Über 2000 Obdachlose gibt es in Hamburg. Wer sind die Menschen, die in unserer Stadt unter Brücken leben? Die Fotografin Lena Maja Wöhler hat einige von ihnen getroffen. Heute im Porträt: Dieter (63 ), der in einem Zelt an der Alster lebt.
(aus Hinz&Kunzt 273/November 2015)
Ein Ausflug zur Kleinen Alster: Auf einer Mauer, die von der Sonne aufgewärmt ist, sitzt Dieter. Er ist 63 Jahre alt und hat davon 30 Jahre auf der Platte verbracht. Viele Bücher könnte er mit seinen Geschichten füllen, aber dafür erzählt er sie zu ungern. Die meisten handeln von Enttäuschung und Verlust. Die Freiheit, die das Leben auf der Platte mit sich bringt, möchte er nicht missen. Diese Freiheit liebt er.
Sein Tagesablauf ist geregelt: In der Woche steht er um 8 Uhr auf und geht zu Hinz&Kunzt, um seine Zeitungen für den Tag abzuholen. Sein Verkaufsplatz ist bei der U-Bahn-Station Rathaus, Ecke Mönckebergstraße, direkt vor SportScheck. Das ist ihm wichtig zu sagen, denn er verkauft nur wenige Zeitungen. Das liegt vielleicht an seiner ruhigen Art. Er stellt sich nicht gerne in den Vordergrund. Bis ungefähr 18 Uhr steht er an seinem Platz. Dann geht es zurück nach Hause: in ein grünes Zwei-Personen- Zelt. Am Wochenende gibt es abends ein paar Bier.
So vergehen die Wochen und Monate. Dieter sagt: „Es geht so lange, wie es geht“, und damit meint er das Leben auf der Platte und seine Angst, dass es irgendwann vielleicht nicht mehr geht. Er lädt mich zu einem Bier ein und erlaubt mir, ihn zu fotografieren. „Oh, gucke ich immer so grimmig?“ Nachdenklich fügt er hinzu: „Vielleicht verkaufe ich deshalb so wenig Zeitungen.“ Dann lacht er. Das erkennt man daran, dass sein Rauschebart auf und ab wippt und seine blauen Augen schimmern.
Text+Foto: Lena Maja Wöhler
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Hamburgs Winternotprogramm
Vom 1. November bis 31. März läuft das Winternotprogramm. 890 Plätze stehen als Erfrierungsschutz zum Start bereit: Auf dem Schulhof neben dem Kollektiven Zentrum (KoZe) in der Münzstraße gibt es 400 Schlafplätze in einem Gebäude und in Wohncontainern. In einem ehemaligen Verlagshaus am Schaarsteinweg sind 350 Plätze eingerichtet. Die Einrichtungen sind täglich von 17 bis 9 Uhr geöffnet, tagsüber sind sie geschlossen. Hinzu kommen 140 der besonders begehrten Containerplätze, die in Kirchengemeinden, der Hochschule für angewandte Wissenschaften und bei der Evangelischen Hochschule für Sozialpädagogik beim Rauhen Haus stehen. Trotz Erhöhung der Kapazitäten werden die Plätze nicht ausreichen: Die Diakonie schätzt die Zahl der Menschen, die in Hamburg auf der Straße leben, auf 2000.
Mehr Porträts finden Sie in der November-Ausgabe von Hinz&Kunzt – ab 30. Oktober auf Hamburgs Straßen zu haben!