Bahrenfeld : „Bezahlbarer Gewerberaum? Vergiss es!“


Jeder weiß: In Hamburg fehlen Wohnungen. Und Grundstücke, auf denen Wohnungen gebaut werden können. Da ist es schön, wenn innerstädtische und preiswerte Gewerbeflächen in Wohnflächen umgewandelt werden können. Doch wo sollen nun die Tischler und Kfz-Werkstätten, der Glaser und der Getränkehändler hin? In Bahrenfeld ringt man um den Kolbenhof.

(aus Hinz&Kunzt 247/September 2013)

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Bei der Motorrad Selbsthilfe Altona können Motorradbesitzer­ stundenweise einen Werkplatz mieten – oder das Schrauben Tobias Trapp und ­seinen Mitarbeitern überlassen.

Ist es ernst? Ja, es ist ernst. Richtig ernst sogar! Der kleine, etwas rundliche Mann hatte schon mit hängenden Schultern die Werkstatt betreten. Nun erfährt er die ganze Wahrheit: „Getriebe oder Kardanwelle, würd’ ich sagen“, sagt Tobias Trapp, ein schlanker Zwei-Meter-Mann in schwarzer Arbeitshose zum schwarzen T-Shirt, dazu sitzt ein Headset im rechten Ohr. Der Kunde nickt betrübt; erzählt, dass seine BMW vor ein paar Jahren schon mal so einen ähnlichen Riesenschaden hatte, der ihn Unsummen gekostet habe. „Ich werd’ nachher mal die Manschette abschrauben und gucken, ob ich was Genaueres sehe; das kostet dich noch nichts“, versucht Rapp den Schmerz zu lindern. Aber beide wissen, dass es wohl die beste Lösung ist, das äußerlich so fitte Motorrad an einen Bastler zu verkaufen.

Tobias Trapp führt eine Selbsthilfe-Werkstatt auf dem Kolbenhofgelände in Hamburg-Bahrenfeld, Friedensallee, Hausnummer 128. Motorradbesitzer können stundenweise einen Werkplatz mieten und alle ausliegenden Werkzeuge benutzen. Sie können ihre Maschine auch Trapp oder einem seiner beiden Mitarbeiter übergeben, wenn sie nicht weiterwissen oder wenn ihnen das Selberschrauben nicht so liegt.

Trapp hat aber noch einen zweiten Job: Er ist Vorsitzender des Vereins Kolbenhof. Die meisten der auf dem Hof ansässigen Handwerker und Gewerbetreibenden sind dort Mitglieder: zwei Tischlereien, ein Getränkehandel, ein Tonstudio und ein Plattenlabel, eine Werkstatt für Oldtimer, ein Reisebusunternehmen, eine Firma, die Industriekletterer in die Höhe schickt, und einige weitere Unternehmen. Das Ziel des Vereins: Der Kolbenhof soll erhalten bleiben. Alle wollen genau hier ihre Werkstätten und Lagerhallen, ihre Betriebsstätten und Büros weiterführen.

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Die Mieter genießen die Nachbarschaft auf dem ­Gelände, auf dem früher Kolben für Motoren gefertigt wurden.

Doch da gibt es ein Problem: Da der Wohnraummangel so gravierend ist, ist es für die Besitzer großer innerstädtischer Flächen inzwischen weit lukrativer, diese mit Wohnungen zu bebauen, als dort Gewerbeflächen zu belassen. Was aber für den Wohnungsmarkt wichtig und willkommen ist, wird für Gewerbetreibende zur Bedrohung. So ist nach Altona-Altstadt, Altona-Nord und Ottensen nun Bahrenfeld dran: Auf Gewerbeflächen sollen neue, meist sogenannte hochwertige Wohngebiete entstehen, die sich dann „Soundso-Höfe“ nennen. Auch der Kolbenhof mit seinen 3,6 Hektar, seinen sechs Hallen, dem Kompressorenhaus und dem vierstöckigen Verwaltungsgebäude soll nach Wunsch des Eigentümers, dem Konzern Rheinmetall, bebaut werden. Was dann mit den Mietern passiert? Ihre Verträge laufen noch bis Ende 2014.

