Ein Gespräch mit dem Konzertveranstalter Hannes Notzke und dem Hamburger Kultursenator Carsten Brosda – der fordert mehr Geld für die kleinen Clubs.
Für Taylor Swift läuft’s: Im Juli ist die US-Sängerin in Hamburg zweimal vor je 50.000 Fans aufgetreten. Die Konzerte im Volksparkstadion waren lange vorher ausverkauft. Kleineren Konzertspielorten, den sogenannten Venues, geht es seit der Pandemie weniger gut. Die Ticketverkäufe sind zum Teil um bis zu 50 Prozent zurückgegangen.
Die LiveMusikKommission, der Verband der Musikspielstätten, schlägt Alarm: In vielen Bundesländern stecken einer aktuellen Erhebung zufolge mehr als drei Viertel der Clubs in finanziellen Schwierigkeiten. Die Kostensteigerungen der letzten zwei Jahre erschweren die Clubkulturarbeit: Höhere Preise für Energie, Mieten, Versicherungen und Material lassen kaum eine Venue schwarze Zahlen schreiben. Und auch die Mitarbeitenden fordern eine bessere Bezahlung.
Wir haben Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda und den Konzertveranstalter Hannes Notzke zum Gespräch zur Lage der Clubkultur gebeten. Es findet in Brosdas Büro unweit des Gänsemarkts statt, vor einem mächtigen Bücherregal. An der Wand hängt eine – wohl ironisch gemeinte – Schwarz-Weiß-Collage mit einer krakeligen Schrift: „Politics are just not really my thing.“
Hinz&Kunzt: Wir sprechen in der letzten Augustwoche. Was war Ihr letztes Konzert, Herr Brosda?
Carsten Brosda: Bruce Springsteen in Hannover. Nächste Woche sehe ich dann Tom Liwa im Westwerk.
Ein Rockmusiker im Stadion und ein Singer-Songwriter im winzigen Club – größere Gegensätze gibt es kaum. Herr Senator, warum gehen Sie auf Konzerte?
Brosda: Natürlich vor allem, weil ich einen Künstler mag. Und ihn live zu hören ist es etwas völlig anderes als auf Platte. Die Unmittelbarkeit! Man konzentriert sich völlig auf die Musik – das ist etwas Einmaliges. Ich komme leider viel zu selten dazu.
Was gibt Ihnen das Live-Erlebnis, Herr Notzke?
Hannes Notzke: Ich mache das schon mein ganzes Leben. Ich habe selbst Bass gespielt – ein Schlagzeug war zu teuer. Meine Punkband hat zu Hause im Keller meiner Mutter geübt. Ich habe dann festgestellt, dass ich ein grauenhafter Musiker bin, deswegen stand ich selbst nie auf der Bühne. Aber alle meine Freunde spielten in Bands. Ich war immer dabei, bin mit auf Tour gefahren, habe in besetzten Häusern übernachtet. So bin ich in die Branche hineingestolpert.
Eigentlich gibt es in diesen Wochen viele gute Nachrichten für die Livemusik-Branche in Hamburg. Das „Molotow“ ist gerettet und bleibt bis 2037 an der Reeperbahn. „Beat Boutique“, „Fundbureau“ und „Bar 227“ haben neue Örtlichkeiten gefunden. Sie ziehen von der Sternbrücke in die Kasematten an der Oberhafenbrücke. Also alles paletti, Herr Brosda?
Brosda: Die Kulturbehörde hat in Einzelfällen helfen können. Aber es gibt Themen, die uns seit Jahren Sorgen machen: Sind die Flächen für Clubs ausreichend, wo kann man neue entwickeln? Was zudem eine Herausforderung wird, für die wir noch keine richtige Lösung haben: Das Geschäftsmodell Club wird immer schwieriger. Es war immer auf Kante genäht, aber es gab einen Deal: Wenn die Leute genug Getränke an der Bar kaufen, geht es am Ende des Monats gut aus. Unter einer gewissen Größe klappt das jetzt nicht mehr. Ein Teil des Publikums ist nach Corona nicht wiedergekommen. Kleinere Bands müssen 30 bis 40 Euro Eintritt nehmen, um die Kosten zu decken. Nun werden sie von Fans beschimpft, weil es früher noch 20 Euro waren. Wir werden nicht darum herumkommen, uns auch Gedanken über zusätzliche Förderinstrumente zu machen. Die gibt es zum Teil bereits, zum Beispiel den Live Concert Account. Aber Kultur lebt auch davon, dass sich der Staat eben nicht einmischt! Kunst wird nicht dadurch relevant, dass der Staat sie mitfinanziert. Wir wollen vor allem funktionierende Rahmenbedingungen schaffen; dann ist ein Club freier, als wenn der Staat mit drinhängt.
Der genannte Account ist ein Fördertopf der Stadt, der zuletzt auf 350.000 Euro erhöht wurde. Dieses Geld wird je nach Größe des Clubprogramms verteilt – auf immerhin rund 60 Hamburger Musikclubs. Reicht das? Die Theater bekommen viel mehr Geld.
