Klage gegen Bettelverbot

René gegen den HVV

Gleiches Recht für alle: Hinz&Künztler René und Mareile Dedekind von der Gesellschaft für Freiheitsrechte. Foto: Dmitrij Leltschuk
Gleiches Recht für alle: Hinz&Künztler René und Mareile Dedekind von der Gesellschaft für Freiheitsrechte. Foto: Dmitrij Leltschuk
Gleiches Recht für alle: Hinz&Künztler René und Mareile Dedekind von der Gesellschaft für Freiheitsrechte. Foto: Dmitrij Leltschuk

Weil er in der U-Bahn bettelt, soll ein Wohnungsloser immer wieder Strafen zahlen. Dagegen zieht er nun mit Unterstützung vor Gericht. Ein Präzedenzfall.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Es geht um nichts weniger als Renés Grundrechte, als die Hochbahnwache ihn am 15. Januar 2024 aus der U-Bahn zieht. Der Wohnungslose hat in der Bahn um Almosen gebeten und wurde erwischt. Für einen Verstoß gegen die Beförderungsbedingungen soll er 40 Euro Bußgeld bezahlen – wieder einmal.

René kann auf eine lange Geschichte mit den Hamburger Verkehrsbetrieben zurückblicken. Immer wieder saß er sogar im Knast, weil er Strafen wegen Fahrens ohne Fahrschein oder für Verstöße gegen Hausverbote bei der Hoch- oder S-Bahn nicht bezahlen konnte.

René macht trotzdem weiter. Weil er das Geld braucht – und weil Betteln in der Bahn effizient ist: In kurzer Zeit kann er hier viele Menschen ansprechen. „Ich bin ein Bühnenmensch, ich brauche mein Publikum“, sagt René. Bis zu 50 Menschen würde er in der U-Bahn mit einem Spruch erreichen. „Auf der Straße wollen die Leute nicht lange aufgehalten werden – in der Bahn sitzen sie und haben eh nichts zu tun.“

Mehr als 2300 Bußgelder wegen Bettelns im Jahr 2024

Der Hamburger Verkehrsverbund HVV, zu dem Hoch- und S-Bahn gehören, hat im vergangenen Jahr den Druck auf Menschen wie René massiv erhöht. Untersagt ist das Betteln in den Beförderungsbedingungen schon lange, nun wird dieses Verbot mit Nachdruck durchgesetzt: Sicherheitspersonal greift nach eigenen Angaben öfter durch, Durchsagen in den Zügen machen regelmäßig auf das Bettelverbot aufmerksam. Mehr als 2300-mal erteilten Kontrolleur:innen im vergangenen Jahr ein Bußgeld, weil gebettelt wurde.

Dass Fahren ohne Fahrschein keine Straftat mehr sein soll, wird längst politisch auf Bundesebene diskutiert. Weil es viele für unsinnig halten, Armut zu bestrafen, im Zweifel mit Gefängnis. Die Debatte über die Entkriminalisierung von Betteln in der Bahn hat sich bislang vor allem in Hamburg abgespielt. Die Linksfraktion wollte das Verbot vergangenes Jahr in der Bürgerschaft kippen, scheiterte damit aber – alle anderen Fraktionen stimmten gegen den Antrag. Nun gibt es einen erneuten Anlauf: Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) will die Sache vor Gericht klären. Der Berliner Verein hat sich auf die Fahne geschrieben, vor Gericht „für alle Menschen gleiche Rechte und soziale Teilhabe“ durchzusetzen.

„Ein vom Elend der Welt unbeschwertes Gemüt des Bürgers ist kein Belang, zu dessen Schutz der Staat Grundrechtspositionen einschränken darf.“

Bundesverfassungsgericht

Rechtsanwältin Mareile Dedekind wird René zunächst vor dem Amtsgericht vertreten. Sie sieht durch das Bettelverbot seine Grund- und Menschenrechte verletzt – wozu auch das Recht gehört, andere anzusprechen und um Unterstützung zu bitten, wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden hat. Daran müssten sich auch HVV, Hochbahn und S-Bahn halten, weil es öffentliche Unternehmen in staatlicher Hand sind, sagt Dedekind: „Der Staat kann nicht einfach sagen: ‚Da gelten die Grundrechte nicht‘.“

Der HVV begründet das Verbot mit Beschwerden von Fahrgästen, die sich durch die Bettelei gestört fühlten. Dedekind antwortet darauf mit einem Zitat aus einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts: „Ein vom Elend der Welt unbeschwertes Gemüt des Bürgers ist kein Belang, zu dessen Schutz der Staat Grundrechtspositionen einschränken darf.“ So begründete das Gericht 2011 in einer Grundsatzentscheidung, dass der staatliche Flughafenbetreiber Fraport in seinen Räumen Demonstrationen dulden muss. Man könnte auch sagen: Grundrechte nerven manchmal, aber das muss man aushalten. Jedenfalls dort, wo der Staat die Regeln vorgibt und niemand über die Maßen belästigt wird. Damit will Dedekind auch vor Gericht argumentieren.

Jura-Professor bewertet Erfolgsaussichten

Dass Kommunen nicht pauschal das Betteln in ihren Innenstädten verbieten dürfen, haben Gerichte mehrfach entschieden. Aber in der Bahn? Das ist ein Stück weit juristisches Neuland. Wie aussichtsreich ist also Renés Klage? Nachfrage bei der Bucerius Law School: „Dass man im HVV das Betteln insgesamt verbietet, halte ich für grundrechtswidrig“, sagt der Verfassungsrechtler Felix Hanschmann. Auch er betont, dass Betriebe in staatlicher Hand an die Grundrechte gebunden seien. Spätestens in höheren Instanzen dürften dem auch die Gerichte folgen, glaubt der Professor. Im Zweifelsfall will die GFF mit René bis vor das Bundesverfassungsgericht ziehen – das würde mehrere Jahre dauern.

René weiß, dass er manchmal nervt, entgegnet aber: „Was soll ich sonst tun? Soll ich stehlen gehen? Das will ich nicht, da könnte ich nicht mehr in den Spiegel gucken.“ Von den Fahrgästen wünscht er sich, nicht ignoriert zu werden, wenigstens mit einem Kopfschütteln solle man seine Frage nach Geld beantworten. Seine Erwartung an das Gerichtsverfahren: „Dass diese Diskriminierung endlich aufhört!“

Artikel aus der Ausgabe:
Ausgabe 386

gem/einsam

Wieso auch junge Menschen einsam sind, was das mit ihrer Gesundheit macht und was man dagegen tun kann, erfahren Sie im Schwerpunkt. Außerdem: Eine Fotoreportage aus Vietnam. Und: Wieso ein Bettler jetzt den HVV verklagt.

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Autor:in
Benjamin Buchholz
Benjamin Buchholz
Früher Laufer, heute Buchholz. Seit 2012 bei Hinz&Kunzt. Redakteur und CvD Digitales.

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