Am Nobistor wollte der Bezirk Altona osteuropäische Familien vertreiben, die dort in Autos und Zelten schliefen. Geräumt wurden am Ende die Obdachlosen, die dort schon seit Jahren lebten.
(aus Hinz&Kunzt 257/Juli 2014)
Acht Jahre lebte Niko im Park am Nobistor an der Grenze zwischen Altona und St. Pauli. „Das hier war immer wieder meine Anlaufstelle, auch wenn ich mal bei Freunden geschlafen habe“, sagt der Mann mit der Mütze und der schwarzen Sonnenbrille. Unter einem Dach hatte er ein kleines Zelt aufgebaut, eine Matratze daneben diente als Sofa. In der Ecke stand ein Besen, den er und die anderen auf der Platte auch regelmäßig benutzt hätten, beteuert er. „Die Behörde hat uns toleriert“, sagt er. „Wir waren sogar mit dem Kontaktbereichsbeamten der Polizei per Du. Alles gut.“
Trotzdem hat die Polizei ihn an einem Dienstagmorgen im Juni von seiner Platte vertrieben. Um 7.30 Uhr rückte sie mit einem Großaufgebot an und weckte die Obdachlosen, die dort lebten. Die Stadtreinigung fuhr mit zwei großen Containern vor, in denen Matratzen, Zelte und andere Einrichtungsgegenstände verschwanden. Das, was die Bewohner mitnehmen konnten und wollten, wurde verschont. Der Rest? „Das kommt alles in die Presse“, sagte ein Mitarbeiter des Bezirksamts Altona, das den Park räumen ließ.
Das Vorgehen des Bezirks stößt bei der Diakonie auf großes Unverständnis. „Bisher war es in Hamburg Konsens, Obdachlosenlager nicht einfach aufzulösen, sondern stattdessen Lösungen für die betroffenen Menschen zu suchen“, sagt Landespastor und Hinz&Kunzt-Herausgeber Dirk Ahrens. „Wir brauchen keine Räumungen, sondern kurzfristig weitere Unterbringungsmöglichkeiten für Obdachlose.“
Eigentlich galt die Räumung am Nobistor gar nicht den alteingesessenen Parkbewohnern. Im Mai hatten sich dort Familien aus Rumänien und Bulgarien niedergelassen, die in Hamburg Arbeit suchten. Auch Schwangere und kleine Kinder schliefen in Zelten und Autos. Die Diakonie und Hinz&Kunzt hatten vom Bezirk öffentliche Unterkünfte gefordert, insbesondere für die Kinder. Doch das Amt lehnte ab. Nach Meinung des Bezirks haben diese Menschen keine Ansprüche auf Sozialleistungen in Deutschland – eine umstrittene Auffassung. Nachdem es dann Beschwerden aus der Nachbarschaft gegeben hatte, wollte der Bezirk die Familien aus dem Park vertreiben. „Allein die Ankündigung der eventuellen Räumung hat dazu geführt, dass die obdachlosen Familien mit ihren Kindern weggezogen sind“, sagt Ahrens.
Vertrieben wurden andere. Auch Christian musste sein Zelt abbauen, das er sich durch Flaschensammeln erarbeitet und in einem Gebüsch aufgebaut hatte. Der Rumäne mit den tieftraurigen Augen war vor vier Monaten auf der Suche nach Arbeit nach Hamburg gekommen. 300 Euro hat er für die Fahrt bezahlt, in Rumänien ist das viel Geld. Im Hamburger Hafen würde es Arbeit geben, hatte man ihm erzählt. Doch bis heute hat er keine gefunden, in Rumänien warten seine Frau und seine beiden Söhne auf den Lohn, den er schicken wollte. „Wer will mich denn?“, fragt der Fliesenleger verzweifelt. „Ich stinke und bin dreckig! Schau dir meine Hände an!“ Er zeigt seine Handinnenflächen, die fast schwarz vom Flaschensammeln sind. „Ich will Deutsch lernen und das Gesetz achten. Aber wie soll das gehen, wenn ich keinen Platz zum Schlafen habe?“
Wo er jetzt hin soll, weiß er nicht. Er sitzt auf seiner zusammengerollten Matratze, hat seine Habseligkeiten auf mehrere Handwagen verteilt und wartet ab. Niko ist mit seinen Freunden ein paar Meter weiter auf die Wiese gegangen und spielt dort Gitarre. Das sei nicht verboten, sagt der Leiter des sozialen Dienstleistungszentrums im Bezirk Altona, Christian Siegmann. „Aber wenn sie auf die Idee kommen, hier heute Abend wieder eine Matratze hinzulegen, geht das von vorne los.“ Der Kommentar von Pastor Ahrens dazu: „Räumungen lösen kein einziges Problem.“
Text: Benjamin Laufer
Fotos: Mauricio Bustamante