Brosda: Gern wird gesagt: In die Privattheater geht so viel Geld rein, das brauchen wir auch. Aber deren Förderung bedeutet, dass eine Jury auf der Grundlage des Programms eine Förderempfehlung ausspricht. Wäre so jemals Punk entstanden? Subkultur funktioniert anders als eine traditionsreiche Privatbühne. Aber wir brauchen auch hier Instrumente für Förderung, und dafür kommen wir auf Dauer mit 350.000 Euro nicht aus. Die Margen werden geringer, selbst bei großen Veranstaltern. Wir müssen auch eine politische Diskussion führen: Wollen wir das als Stadt ausgeben? Da ist nicht nur der Kultursenator gefragt.
Herr Notzke, Sie veranstalten viele Konzerte in kleinen und kleinsten Clubs wie „Nachtasyl“ und „Hebebühne“. Die Staatsoper Hamburg bekommt pro Jahr 68 Millionen Euro Förderung von der Stadt. Denken Sie da nicht: Wenn man den Kleinen nur ein Prozent davon geben würde, was wäre alles möglich?
Notzke: Dann wird es ganz schnell eine Neiddebatte. „Fabrik“ und „Markthalle“ bekommen auch Geld, diese Diskussion hilft nicht weiter. Früher sind die Künstler:innen auf Tour gegangen, um ihre Musik zu bewerben, heute machen sie das, um Geld zu verdienen. Die großen Veranstaltungen können gemacht werden, weil die Veranstalter auch die Gastronomie betreiben oder die Tickets verkaufen. Als reiner Kulturveranstalter habe ich diese Möglichkeiten nicht. Und würde ich das überhaupt wollen? Dann würde ich nur darüber nachdenken, bei welchem Konzert die Leute möglichst viel Bier trinken. Es geht nicht darum, der Staatsoper etwas wegzunehmen und Millionen zu verlangen. Wir brauchen eine niedrigschwellige Förderung. Für ein Konzert reichen oft schon 1000 Euro.
Welche Ihrer Kosten sind gestiegen, Herr Notzke?
Notzke: Vor allem die Personalkosten. Aber ich beklage mich nicht. Denn wenn wir etwas aus der Pandemie gelernt haben, dann, dass wir die Leute nicht gut genug bezahlt haben. Die haben ein Bewusstsein dafür entwickelt, dass sie sich nicht mehr totarbeiten wollen. Viele haben zweimal die Woche 18-Stunden-Schichten gemacht.
Muss sich jedes Konzert rechnen?
Notzke: Das kann es nicht, und das muss es auch nicht. Ein Konzert mit weniger als 200 Leuten rechnet sich für einen örtlichen Veranstalter nicht. Eine ausverkaufte Hebebühne bedeutet plus/minus null, und meine Arbeitszeit ist noch nicht bezahlt. Und was ist, wenn nur 40 Leute kommen? Da verliere ich schnell 2000 bis 3000 Euro. Im Moment geben alle weniger aus, und es verteilt sich anders. Die Leute kaufen ein 600-Euro-Ticket für Taylor Swift, aber die kleinen Konzerte fallen runter.
Sie arbeiten also oft umsonst bei KD Palme?
Notzke: Ich will schon auch Geld verdienen. Bislang ist das noch nicht so, aber wir kommen über die Runden. Wir machen viel anders. Wir wollen uns selbst und die Künstler:innen anständig bezahlen. Wichtig für die mentale Gesundheit ist auch Arbeit auf Augenhöhe: untereinander genauso wie mit unseren Geschäftspartner:innen.
Anderes Thema: Gerade ist das Reeperbahn Festival zu Ende gegangen. Das ist teuer: Jedes Jahr wird es von der Stadt Hamburg mit 410.000 Euro gefördert und vom Bund mit mehreren Millionen. Man sagt, das Festival sei wichtig für den Wirtschaftsstandort Hamburg. Stimmt das, Herr Brosda?
Brosda: Das sind Berechnungen, aber das ist nicht der wesentliche Punkt. Hamburg hat eine Neigung, es okay zu finden, unter sich zu bleiben. Der Hamburger findet das nicht schlimm, ärgert sich aber trotzdem, dass die Welt dann nicht weiß, wie viel die Stadt zu bieten hat. In diesem Sommer wurde Paris sehr für seine Olympischen Spiele gelobt. Ich denke daran, dass es der Sommer gewesen wäre, in dem Hamburg diese Spiele hätte veranstalten können und gute Chancen hatte. Das Thema „Wir packen Hamburg wieder auf die Karte“, um mit den „Beginnern“ zu sprechen, leistet das Reeperbahn Festival. Wie nutzen wir es so, dass die Strahlkraft für alle in der Hamburger Clubkultur einen Effekt hat? Es sollte kein Entweder-oder geben. Wir sollten uns fragen, wie wir die globale Aufmerksamkeit nutzen, sodass bei allen etwas hängen bleibt.
Braucht die Kulturbehörde dafür nicht viel mehr Geld?
Brosda: Dass wir irgendwann feststellen, dass wir zu viel Geld haben – das wird nicht passieren.