„Bei den Künstlern sagt man immer: ,Ach, das sind junge Leute, die machen schöne Sachen, denen müssen wir unter die Arme greifen und ihnen trotz allem Atelierflächen stellen.‘ Wir Gewerbetreibenden aber machen Dreck, machen Lärm, dann immer dieser nervige Anlieferverkehr, und also haben wir da draußen keine richtige Lobby“, umschreibt Trapp die Ausgangssituation. Natürlich sind die Kolbenhöfer nicht gegen Wohnungsbau. Nur – wo sollen sie hin? Und so schlagen sie vor, den sehr großen, ehemaligen Parkplatz vor dem Gelände mit Wohnungen zu bebauen – und dass man überhaupt einen Kompromiss finden sollte und dass man zusammenrücken würde, wenn man bleiben könnte. Ob das klappen wird?

„Wir zahlen in Hamburg Steuern, und wir zahlen übrigens gern.“

Tobias Trapp sagt: „Wir bilden aus, wir besorgen den umliegenden Stadtteilschulen die Praktikumsplätze für deren Schüler, wir zahlen Steuern und wir zahlen schlussendlich Miete!“ Soll heißen: Wir haben ein Recht, hier zu sein, und wir haben ein Recht darauf, dass man auf Augenhöhe mit uns verhandelt. Er sagt: „Wir sind Teil der lokalen Ökonomie.“ Ins gleiche Horn stößt auch Joachim Dinse, wenn er sagt: „Wir zahlen in Hamburg Steuern, und wir zahlen übrigens gern.“ Er und sein Geschäftspartner führen die Firma „mehrblick“ am Ende des Kolbenhofes. Dazu gehören eine Werkstatthalle und ein Büro in einem kleinen Nebengebäude, in dessen Eingang gerade sein Elektroauto steht und aufgeladen wird. Das weist auch schon darauf hin, worum es hier geht: nachhaltig und ökologisch zu produzieren. Und zwar Innenausbauten und besonders Messebauten. Wo andere mal eben in einer Messehalle Hunderte Quadratmeter Teppichboden auslegen, die nach ein paar Tagen als Sondermüll in den Container wandern, oder Unmengen von Aluminium verwenden, setzen Dinse und sein Team auf Holz und verwandte Materialien: „Wir benutzen zum Beispiel ein Material, das bei der Papierherstellung als Abfall anfällt. Da­raus machen wir einen belastbaren Werkstoff, den kann man hinterher auch noch geschreddert auf den Kompost werfen“, ­erzählt er. Oder sie fertigen einen für drei Tage gedachten Getränketresen aus schlichten Europaletten, statt extra teures Holz zu verbauen.

Vorher waren sie im Industrie- und Speditionsgebiet Billbrook ansässig. „Da hattest du Angst, dass du vom Lkw überfahren wirst, wenn du aus der Tür trittst.“ Ähnlich gefährlich die gastronomische Infrastruktur: „Du bist ein halbes Jahr zum Mittagessen zum Imbiss in die eine Tankstelle gegangen und dann ein halbes Jahr in die andere.“ Entsprechend begeistert sind sie jetzt davon, mitten in der Stadt arbeiten zu können: ­Ottensen mit seinen kleinen Restaurants und Bistros ist in Fußnähe; seine Bank ist um die Ecke, braucht er irgendwas scheinbar Banales wie Briefumschläge oder Aktenordner, gibt es das vor der Haustür. Also will er hier nicht weg. Müsste er weg, wohin ginge es dann? „Vielleicht Winsen (Luhe)?“, scherzt Dinse. Bezahlbaren Gewerberaum in der Stadt, gar in der Nachbarschaft zu finden? Vergiss es!

So sieht es auch Christian Och, seine Halle liegt schräg gegenüber: Autoschrauber, spezialisiert auf französische Marken. Er sagt: „Im alten Arbeiterstadtteil Altona, zu dem Bahrenfeld ja gehört, ist das hier das letzte Gewerbegebiet, das geblieben ist.“ Aktuell zahlt er 3,50 Euro Miete pro Quadratmeter plus einen Euro für Strom plus Steuer. Eine Heizung hat seine 350 Quadratmeter große Werkstatt nicht. Im Gespräch war mal, nach dem Umbau des Geländes einen Preis von neun bis zehn Euro zu verlangen: „Das kannst du nicht erwirtschaften, das schaffst du nicht“, sagt er.

