(aus Hinz&Kunzt 208/Juni 2010)
Hilfeempfänger wehren sich gegen Abzock-Vermieter – gemeinsam mit Mieterschützern und der Stadt.
Glaubt man Kinga Dallmer-Zerbe, ist ihre Firma vom Niedergang bedroht. „Die Fortsetzung des Mietverhältnisses ist für uns eine unzumutbare wirtschaftliche Härte …“, schreibt die Geschäftsführerin der Delta Zukunft GmbH & Co. KG Anfang Mai rund 40 Bewohnern eines heruntergekommenen Hauses an der Ifflandstraße. Ihre Konsequenz: die Kündigung. Vom Rausschmiss bedroht: fast ausnahmslos Hartz-IV- oder Sozialhilfeempfänger.
Wenige Tage später kocht in den Räumen des Mietervereins zu Hamburg die Stimmung hoch. 16 Betroffene sind gekommen. Sie fürchten vor allem, obdachlos zu werden. „Der Vermieter kann Sie nicht einfach auf die Straße setzen. Machen Sie sich keine Sorgen!“, beruhigt Mieterschützer Siegmund Chychla. Doch eins können weder er noch die anwesenden Behördenvertreter beantworten. „Wir sind Langhaarige, wir haben eine schlechte Adresse, wir sind zum Teil vorbestraft: Wo sollen wir eine Wohnung bekommen?“, fragt ein Rauschebart stellvertretend für viele. Doch die Versammlung ist ein Erfolg: Bis Redaktionsschluss unterschreiben knapp 30 Bewohner, dass der Mieterverein der Kündigung in ihrem Namen widersprechen soll. Ihre Mitgliedsbeiträge zahlt – wie in allen vergleichbaren Fällen – die Stadt für mindestens ein Jahr. „Wir müssen uns endlich wehren!“, sagt Mieter Michael Lessow kämpferisch. Nicht dass der ehemals Obdachlose traurig wäre, wenn er anderswo wohnen könnte: „Ich habe hier anderthalb Jahre mit einer klitschnassen Wand gelebt, und das verschimmelte Bad hab ich selbst gestrichen, weil nichts passiert ist“, berichtet der 42-Jährige. Doch gibt es ein Problem, das so gut wie alle Mieter der Zimmerchen mit Dusche und Klo betrifft: Es gibt keine Alternativen für sie. „Beim Amt haben sie gesagt: ,Wir haben keine andere Wohnung für Sie!‘“
Weil Lessow nach vier Jahren des Leidens genug hat von den unerträglichen Zuständen, ist er noch mal zu den Mieterschützern gegangen. Die fordern in seinem Namen „die notwendige Herstellung einer sachgemäßen Stromversorgung“, die Reparatur der Heizung und „die erforderlichen Feuchtigkeits- und Schimmelbeseitigungsmaßnahmen“. Bis Redaktionsschluss reagierten Kinga Dallmer-Zerbe und ihre Firma nicht. Auch die „Bau Service Verwaltung“ ihres Ehemanns René, die die Delta Zukunft GmbH laut Mietverträgen vertritt, ließ nichts von sich hören.
Mindestens acht Jahre lang kassierten die Dallmer-Zerbes die Stadt unbehelligt ab, bekamen Monat für Monat Abzock-Mieten von bis zu 277 Euro kalt für 14-Quadratmeter-Zimmerchen in dem ehemaligen Studentenwohnheim überwiesen – ein kleines Komfort-Appartement in Eppendorf kostet kaum mehr. Doch nachdem sich seit Februar Reporter an der Ifflandstraße die Klinke in die Hand geben, will die Arge der Verschwendung von Steuergeldern offenbar endlich ein Ende machen. Nach eigenem Bekunden will die Hartz-IV-Behörde bis spätestens Juli die Mietzahlungen „substanziell“ mindern, ein Rechtsanwalt bereitet eine Strafanzeige wegen des Verdachts auf Mietwucher vor. Zudem klagt die Hartz-IV-Behörde vor dem Landgericht rund 200.000 Euro Schadenersatz wegen überhöhter Miet- und Betriebskostenzahlungen ein.
Mondpreise für Bruchbuden: Mehrfach berichtete Hinz&Kunzt über Hauseigentümer, die überteuerte Wohnungen und Keller an Hilfeempfänger vermieten – auf Kosten des Steuerzahlers (H&K 200, 201 und 206). Der prominenteste unter den bisher bekannten Abzockern ist das CDU-Mitglied Thorsten Kuhlmann. 360 Wohnungen vermietet seine Kuhlmann Grundstücks GmbH laut Behörde an Hartz-IV-Empfänger. Im Oktober 2009 enthüllte Hinz&Kunzt das „System Kuhlmann“: Wohnungen, die auf dem Papier des Mietvertrags teils doppelt so groß waren wie in Wirklichkeit, mit der Folge weit überhöhter Mieten. Schimmelige Keller, teils von Ratten befallen, die ohne Genehmigung als Wohnraum vermietet wurden. Seit März ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts auf Betrug und Mietwucher gegen Kuhlmanns Firma. Thorsten Kuhlmann kündigte bereits im Februar 2010 gegenüber der Hamburger Morgenpost an: „Wir werden alles nachmessen, zu viel kassierte Miete erstatten.“ Drei Monate später hat der Hobby-Rennfahrer („Team Kuhlmann“) laut Arge noch keinen Cent an die Behörden überwiesen. Die Rechtsanwälte verhandeln, die Behörde hofft auf ein Ergebnis „in zwei Monaten“, und Kuhlmann beantwortet Nachfragen von Hinz&Kunzt nicht – wie alle genannten Vermieter.
