Sighard Neckel schreibt in seiner Kolumne, warum das „Recht auf Reparatur“ gestärkt gehört.
Im Frühjahr 1926 flieht der marxistische Nationalökonom Alfred Sohn-Rethel aus dem grauen Berlin in die Sonne Neapels, wo er auf seinen Streifzügen durch die Stadt mit zunehmender Neugier das eigensinnige Alltagsleben der Neapolitaner studiert. Besonders fasziniert ihn der listige Umgang mit der Technik, den er hier beobachten kann. Das perfekte Funktionieren, sei es einer Maschine oder von Motorrädern, lasse die Neapolitaner vollkommen kalt. Im Gegenteil scheine alles, was schon von sich aus einwandfrei klappt, geradezu unheimlich zu sein. Eine höhere Macht der Dinge will in Neapel kaum jemand akzeptieren, weshalb allein das Geschick, mit der man die Tücken eines Objekts überwindet, allgemeine Bewunderung findet. Sohn-Rethel nennt dies das „Ideal des Kaputten“: Alles, was nicht (mehr) intakt ist, wird mit Improvisationskunst wieder zum Laufen gebracht. Statt in Ehrfurcht vor der Technik zu erstarren, wird der persönliche Stolz gerade darin gesehen, ihr ein Schnippchen zu schlagen.
Heute ist unser Alltag von solchen italienischen Momenten weit entfernt. Aus der Ehrfurcht vor der technischen Welt – in Neapel verschmäht – ist schlichte Achtlosigkeit geworden, weil man kaputte Dinge einfach wegwerfen und sich neue anschaffen kann. Waschmaschinen, Fernseher, Küchengeräte, Handys oder Computer landen heute schneller denn je auf dem Müll. Pro Kopf fallen in Deutschland jährlich 22 Kilo Elektroschrott an, von dem nicht einmal die Hälfte recycelt wird. Der toxische Rest türmt sich auf Deponien. Nach Prognosen der OECD könnte die Herstellung ständig neuer Geräte wie Laptops oder Smartphones im nächsten Jahrzehnt bereits ein Siebtel der weltweiten Schadstoff-Emissionen ausmachen. Viele Elektrogeräte werden nicht für eine lange Nutzung entwickelt, sondern für den schnellen Verschleiß. Wenn der Akku vom Handy kaputt ist, soll sich die Kundin gefälligst ein neues kaufen.
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