Etwa 80 Afrikaner haben in der St.-Pauli-Kirche Zuflucht gefunden. Sie hoffen auf ein Bleiberecht. Viele Bewohner auf St. Pauli empfangen die Flüchtlinge mit offenen Armen. Jeden Tag kommen zahlreiche Menschen, einfach nur, um zu helfen.
„Wenn mich vorher jemand gefragt hätte, kannst du dich ehrenamtlich einbringen“, erzählt Massimo Vazquez Faya, „kann es sein, dass ich aus Faulheit abgesagt hätte. Jetzt ist das was anderes. Hier, das ist greifbar.“ Der 24-Jährige ist einer der zahlreichen Helfer, die jeden Tag auf das Gelände der St.-Pauli-Kirche unweit des Hamburger Hafens kommen. Gemeinsam kümmern sie sich um etwa 80 Flüchtlinge aus Afrika, die dort eine Bleibe gefunden haben, vorläufig jedenfalls. Seit mehr als zwei Monaten schlafen, essen, diskutieren sie dort. Sie spielen Fußball, lernen Deutsch, versuchen zur Ruhe zu kommen.
Die Unterstützung auf St. Pauli ist überwältigend: Anwohner und Helfer waschen die Wäsche und begleiten die Flüchtlinge beim Arztbesuch. „Anfangs habe ich Deutschkurse angeboten“, sagt Anne Steffen. Inzwischen ist die 22-Jährige täglich da und packt mit an, wo Hilfe benötigt wird. Einige Nachbarn bringen gerne Essen vorbei. Anne Steffen muss lachen: „Ich habe in den letzten Wochen mehr Kuchen probiert, als in meinem ganzen Leben zuvor.“ Das soziale Engagement und die Arbeit mit den Flüchtlingen gefallen ihr. „Ich überlege sogar, dass ich in die Richtung noch mal studiere.“
Wenn Anne Steffen abends nach Hause geht, rückt bereits die nächste Schicht an. Auch nachts lassen die Helfer die Kirche nicht unbewacht. „Wir wollen unsere Gäste in Sicherheit wissen“, erklärt Pastor Sieghard Wilm. Verlassen kann er sich dabei auf Hotte Kriegel. Jede Nacht hält er Wache vor der Kirche. „Ich bin sowieso eher ein Nachtfalter“, erklärt der 54-Jährige, der sonst als DJ oder Türsteher arbeitet. In Hamburg gebe es leider auch Menschen, die es nicht gut fänden, dass Flüchtlingen Unterkunft geboten werde. „Die Jungs wissen, hier ist jemand, der passt auf sie auf“, erzählt Kriegel. „Und ab dem Moment können sie gut pennen.“
Für die Afrikaner ist St. Pauli die letzte Station einer langen Flucht. In der Hoffnung auf ein besseres Leben verließen die Männer ihre Heimatländer Richtung Libyen. Sie stammen fast alle aus Westafrika – aus Ghana, Mali, Nigeria, der Elfenbeinküste. „Viele starben auf dem Weg durch die Wüste. Viele starben in Libyen“, erzählt Bright, 30, einer der Flüchtlinge. In dem nordafrikanischen Land hatten sie endlich Arbeit gefunden. Einige arbeiteten auf dem Bau, einige als Taxifahrer, Bright als Fliesenleger. Sie konnten leben von ihrem Gehalt. Doch als vor zwei Jahren der Bürgerkrieg ausbrach, mussten sie erneut fliehen. Der gebürtige Ivorer erzählt von der Überfahrt auf die italienische Insel Lampedusa. Er wollte Krieg und Verfolgung hinter sich lassen. Der Gefahr war er sich bewusst: „Auf dem Schiff waren wir 299 Menschen. Aber nur 275 haben überlebt.“
Doch auch in Italien endete die Flucht nicht. Die Menschen aus Libyen waren und sind dort unerwünscht. Bereits Anfang dieses Jahres wurden die Auffanglager geschlossen. Bright und Tausende andere erhielten Papiere und wurden weiter in Richtung Norden geschickt. Inzwischen sollen sich bis zu 300 von ihnen in Hamburg aufhalten.
