Bundestagswahl

Wohnungslosigkeit abwählen!

Deutschland will Obdach- und Wohnungslosigkeit bis 2030 abschaffen – dennoch ist die Zahl der betroffenen Menschen zuletzt kräftig gestiegen. Wie die Parteien das erreichen wollen.

Hinz&Kunzt Randnotizen

Freitags informieren wir per Mail über die Nachrichten der Woche:

Das SPD-geführte Bundesbauministerium hat im Herbst zwar einen „Nationalen Aktionsplan“ zur Abschaffung der Wohnungslosigkeit vorgelegt – der lässt jedoch konkrete Maßnahmen vermissen. Was würde die künftige Bundesregierung also tun, um das ambitionierte Ziel in den kommenden fünf Jahren noch zu erreichen? Das haben wir die aussichtsreichsten demokratischen Parteien* vor der Bundestagswahl am 23. Februar gefragt. Hier lesen Sie ihre Antworten.

SPD: Schutz vor Mietwucher und Anreize für Wohnungsbau

Bis 2030 wollen wir die Wohnungslosigkeit überwinden, denn das Recht auf Wohnen ist ein Menschenrecht. Daher sind Schaffung und Erhalt von bezahlbarem Wohnraum eine staatliche Aufgabe. Durch Bürokratieabbau wollen wir private Investitionen attraktiver gestalten und vor Mietwucher und Überforderung schützen.

Daher setzen wir uns für eine unbefristete Mietpreisbremse ein, die langfristig stabile und bezahlbare Mieten gewährleistet und nicht durch (teil-)möblierte oder befristete Wohnungsangebote umgangen werden kann.

Mittlerweile fließen vom Bund pro Jahr 3,5-mal mehr finanzielle Mittel in den sozialen Wohnungsbau als 2021 und unterstützen die Länder und Kommunen. So wurden bereits durch Projekte wie „Junges Wohnen“ 10.000 neue Studi- und Azubiwohnplätze geschaffen. Gleichzeitig wurde mit der Wohngeld-Plus-Reform eine Entlastung für Mieter umgesetzt.

Zudem setzen wir uns dafür ein, Zweckentfremdung und Leerstand von Wohnraum durch Kurzzeitvermietung zu unterbinden. Auch fordern wir mehr Transparenz bei Bestands- und Neuvermietungsmieten und wollen Mietwucher bekämpfen – auch durch eine Verschärfung des Wirtschaftsstrafrechts.

Grüne: Grundrecht auf Wohnen und mehr Housing First

Obdachlosigkeit sollte in einem reichen Land wie Deutschland nicht vorkommen. Ein eigenes Zuhause ist eine wichtige Voraussetzung für ein Leben in Würde und für gesellschaftliche Teilhabe. Für uns ist klar: Wohnen ist ein Menschenrecht, deshalb wollen wir das Recht auf Wohnen ins Grundgesetz aufnehmen und allen Menschen, unabhängig von Staatsbürgerschaft und Aufenthaltsstatus, den gleichen Zugang zu Angeboten der Wohnungslosenhilfe ermöglichen. Mit dem Housing-First-Ansatz wollen wir Obdachlose überall dort, wo das gewünscht und gebraucht wird, direkt in Wohnungen vermitteln.

Außerdem wollen wir den Umbau von temporären Obdachlosenunterkünften in permanente Unterbringungen oder Sozialwohnungen fördern und grundsätzlich mehr Kontingente für Betroffene bereitstellen. Darüber hinaus müssen Unterstützungsangebote greifen, noch bevor Menschen in eine Notsituation kommen, ihre Miete nicht mehr zahlen können und im schlimmsten Fall ihre Wohnung verlieren. Dafür setzen wir uns ein.

FDP: Weniger Bürokratie und mehr Wohnungsbau

Entscheidend ist, die Lebenssituation von obdachlosen Menschen dauerhaft zu verbessern und ein respektvolles Miteinander aller Menschen in einer offenen, liberalen Gesellschaft zu gewährleisten.

