Die einen speisen in teuren Restaurants, die anderen haben nichts zu beißen. Wie groß das soziale Gefälle in Hamburg ist, zeigt ein neues Buch. Es schockt mit Fakten und macht Mut mit Ideen für eine gerechte Stadt. Ein Gespräch mit Herausgeber Klaus Wicher.
Hinz&Kunzt: Sie berichten in ihrem Buch „Armes Reiches Hamburg“ sowohl über Superreiche als auch über Bettelarme, also über beide Extreme. Weshalb?
Klaus Wicher: Weil die Stadt sozial gespalten ist: Auf der einen Seite gibt es nirgendwo in Deutschland so viele Millionäre wie hier – rund 20.000 Finanzvermögens-Millionäre. Auf der anderen Seite leben 300.000 Menschen in Armut, 55.000 sind Kinder. Das ist ein sozialer Skandal. Wir wollen aber vor allem mit dem Buch das Thema Armut stärker in die öffentliche Diskussion zu bringen.
Hinz&Kunzt: Ein Kapitel beschäftigt sich mit den Tafeln. Laut aktuellen Zahlen nutzen 1,3 Millionen Menschen sie regelmäßig. Ihr Autor Wolfgang Völker spricht von einer „sozialpolitischen Herausforderung“. Was heißt das?
Wicher: Er weist zunächst einmal darauf hin, dass immer mehr Menschen die Tafeln nutzen. In Hamburg sind es schätzungsweise 30.000, Tendenz steigend. Völker klagt die Sozialpolitiker klar an und sagt: Ihr habt hier versagt. Es ist in der Realität doch so, dass die Tafeln Sozialpolitik machen, was eigentlich nicht ihre Aufgabe ist.
Hinz&Kunzt: Was ist das derzeit drängendste Problem für arme Menschen in der Stadt?
Wicher: Das Hauptproblem armer Menschen ist natürlich in erster Linie, dass sie zu wenig Geld haben, das muss man ändern. Etwa, indem man einen Mindestlohn von 9 Euro einführt. Und den Hartz-IV-Satz erhöht. Was mir aber wichtig ist: Es wird immer von einem Existenzminimum geredet. Damit kann man aber auch nur existieren. Eine gesellschaftliche Teilhabe ist damit nicht möglich.
Hinz&Kunzt: Und wie könnte eine gerechtere Stadt für alle aussehen?
Wicher: Das Problem ist: Die Kassen sind leer. Daraus resultiert der Sparzwang. Man muss aber Mittel bereitstellen. Daher muss man die stärker belasten, die mehr haben. Das kann man über eine andere Steuerpolitik erreichen. Zum Beispiel, indem man den Spitzensteuersatz erhöht. Der Sozialverband Deutschland fordert die Wiedereinführung der Vermögenssteuer sowie eine Erbschaftssteuer. Eine Transaktionssteuer ist überfällig. Man muss das mal vorstellen, jeden Tag werden an den Börsen 2 Billionen Euro umgesetzt, und niemand zahlt darauf Steuern. Von all diesen Maßnahmen würde die öffentliche Hand profitieren: 75 Millarden Euro könnten so zusammen kommen. Dann hätte Deutschland keine Schulden mehr und es wäre genug Geld für alle da.
Zur Person
Klaus Wicher ist 1. Vorsitzender des Sozialverbands Deutschland e.V. (SoVD) im Landesverband Hamburg. Gemeinsam mit Gerd Pohl hat er das Buch „Armes Reiches Hamburg“ herausgegeben, in dem zehn Autoren über Themen wie Kinder- und Altersarmut, Wohnungsnot, Niedriglöhne und Hamburgs Reiche und Superreiche schreiben.
Interview: Simone Deckner
Foto: privat
Gerd Pohl/Klaus Wicher (Hrsg.): „Armes Reiches Hamburg. Metropole zwischen Wohlstand und Armut.“ 192 Seiten, 14,80 Euro, ISBN 978-3-89965-471-4, Hamburg (VSA 2011)