann meine Mutter nicht sehen, meine Nichte und meinen Neffen auch nicht, die leben in Mecklenburg-Vorpommern. Ostern hätte ich bestimmt mit ihnen verbracht. Jetzt haben wir eben per Skype gefeiert. Und auch gespielt: Stadt–Land–Fluss beispielsweise, das macht total Spaß. An Corona gibt es aber auch positive Aspekte: Die Menschen achten mehr auf sich. Das finde ich gut.“
„Ich bin absolut glücklich gerade. Vor ein paar Wochen habe ich noch auf der Straße geschlafen, dann ein paar Wochen im Hinz&Kunzt-Winter- programm – und jetzt habe ich mit meinem Hund eine eigene Wohnung bekommen. Das Haus ist hellhörig. Aber das stört mich gar nicht. Ich brauche das, dass ich was höre. Auf der Straße war ich es gewohnt, dass es immer Geräusche gab: Menschen, die geredet haben, Autos … Deswegen bin ich fast froh, wenn der Nachbar laut Fernsehen guckt. Ich höre die Autos, weil das Haus neben der Autobahnauffahrt ist. Vielleicht konnte ich sogar deshalb schon in der ersten Nacht so entspannt schlafen. Und morgens hier aufwachen! Herrlich. Kein Security-Mann, der einen auf der Platte weckt: ,Aufstehen, es ist 7 Uhr!‘ Jeden Tag koche ich, mindestens einmal am Tag. Und sogar King ist viel ruhiger geworden. Er hat schon ein paar Lieblingsplätze in der Wohnung gefunden und ist froh, dass man nach dem Aufwachen nicht sofort los muss.“
„Gerade ist nur Zu-Hause-Rumsitzen und Einkaufen angesagt“, sagt Hinz&Künztler Golem: „Aber bei mir ist alles gut soweit.“ Dabei hätte der 52-Jährige, der zusammen mit seinem Freund, Hinz&Kunzt- und Bandkollegen Jörg in Berne wohnt, allen Grund, Trübsal zu blasen: Mit ihrer Band U.E.D.L. (siehe Hinz&Kunzt Nr. 323) war für Anfang Mai ein Auftritt geplant – der erste seit Jahren. Der fällt nun flach. Doch Golem nimmt es mit Humor: „Der Rock-’n’-Roll-Gott hatte wohl Schiss, dass wir zu gut sind“, sagt er und lacht. Ärgerlich außerdem: Anfang April hätte Golem einen Teilzeitjob als Tierpfleger in einem Streichelzoo antreten sollen. Auch daraus wurde wegen Corona erst einmal nichts. Sein künftiger Chef hat ihm aber schon versichert, dass er den Job auf jeden Fall bekommt – nur eben mit etwas Verspätung. Für die Überlebenshilfe von Hinz&Kunzt ist er dankbar: „Der Hunni hat mich echt gerettet!“ Was das Geld nicht ersetzen kann, ist der Kontakt zu seinen Kund*innen: „Aber einer hat angerufen und wollte hören, wie es mir geht. Das fand ich richtig klasse!“
„Ich bin so froh, wenn es wieder losgeht. Jeden Tag zu Hause sein, das ist schlimm. Vor allem für meine Tochter. Sie hatte erst Ferien und jetzt ist immer noch frei. Wir haben von der Schule Post bekommen mit Hausaufgaben, und die machen wir zusammen. Aber meine Tochter ist so traurig, weil sie nicht versteht, was das Coronavirus ist. ‚Warum muss ich jeden Tag zu Hause sein?‘, fragt sie ständig. Sie ist zehn Jahre alt und geht in die 4. Klasse. Sie geht so gerne in die Schule, vor allem, weil dort ihre Freundinnen sind. Da, wo wir wohnen, hat sie keine Freundin. Die Schule ist zu weit weg. Sie hat zwar einen kleinen Bruder, aber der ist erst acht Monate alt, und mit ihm kann sie noch nicht viel spielen.“
„Ich vermisse den Alltag, den ich in normalen Zeiten hatte. Jeden Tag ins Büro zu gehen, die fröhliche Begrüßung von Siggi: ‚Wie ist das Befinden, junge Frau?‘ Ich vermisse auch meine Klient*innen, obwohl wir täglich telefonieren. Unsere Rumän*innen sind sehr besorgt. Die wenigsten verdienen jetzt noch Geld, wenn, dann als Reinigungskraft. Die Überlebenshilfe aus dem Corona-Fonds war für sie ganz wichtig. Sie haben sich aus tiefstem Herzen bedankt. Ihnen fehlt aber nicht nur die Arbeit, sie sorgen sich um ihre Familien in der Heimat. Keiner ist zurück nach Rumänien gefahren – nicht einmal an Ostern. Sie können es sich einfach nicht leisten. Umgekehrt werden aber auch sie vermisst. Mich haben bereits mehrere Kund*innen angerufen und sich erkundigt, wie es ‚ihren‘ Verkäufer*innen ergeht.“
Claudia, 58, wohnt in einer Wohnung.
Verkaufsplatz: Bergedorf beim CCB (möchte kein Foto)
„Finanziell geht es mir sehr schlecht, es war gerade eine große Hilfe für mich, dass ich das Geld von Hinz&Kunzt bekommen habe. Aber mir fehlt auch der Kontakt zu meinen Kunden. Auf meinem Verkaufsplatz in Bergedorf bin ich schon seit zwölf Jahren. Normalerweise bleiben immer sehr viele Leute bei mir stehen und unterhalten sich mit mir, auch über persönliche Dinge. Da verging die Zeit immer schnell. Noch bevor Hinz&Kunzt den Verkauf gestoppt hat, habe ich mich entschlossen, nicht mehr zu verkaufen. Ich gehöre selbst zur Risikogruppe, und viele meiner Kunden sind ältere Leute. Ich wollte nicht, dass wir uns gegenseitig anstecken – und ich wollte auch kein schlechtes Gewissen haben. Aber ich fühl mich schon oft allein. Wenn endlich alles vorbei wäre, das wäre schön!“
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