Noch ein Neuer beim Tatort: Wotan Wilke Möhring ist neben Til Schweiger der zweite bekannte Schauspieler, der beim Hamburger Tatort ermittelt. Als Thorsten Falke muss er am 28. April seinen ersten Fall um brennende Autos und Tote lösen. Über seine Rolle, Aufmüpfigkeit und Hilfsbereitschaft sprach er mit Hinz&Kunzt.
(aus Hinz&Kunzt 242/April 2013)
Sein erster Fall: Seinen Einstand als Kommissar gibt Wotan Wilke Möhring in einem Fall mit einem realitätsnahen Hintergrund. Ein Auto in einem noblen Elbvorort brennt aus. Wieder einmal. Doch dieses Mal gibt es eine Tote. Die Stimmung in der Stadt ist aufgeladen, eine Bürgerwehr versucht, auf eigene Faust Sicherheit zu schaffen, die autonome Szene ist in Aufruhr. Der Druck auf Kommissar Thorsten Falke ist groß, doch er lässt sich nicht zu Gewalt oder schnellen Schuldzuweisungen in Richtung der linken Szene hinreißen, sondern recherchiert in alle Richtungen. Ein handfester Ermittler, der seinen Kopf benutzt, sich im Zweifel aber auf sein Bauchgefühl verlässt.
HINZ&KUNZT: Ist der Kommissar denn politisch eher links?
WOTAN WILKE MÖHRING: Das ist wohl eher die Biografie. Er kommt aus dem Arbeitermilieu, er ist natürlich gegen die Bürgerwehr und hat die Nähe zur autonomen Szene. Im Spektrum schon eher links, aber er hat mit Politik nicht viel zu tun, das sind für ihn Schreibtischtäter.
Die Rolle: Thorsten Falke ist in Billstedt aufgewachsen und kennt die Gesetze der Straße. Der Kommissar ist direkt und stur, aber durchaus fähig zu Teamarbeit und Freundschaften. Sein langjähriger Partner und bester Freund wechselt in den Innendienst und er bekommt eine junge attraktive Juristin zur Seite gestellt. Er trägt sein Herz nicht auf der Zunge, hat aber einen weichen Kern und ist lernfähig. Ein Charakter, mit dem Wotan Wilke Möhring sich durchaus identifizieren kann.
H&K: Kommissar Falke hat weiche Seiten, lässt aber manchmal den Macker heraushängen. Können Sie sich darin wiederfinden?
MÖHRING: Uns verbindet das Gefühl der Loyalität. Auch das Reagieren und Ermitteln aus dem Bauch heraus, seinem Instinkt zu folgen und in der Arbeit aufzugehen. Falkes Charakter ist nicht ein- dimensional, sondern er ist vielschichtig. Seine innere Weichheit wird er nur gegenüber seinem Freund und Partner zeigen.
H&K: Welchen Anteil haben Sie an der Gestaltung der Rolle?
MÖHRING: Zäunächst hat sich die Produktionsseite gefragt: Was würde zu Wotan Wilke Möhring passen? Was könnte der verkörpern? Was wäre realistisch für einen Kommissar in seiner Position? Dann haben wir viele Gespräche geführt. Das ist und bleibt ein lebendiger Prozess, bis zum letzten Drehtag.
H&K: Was gefällt Ihnen so gut an der Rolle?
MÖHRING: An der Rolle gefällt mir der Straßenbezug, den Falke hat, das sich Festbeißen an einer Spur, sich auch mal für die Lösung eines Falles über die Vorschriften hinwegzusetzen und trotzdem geerdet zu bleiben.
H&K: Kommissar Falke kann sich nur gegenüber seinem Freund Katz öffnen. Was für ein Typ sind Sie? Auch so zugeknöpft?
MÖHRING: Ich bin auch eher einer, der aus dem Bauch heraus lebt, der sich nur wenigen wirklich mitteilt. Nein, zugeknöpft wäre eine Haltung. Ich bin keiner, der mit seinem Leid hausieren geht. Aber alle, die mich kennen, erkennen an klei- nen Signalen, dass Gesprächsbedarf besteht.
H&K: Sie haben ja viel ausprobiert, waren sogar mal Punk.
MÖHRING: Das war eine Grundhaltung, die sich durch diese energetische Musik etabliert hat: die Zeit der Selbstfindung, der Abkapselung, wo man den anderen etwas entgegensetzen will. Ein „Bettelpunk“ war ich aber nicht. Ich habe nicht eingesehen, vielleicht auch wegen meiner mittelständischen Herkunft, die Gesellschaft zu verachten und mich dann auf der anderen Seite von deren Brotkrumen zu ernähren. Das war nicht mein Ding. Ich wollte politisch etwas in Frage stellen. Ich wollte wissen, warum. Eine Frage, die mich bis heute begleitet: Warum ist das so?
H&K: Sind Sie der Frage denn damals nachgegangen?
MÖHRING: Ohne Ende. Mit Leuten aus meinem Umfeld, mit meiner Familie. Auch mit Skins, dem damaligen Gegenüber.
H&K: Sie sind ja erst mit 30, also relativ spät, Schauspieler geworden. Warum?
MÖHRING: Das kam mir entgegen, und ich konnte dem kaum ausweichen. Auch da bin ich meinem Bauchgefühl gefolgt und habe gesagt: Das probierst du jetzt mal aus. Ich hatte sehr viel Glück und bekam für einen meiner ersten Fernsehfilme, „Hat er Arbeit?“, gleich eine Fernsehpreisnominierung. Da dachte ich: Super, du hast das kalte Wasser gesucht, die Abwechslung, die Herausforderung. Jeder Film hat eine solche.
