Das Spiel mit der Vergänglichkeit

Mirko Reisser alias DAIM gestaltete das erste Werk der StrassenKunztEdition. Der Künstler sprüht seit Ende der 80er-Jahre Graffiti an Hamburgs Hausfassaden, heute zieren seine Werke auch Wände in Brasilien und Neuseeland. 

Schon seit 23 Jahren ist Mirko Reisser alias DAIM mit der Sprühdose ­unterwegs. Sein Markenzeichen sind ­großflächige, farbige 3-D-Effekte.

Es geschah am helllichten Tag. Heimlich raus aus dem Haus, ruck, zuck übern Zaun und dann querfeldein bis zum nächstbesten Stromkasten, irgendwo in Altona. Es sollte Mirkos erstes Mal werden. Er war gerade 17 und hinterließ einen farbigen Gruß in der Stadt, ­verewigte sich selbst auf dem Stromkasten in dicken Buchstaben. „Ab der Sekunde wusste ich, dass ich nie etwas anderes machen möchte, als zu sprühen.“

23 Jahre ist das jetzt her. Und tatsächlich ist Mirko Reisser schon genauso lange ein erfolgreicher Graffiti-Künstler, bekommt Anfragen aus aller Welt, zeigt seine Werke in Europa, Brasilien, den USA und Neuseeland. „Dabei ging es mir anfangs gar nicht um Kunst“, erinnert Mirko sich. Er steht vor dem Umspannwerk in der HafenCity und blinzelt in die Sonne. Über 600 Quadratmeter Wandfläche hat er hier Ende vergangenen Jahres gemeinsam mit zwei Kollegen gestaltet, ihr aktuelles Projekt ist die Bücherhalle Farmsen. „Es geht immer erst einmal ums Abenteuer, darum, Teil einer Szene zu sein.“

Und die entwickelte sich in Deutschland Anfang der 80er-Jahre gerade neu. Aus den USA schwappten Hip-Hop-Musik, Breakdance und Graffiti herüber, in Hamburg entstanden Bands wie Fettes Brot oder Die Beginner, mit denen Mirko „oft zusammen rumhing“. Graffiti fand er gerade deshalb so spannend, weil es kaum Informationen dazu gab, „keine Magazine, keine Videos und kein Zubehör für Sprüher. Die Sprühköpfe haben wir von Haarspraydosen geklaut.“ In Hamburg hinterließ er jetzt regelmäßig seine Handschrift und legte sich 1992 den Künstlernamen DAIM zu. Nicht, ­weil dieses als Abkürzung für etwas steht, sondern deshalb, weil er die Lieblingsbuchstaben von Mirko ­vereint: das bauchige D, das vom standhaften A ­aufgefangen wird, das fragile, kippelige I, das Halt findet beim stabilen M mit seinen drei Beinen.

Nicht von Comics und Pop-Art, sondern von Künstlern wie Dalí oder van Gogh inspiriert.

Mirko entwickelte schnell einen eigenen Stil mit unverwechselbaren 3-D-Effekten, scheinbar explodierenden Formen und Farben – nicht von Comics und Pop-Art, sondern von Künstlern wie Dalí oder van Gogh inspiriert. Nach den Stromkästen kamen Wände, später dann ganze Häuserfassaden. Immer größer, immer mehr – „so steigt man in der Szene auf“, erklärt Mirko. „Getting up“ heißt das Prinzip, und so nennt sich auch die Ateliergemeinschaft, die Mirko vor 13 Jahren gemeinsam mit den Künstlerkollegen Gerrit ­Peters und Heiko Zahlmann gründete.

Seine ersten Auftragsarbeiten erhielt er allerdings schon während der Schulzeit – durch einen an sich unglücklichen Zufall. „Ich wurde erwischt“, sagt Mirko und lacht. Der Vorteil: „Viele Leute ­wurden auf mich aufmerksam, haben gesehen, was ich konnte.“ Und schon kamen die ersten Anfragen: Ob er nicht die Wand vom Jugendhaus gestalten könnte? Oder von der Zentralbibliothek? Mirko konnte und wollte.

Nach und nach arbeitete er sich in der Szene ganz nach oben. Er wurde Mitglied unterschied­licher Künstlergruppen, reiste mit seinen Arbeiten um die Welt, leitete Graffiti-Workshops an Schulen, gestaltete gemeinsam mit internationalen Künstlern das damals höchste Graffito der Welt an einem Hochhaus in Bergedorf, studierte Freie Kunst in ­Luzern, kreierte mit Kollegen zurück in Hamburg ein 2000 Quadratmeter riesiges Plakat, das 2001 am Dock von Blohm + Voss hing. „Ich musste nie ­Akquise betreiben“, erzählt Mirko. „Bis heute läuft alles über Mundpropaganda.“

http://vimeo.com/48715469

Dass seine Werke mittlerweile auch im Museum zu sehen sind, freut Mirko. „Für mich ist das Museum ein öffentlicher Raum. Hier erreiche ich Menschen mit meiner Kunst, die sie auf der Straße gar nicht ­beachten würden.“ Genau das erhofft Mirko sich auch von der StrassenKunzt Edition. Als Rik Reinking anfragte, ob er mitmachen wolle, war er sofort Feuer und Flamme. „Ich finde es toll, dass Street Art dadurch für ein breiteres Publikum erschwinglich wird“, sagt er. „Gleichzeitig unterstützen die Käufer Hinz&Kunzt, indem sie sich selber etwas gönnen.“

Im August stellt Mirko seine Edition bei den Kupferdieben im Gängeviertel aus, dazu zeigt er neue Arbeiten mit für ihn ungewöhnlichen Materialien – Klebeband statt Sprühdüse – und gestaltet direkt in der Galerie eine Wand, die anschließend wieder übergestrichen wird: „Das Spiel mit der Vergänglichkeit ist Teil meiner Arbeit.“

Dementsprechend steht Mirko dem zunehmenden Hype um Werke einiger Straßenkünstler wie dem Engländer Banksy auch skeptisch gegenüber. ­Einerseits freut er sich über die große Anerkennung, die Graffiti und Co. heute erleben. „Schließlich arbeiten wir seit über 20 Jahren daran, Graffiti aus der Schmuddelecke zu holen. Für mich war die ­Arbeit im öffentlichen Raum schon ­immer konstruktiv, nicht destruktiv.“

Andererseits findet er „die große Blase“, die zurzeit bestehe, bedenklich. „Jetzt rennen schon Mütter los, um ­ihren Söhnen das perfekte Graffiti-Zubehör zu besorgen, und die sollen dann bitte schön von Anfang an auf Leinwand arbeiten.“ So aber funktioniere Graffiti nicht. Denn da gehe es doch gerade ­darum, sich durchzuboxen, es alleine zu schaffen, wirklich auf der Straße anzufangen. „Wenn man aber alles hinterhergeschmissen bekommt“, fragt Mirko, „was hat das dann noch mit getting up zu tun?“

Text: Maren Albertsen
Foto: Mauricio Bustamante 

StrassenKunztEdition 1: „DEIM – Corner to Corner“ ist im Hinz&Kunzt-Shop erhältlich.