Jan Wilke von der Tischlerei Snoek-Wilke wiederum genießt es, in der Nachbarschaft zu wohnen. Er ist schnell in der Firma und wieder zu Hause, was besonders seine Kinder schätzen. Übrigens ist sein Betrieb keine kleine, niedliche Tischlerei: „Wir sind zu zehnt, wir haben viel in unseren Maschinenpark investiert; es geht um leistungsstarkes Arbeiten.“

Aus der Tabakfabrik in der Bahrenfelder Chaussee wurde das Wohnviertel Westend Village

Wie sich die Arbeits- und damit unsere Lebenswelt verändert hat, davon erzählen viele Areale in der Gegend: Aus dem Ottenser Eisenwerk in der Stahltwiete wurde der „Dienstleistungshof“ Phönixhof, der mit „trendig shoppen auf altem ­Fabrikgelände“ wirbt. Im Friesenweg nahe dem S-Bahnhof Bahrenfeld gab es mal eine Brauerei und eine Marzipanfa­brik. Gleich nebenan war eine Margarinefabrik – heute stehen dort 700 Wohnungen. Aus der Tabakfabrik in der Bahrenfelder Chaussee wurde das Wohnviertel Westend Village, und das ehemalige Gaswerk in der Gasstraße wurde zum Fünf-Sterne-Hotel. Auf seinem Gelände entstanden 270 Eigentumswohnungen. Der Komplex nennt sich würdevoll „Otto von Bahrenpark“.

Nun soll das Kolbenhofgelände folgen: Seit mehr als 100 Jahren wird hier produziert; ab 1935 fertigte das Unternehmen Kolbenschmidt, das zum Rüstungskonzern Rheinmetall ­gehörte, vorwiegend Kolben für Lkw-Motoren, auch von Militärfahrzeugen. Nach dem Krieg wurde das Unternehmen neu errichtet, baute nun vorzugsweise Kolben für Pkw-Motoren. Jahrzehnte lief alles gut. Dann sprach Rheinmetall immer öfter davon, die Hamburger Betriebsstätte zu schließen. Ende 2009 war es so weit: Am Wochenende vom 31. Oktober auf den 1. November bauten eigens engagierte Arbeiter einen großen Teil des Maschinenparks ab und stellten am Eingang ein Tor auf. Als die rund 200 Kolbenschmidtler am Montagmorgen ihre Schicht beginnen wollten, standen sie vor dem neuen, verschlossenen Tor und vor bulligem Wachschutzpersonal. Nicht einmal der Betriebsrat wurde vorgelassen.

Dieses Vorgehen schlug hohe Wellen: Als Rheinmetall ein paar Tage später beim Wirtschaftssenator gut gelaunt nachfragen wollte, wie es nun das frei gewordene Gelände möglichst gewinnbringend vermarkten könne, lehnte dieser jedes Entgegenkommen vorerst ab. Gut ein Jahr lang stand der Kolbenhof danach leer. Dann begann die Immobilienabteilung von Rheinmetall, das Gelände an Gewerbetreibende wie Trapp, an Dinse, Och, aber auch an die Hamburger Kurzfilmagentur (KFA) zwischenzuvermieten.

„Uns gefällt die Mischung im Kolbenhof. Dass es auch Gewerbe gibt und eben nicht nur Kunst und Kultur.“

Letztere leitet Alexandra Gramatke, selbst Filmemacherin. Sie zeigt auf die vielen verrußten Stellen an den Wänden und an den Decken, wo damals die Arbeiter die Versorgungsleitungen abflexten, um Tatsachen zu schaffen. Die KFA hat die Halle fünf gemietet, veranstaltet hier ihr jährliches Kurzfilm-Festival (KFF), gibt die Räume aber auch für Dreharbeiten an Kollegen oder an freie Theatergruppen für Proben oder Auftritte weiter. „Uns gefällt die Mischung im Kolbenhof. Dass es auch Gewerbe gibt und eben nicht nur Kunst und Kultur. Die anderen Mieter kommen gerne zu unseren ­Veranstaltungen, und einen Tischler in der Nachbarschaft zu haben, ist ja auch nicht verkehrt“, sagt sie.
Von daher würde auch Alexandra Gramatke gerne bleiben: „Wenn es aber alles so klinisch durchsaniert wird wie drüben im Phönixhof, dann können wir uns weder die Miete leisten, noch passt es dann zu uns.“