H&K: Viele Schauspieler sind vor der Kamera und auf der Bühne aktiv. Warum spielen Sie eigentlich gar kein Theater?
MÖHRING: Bühne und Kamera – das ist wie Äpfel und Birnen. Beim Film gilt: Je weniger du machst, umso magischer ziehst du die Kamera an. Das liegt mir mehr. Für die Bühne braucht man eine andere Ausbildung.
H&K: Als ehemaliger Punk haben Sie ja einen besonderen Bezug zur Straße. Haben Sie denn auch richtig dort gelebt?
MÖHRING: Nicht richtig gelebt, aber als junger Mann war ich eine Zeit lang unterwegs und habe natürlich auch überall geschlafen, wo ich konnte: im Busbahnhof oder in leeren Bussen oder wo auch immer. Das war für mich in gewisser Weise in dem Alter ein Abenteuer, denn ich wusste ja auch, dass ich nach Haus zurück kann. Ich hatte aber dabei auch tolle Begegnungen. Ein alter Obdachloser zum Beispiel, der mich beobachtet hat und zu mir sagte: „Ich setz mich neben dich, schlaf du mal.“
„Ich bin keiner, der mit seine Leid hausieren geht“ – Wotan Wilke Möhring
H&K: Hat das Ihre Einstellung zu Obdachlosen geprägt?
MÖHRING: Die Arm-und-Reich-Schere vergrößert sich immer mehr. Die Armen werden immer ärmer, die Reichen immer reicher. Das macht mich wütend. Ich weiß durch Gespräche, wie schnell die Spirale, die dich hoch trägt, dich auch wieder nach unten stürzen lassen kann. Wenn der Job weg ist, die Frau, aus welchem Grund auch immer, dann ist alles weg: EC-Karte, Konto, Wohnsitz. So toll das System vorgibt, uns zu stützen, so schnell bricht es auch zusammen, wenn ein Ziegelstein unten herausgezogen wird.
H&K: Sie haben einmal gesagt, Ihr Vater habe immer angehalten, wenn es irgendwo etwas zu tun gab. Gibt es Momente, wo Sie helfen wollen?
MÖHRING: Ja, das mache ich auch. Ich versuche natürlich immer, zu helfen. Allein das Gefühl, das ich hätte, wenn ich einfach vorbeigehen würde, belastet mich.
H&K: Was sind das für Momente, in denen Sie helfen?
MÖHRING: Es fängt damit an, etwas zu tragen oder Leuten, die hingefallen sind, aufzuhelfen. Die Polizei oder einen Arzt zu rufen, wenn einer blutet. Jemandem, der Durst hat, etwas zu trinken zu geben. Als Kind habe ich mal Folgendes erlebt: Für eine Radtour hatte ich mir Brote geschmiert. Am Bahnhof, wo ich ausgestiegen bin, hatte jemand Hunger. Ich gab ihm die Brote. Dann habe ich gesehen, wie er sie weggeworfen hat. Das war einschneidend, das fand ich krass. Nichtsdestotrotz muss man halt wissen, der Nächste isst sie vielleicht. Die Individualität, die wir haben, spiegelt sich auch in den Abstiegsmustern. Jeder hat seins. Deshalb kann man nicht alle über einen Kamm scheren.
H&K: Was machen Sie selbst in dunklen Momenten. Haben Sie dafür eine Strategie?
MÖHRING: Ich bin da ein Einzelkämpfer, versuche, das zunächst mit mir selbst auszumachen – sei es mit Herz, sei es mit Intelligenz. Man muss eine Haltung entwickeln zu dem Problem. Dann kann man dir helfen oder du kannst dir helfen.
H&K: Sie werden ja viel Zeit in Hamburg verbringen. Wie gefällt es Ihnen hier?
MÖHRING: Ich habe schon oft hier gedreht. Hamburg ist für mich die schönste Stadt in Deutschland. Es gibt den Kiez und Arbeiterviertel, reiche Viertel, die Nähe zum Wasser, das Tor zu Welt. Hier wurden Gewürze umgeschlagen, hier starteten Expeditionen. All das macht Hamburg aus: eine tolle Mischung.
H&K: Sie sind bekennender Borrusia-Dortmund-Fan. Auf welchen Verein steht denn Kommissar Falke: HSV oder St. Pauli?
MÖHRING: Auf keinen von beiden. So weit geht die Abstraktion zu einer Rolle doch nicht. Jeder, der mich kennt, würde spätestens da sagen: Das glaube ich nicht.
Seine Biografie
Wotan Wilke Möhring kam erst über Umwege zum Film. Er wurde 1967 geboren und wuchs mit drei Geschwistern im Ruhrgebiet auf. Nach dem Besuch der Waldorfschule lernte er zunächst Elektriker, war Zeitsoldat bei den Fallschirmjägern, wurde Clubbesitzer, Türsteher, und veröffentlichte zwei Alben mit den Punkbands Red Lotus und DAF DOS. Möhring studierte anschließend Kommunikation an der Berliner Hochschule der Künste, besuchte Schauspiel- Workshops in Köln und Los Angeles und lebte zwei Jahre lang in New York. Sein Schauspieldebüt hatte er 1997 in „Die Bubi Scholz Story“, entwickelte sich seitdem zu einem gefragten Schauspieler. Heute lebt er mit seiner Lebensgefährtin sowie den drei gemeinsamen Kindern in Klln. Als Ruhrpottkind ist er leidenschaftlicher Fan von Borussia Dortmund und reist seinem Verein auch nach, sofern der Drehplan es erlaubt.
Der Tatort „Feuerteufel“ wird am Sonntag, 28.4., um 20.15 Uhr in der ARD ausgestrahlt.
Text: Sybille Arendt
Foto: Daniel Cramer