Wenn Sigi Andersen (Name geändert, Red.) schlafen geht, kriecht die Angst mit ins Bett. Angst, dass die Ratte wiederkommt. „Eine habe ich schon erlegt. Es gibt aber noch eine“, sagt der 35-Jährige und zeigt auf ein Loch in der Wand, das dem verhassten Mitbewohner als Einfallstor dient. Andersen wohnt in einem bröckelnden Altbau in Ottensen. Rund 18 Quadratmeter misst die Bruchbude des Arbeitslosen, die nicht mal eine Heizung hat – dafür aber feuchte Wände und kaputte Elektrik. 350 Euro kalt kassierte hier die Vermieterin, die Berliner Rauch&Veth GbR, Monat für Monat. Seit Februar berichten Medien über die menschenunwürdigen Zustände in dem Haus. Was ist seitdem geschehen? Die Arge will auch hier die Mieten deutlich senken. Eine Strafanzeige wegen des Verdachts auf Mietwucher werde noch geprüft, so das Amt, eine Schadenersatzklage vorbereitet.
Das Bezirksamt Altona, seit Jahren über die desolaten Verhältnisse informiert, gibt sich hilflos: „Das Thema der Ratten wird auf der privatrechtlichen Ebene zwischen Mieter und Vermieter geklärt“, so eine Sprecherin auf Nachfragen. Sylvia Sonnemann von Mieter helfen Mietern, von einem Bewohner alarmiert: „Hier ist das Amt für Wohnungspflege gefragt!“ Der Senat bestätigt: Verstöße gegen die Verordnung über Rattenbekämpfung „können durch die Bezirksämter geahndet werden“.
Weil das Amt nicht handelt, hat die Mieterschützerin selbst das Hygieneinstitut alarmiert. Sie hat Rauch&Veth aufgefordert, gegen Ratten und Feuchtigkeit vorzugehen und die Elektrik instand zu setzen. Notfalls, sagt sie, „müssen wir auf Instandsetzung klagen“.
Aktuelle Entwicklungen lesen Sie hier im Internet unter www.hinzundkunzt.de
Text: Ulrich Jonas
Foto: Mauricio Bustamante
Herr Sozialsenator, übernehmen Sie!
Ein Kommentar von Ulrich Jonas
Lange, viel zu lange hat es gedauert, bis die Hartz-IV-Behörde den Ernst der Lage erkannt hat. Bis sie begriffen hat: Steuergeld ist unser aller Geld! Und siehe da: Kaum droht die Arge endlich dem ersten Abzocker, den sprudelnden Geldhahn zuzudrehen, schickt der seinen Mietern die Kündigung. Ein Erpressungsversuch. Denn die Abzock-Vermieter wissen: Es gibt so gut wie keine Wohnungen für die Menschen, die in ihren Bruchbuden leben müssen.
Warum also nicht die Stadt unter Druck setzen mit dem Schreckensbild von 40 weiteren Obdachlosen?
Zu hoffen ist, dass diese Rechnung nicht aufgeht. Dass Hartz-IV-Empfänger, Mietervereine und die Behörde nun zumindest in der Ifflandstraße gemeinsame Sache machen, ist vor allem den vielen Medienberichten geschuldet. Doch werden die Betroffenen dem Druck standhalten, den die Auseinandersetzung mit sich bringen wird? Werden die Mietervereine sie schützen und die unwürdigen Zustände in dem Haus verbessern können? Und vor allem: Wird die Stadt dafür Sorge tragen, dass die Menschen aus der Ifflandstraße bald bessere Wohnungen beziehen können?
Das Schicksal der Menschen aus der Ifflandstraße wird zeigen, ob es Sozialsenator Dietrich Wersich (CDU) ernst meint mit seiner Ankündigung von Anfang März, in der er seine Behörde erklären ließ: „Mietwucher oder Betrug werden nicht geduldet.“ Die Hausaufgaben des Senats sind offenkundig. Seit Jahren mahnt Hinz&Kunzt erfolglos neuen, bezahlbaren Wohnraum an für Mieter, die kaum einer haben will. Bis der gebaut ist, könnte sich die Stadt aus ihrem eigenen Bestand bedienen. Noch ist die Saga eine stadteigene Wohnungsgesellschaft. Und leer stehende Häuser, die auf eine sinnvolle Nutzung warten, gibt es in Hamburg reichlich (siehe Seite 14). Das Geld, das die Stadt (noch) den Abzockern in die Taschen stopft, wäre für den Umbau oder die Instandsetzung dieser schönen alten Gebäude allemal sinnvoller investiert