Auch die Anwohner links und rechts des Geländes dürften ihre eigenen Wünsche haben, wie sich der Kolbenhof verändern soll, an dem sie da jeden Tag vorbeigehen. Die Agentur Urbanista will die Anwohner, Mieter, aber auch künftig Interessierte befragen und hat im Internet eine „Dialogwerkstatt“ eingerichtet. Hier kann man sich über den Kolbenhof informieren, Vorschläge einstellen und diskutieren. Im Oktober werden dann im Rahmen einer gläsernen Werkstatt zehn ­Architektenbüros, die sich an einem städtebaulichen Wettbewerb der Altonaer Bezirksversammlung beteiligen, mit den Wünschen der Bürger konfrontiert. Fünf der zehn Büros hat Rheinmetall ausgewählt, denn das Unternehmen will das ­Gelände selbst entwickeln. Die anderen fünf hat der Bezirk Altona benannt. Im Dezember soll der Gewinnerentwurf feststehen, in den die Ergebnisse des Bürgerdialogs möglichst zahlreich mit eingeflossen sein sollen. So der Plan.

Am Ende wird die Politik einen Bebauungsplan beschließen

Es geht Trapp und seinen Mitstreitern zwar zuallererst um ihre Firmen und Werkstätten, aber für sie ist das Projekt auch ein Test, wie ernst es Politik, Verwaltung und Eigentümer mit der Bürgerbeteiligung meinen. Trapp hat da so seine ­Erfahrungen: „Da wird über Monate befragt, da dürfen die Anwohner mal ein Wochenende lang Häusermodelle basteln, aber am Ende geht es meist nur darum, ob die Fassade ­begrünt wird oder nicht.“ Mal schauen, ob es hier anders wird. Er ist optimistisch, denn die Vorgespräche zwischen dem Investor, der Stadt und dem Verein hätten in einer erstaunlich offenen Atmosphäre stattgefunden.

Wobei er weiß, dass seine Zuversicht enttäuscht werden kann: Denn egal ob Architektenwettbewerb oder Anwohnervotum, rechtlich verbindlich ist das alles nicht. Am Ende wird die Politik einen Bebauungsplan beschließen, in dem steht, welche Flächen, die bisher Gewerbe vorbehalten waren, etwa in Wohnraum oder kulturell zu nutzende Flächen umgewandelt werden. „Wir sind mit allen Beteiligten im Gespräch“, heißt es dazu vage aus dem Bezirksamt. Die laufenden Gespräche zum städtebaulichen Wettbewerb zwischen Bezirk, Rheinmetall und Architekten seien zudem nicht öffentlich, und so werde es auch bleiben. Transparenz sieht anders aus.

„2016, 2017, vorher wird es hier nicht losgehen“, sagt Trapp. Also nimmt er in aller Ruhe einen Anruf an; trägt, während er spricht, einen Namen und eine Telefonnummer ins Auftragsbuch ein. „Sie können Ihre Maschine morgens um zehn bringen und gegen 18 Uhr wieder abholen, es sei denn, ich rufe Sie an und wir vereinbaren was anderes.“ Er tritt einen Schritt nach draußen, schaut auf die Motorräder und Mopeds, die auf ihre Besitzer warten. Die Sonne klettert langsam den Himmel hoch und taucht die Hallen
in ein helles Licht; beleuchtet die Backsteinmauern, die alten Blechschilder mit Aufdrucken wie „Ofenausbruch“ oder ­„Alfinmasseln – Abkühlplatz“ und das junge Unkraut, das sich hier und da durch den Asphalt bohrt: „So schnuckelig, wie das hier jetzt ist, wird es natürlich nicht bleiben.“ Er reibt sich seine großen Hände: „So, jetzt muss ich aber mal was tun. Nur vom Reden kommt ja kein Geld rein.“

Text: Frank Keil
Fotos: Mauricio Bustamante