Bevor die Kirche die Flüchtlinge aufnahm, hatten viele draußen auf der Straße oder im Park geschlafen. „Inzwischen haben sie Kraft getankt“, erzählt Georgie Pierenkemper. Die 29-Jährige kann das beurteilen, denn sie ist eine der ersten Unterstützerinnen. Sie sitzt zusammen mit Kebba Manneh, Massimo Vazquez Faya und weiteren Helfern aus dem Stadtteil auf der Wiese vor der Kirche. Sie diskutieren. „Ich bin beeindruckt, wie viel Lebensenergie die haben“, meint Manneh. Vazquez Faya ist skeptischer: „Man merkt, dass manche depressiv werden, weil sie keine Sicherheit haben.“
Die Situation der Flüchtlinge ist kompliziert: Italien hat sie als Asylbewerber anerkannt. In Hamburg dürfen sie sich als „Touristen“ drei Monate am Stück aufhalten. Arbeiten dürfen sie nicht. Werden die Flüchtlinge also bald einzeln nach Italien zurückgeführt? „Dagegen wurden in der Vergangenheit bereits in Einzelfällen erfolgreich Rechtsmittel eingelegt“, erklärt Pastor Wilm. Begründet wurden die Widersprüche mit der miserablen Situation in Italien. „Die Lage hat sich weiter verschlimmert, da die Lager geschlossen wurden.“ Das bestätigt ein Urteil des Verwaltungsgerichtes in Frankfurt von Mitte Juli: Italien garantiere keine menschenwürdige Unterbringung. Eine Rückführung nach Italien wurde abgewiesen.
Auf dem Gelände der St.-Pauli-Kirche hingegen herrschen menschenwürdige Bedingungen: „Wenn wir zum Beispiel auf dem Fußballplatz sind, das ist gut“, sagt Robert Lüttjohann. „Dann bekommen die einfach mal den Kopf frei.“ Zusammen mit Kebba Manneh hat er die Flüchtlinge beim Fußballspielen kennengelernt. Im Anschluss wären sie auf Kaffee und Kuchen eingeladen worden. „Sie haben gesagt: ‚you are invited, du bist eingeladen‘“, erzählt Manneh. „Ich war total begeistert. Sie haben kaum was, und das Bisschen, was sie haben, wollen sie auch noch mit Leuten teilen, denen es augenscheinlich besser geht.“
Seit dem Grillfest im Park nebenan Mitte Juni sei spürbar, dass die Unterstützung im Viertel groß ist. „Vorher war ich ein wenig enttäuscht“, gibt Manneh zu, „aber zu dem Fest kamen Zigtausend Menschen und jeder hat was mitgebracht.“ So etwas sei nur auf St. Pauli möglich, ist er sich sicher.
Trotz aller Begeisterung über die breite Unterstützung aus der Nachbarschaft, was für eine Perspektive haben die Flüchtlinge? Es sei Aufgabe der Politik, eine Lösung zu finden, meint Vazquez Faya. „Wir haben nur die Möglichkeit, auf humanitärem Wege zu helfen.“ Er hofft, dass der Senat den Flüchtlingen schon bald ein Bleiberecht gibt. „Ich weiß nicht, wie lange das noch gut geht. Wie lange eine Menschenseele das aushält, in so einer Unsicherheit zu leben.“
Text: Jonas Füllner
Foto: Mauricio Bustamante
Danksagung: Die Idee zur Fotostrecke hatten Psychologin und Werberin Anne-Siri Steinsland und Fotograf Daniel Cramer.
Wir bedanken uns bei ihnen und ihrem Assistenten Freddy Grötschel. Zusammen haben sie die Kirche für die Fotoaktion in ein Studio verwandelt. Unser Dank gilt zudem Thorben Bantje (Piquee Postproduktion) und Jens Pölkner (Pro Light Rent).
Helfen: Spenden an St.-Pauli-Kirche, Spendenkonto 1206 123 331, Haspa BLZ 200 505 50, mit dem Vermerk „Afrikaner“.