Um Wohn- und Obdachlosigkeit nachhaltig zu reduzieren, erachten wir die Wahrung der eigenen Wohnung als primäre Lösung. Das grundlegende Problem ist der Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Den Wohnraummangel werden wir jedoch nicht mit immer neuen bürokratischen Belastungen im Miet- und Baurecht beseitigen, sondern nur durch einen Bau-Booster. Wir müssen endlich mehr, schneller und günstiger bauen, um viele Menschen aus der Wohn- und Obdachlosigkeit befreien zu können.

Darüber hinaus gehen mit Wohn- und Obdachlosigkeit oftmals die Angst vor Stigmatisierung, sozialer Ausschluss, Überforderung durch die Bürokratie, viel Zeit in den Ämtern und unübersichtliche sowie komplizierte Anträge mit teils nicht oder schwer erfüllbaren Voraussetzungen einher. Der entschlossene Kampf gegen ausufernden Bürokratismus und Regulierungswahn kann also auch einen wichtigen Beitrag dazu leisten, sozialen Fortschritt in der Gesellschaft zu erreichen.

CDU: Mehr Wohnraum durch Nachverdichtung und Aufstockung

Ein wichtiges Instrument ist die Vermeidung von Wohnungslosigkeit. Das bedeutet, dass ausreichend bezahlbarer Wohnraum zur Verfügung steht, damit Menschen gar nicht erst wohnungslos werden. Hierzu müssen wir gerade in Kommunen mit angespannter Wohnungsmarktlage bedarfsdeckend neu bauen und die vorhandenen Potenziale wie Nachverdichtung, Umnutzung und Aufstockung von Bestandsgebäuden effektiv nutzen.

Ein zweiter Schritt ist der soziale Wohnungsbau. Hierfür müssen die Mittel verstetigt werden, damit die Bundesländer in die Lage versetzt werden, die jeweils benötigte Zahl an Wohnungen zu bauen und entsprechend dem Bedarf Wohnberechtigungsscheine auszustellen.

Bereits von Wohnungslosigkeit Betroffene brauchen im Rahmen der Wohnungsnotfallhilfe ein entsprechendes Angebot als ersten Schritt zurück in den regulären Wohnungsmarkt. Wir wissen, dass es hierfür nicht ausreicht, nur Wohnraum zur Verfügung zu stellen, da die individuellen Problemlagen mehr Unterstützung auf verschiedenen Gebieten erfordern. An dieser Stelle müssen alle Hilfsangebote besser ineinandergreifen.

Die Linke: Wohnungen dem Markt entziehen und Zwangsräumungen verbieten

Dem finnischen Ansatz folgend, wollen wir eine Housing-First-Politik. Wohnungslose sollen zuerst eine Wohnung vermittelt bekommen, darauf folgen weitere Angebote. In Finnland konnte die Obdachlosigkeit um die Hälfte reduziert werden. Wohnungslosenhilfe in Städten und Kommunen müssen ausreichend und dauerhaft finanziert werden. Wir wollen 250.000 Sozialwohnungen pro Jahr schaffen und dafür sorgen, dass genügend Wohnraum bereitsteht – auch für Menschen mit geringen finanziellen Mitteln. Perspektivisch wollen wir den Wohnungsbestand komplett dem Markt entziehen, bis dahin soll zunächst ein Wohnungssektor geschaffen werden, der nicht profitorientiert ist und durch steuerliche Vergünstigungen, besondere Förderung und bevorzugten Zugang zu Boden unterstützt wird. Zwangsräumungen, die in die Obdachlosigkeit führen, wollen wir verbieten. Außerdem braucht es einen bundesweiten Stopp für Mieterhöhungen und eine Obergrenze für die Mieten.

* Das BSW erklärte, es könne die Frage noch nicht beantworten. Die AfD betrachten wir in Teilen nicht als demokratische Partei.

Artikel aus der Ausgabe:
Ausgabe 384

Hamburg geht wählen

Schwerpunkt Wahlen: Wie wollen die Parteien in Bürgerschaft und Bundestag Wohnungslosigkeit und Armut bekämpfen? Außerdem: Baulücken in Hamburg, Reisen für arme Menschen mit schweren Behinderungen und 100 Jahre alte Nachrichten.

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Autor:in
Ulrich Jonas
Ulrich Jonas
Ulrich Jonas schreibt seit vielen Jahren für Hinz&Kunzt - seit 2022 als angestellter Redakteur.

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