Eine kleine Chronik der Arbeitsmarktpolitik
(aus Hinz&Kunzt 122/April 2003)
27. Februar
„Suche eine Herausforderung“, schreibt ein Arbeitsloser nach 120 erfolglosen Bewerbungen auf ein Plakat und mietet eine drei mal dreieinhalb Meter große Werbefläche an der Ost-West-Straße. Kosten der ungewöhnlichen Anzeige des 34-jährigen Werbekaufmanns: 550 Euro. Resonanz: 120 Anrufe, „fast durchgängig von Medienvertretern“, sowie 60 bis 70 Arbeits-Angebote per E-Mail, „dabei acht von zehn auf freiberuflicher Basis, etwa als Finanzberater“. Zwischenstand vier Wochen später: „Bei zwei bis drei Sachen bin ich im Endspurt.“
Ein anderer Arbeitsloser versteigert sich im Internet und verkündet das per Pressemitteilung, um auf seine Qualifikation als Kommunikationswirt aufmerksam zu machen. Der Fernsehkanal „Neun Live“ kündigt einen „inhaltlichen Qualitätssprung“ an: Er will in einer neuen Show Arbeitslose vermitteln.
1. März
Unter dem Titel „Arbeit ist für alle da“ erscheint das Buch von Florian Gerster, Chef der Bundesanstalt für Arbeit (BA). „Neue Wege in die Vollbeschäftigung“ (Untertitel), so die Kritiker, zeige das Buch aber nicht.
12. März
BA-Chef Gerster bezeichnet den Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit als „Illusion“. „Das kann man sich nicht bei vielen Menschen leisten“, so der Behörden-Leiter auf einer Veranstaltung. Je nach Statistik gelten ein Drittel bis die Hälfte aller 4,7 Millionen Menschen ohne Job als langzeitarbeitslos. CSU-Chef Edmund Stoiber fordert, die Sozialhilfe für Arbeitsfähige um 25 Prozent zu kürzen – ein Alleinstehender ohne Job müsste dann von rund 230 Euro monatlich leben. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Sozialhilfeinitiativen teilt mit, dass sie aus Geldnot ihre Arbeit einstellen muss. Ihr wurden die Bundeszuschüsse gestrichen.
14. März
„Niemandem wird künftig gestattet sein, sich zulasten der Gemeinschaft zurückzulehnen“, sagt Bundeskanzler Gerhard Schröder in seiner Regierungserklärung und kündigt massive Kürzungen an: Arbeitslose bis 55 Jahre sollen nur noch zwölf Monate, Ältere nur noch 18 Monate Arbeitslosengeld erhalten.
Derweil wachsen die Haushaltslöcher bei der BA mit den Arbeitslosenzahlen. Bis Ende Februar hat die Behörde 1,5 Milliarden Euro mehr ausgegeben als eingenommen, so der „Tagesspiegel“. Im Vorjahr habe das Minus zum gleichen Zeitpunkt bei 666 Millionen Euro gelegen.
17. März
Das Arbeitsamt Lübeck lässt nach Alkohol riechende Arbeitslose künftig pusten. Wer mehr als 0,5 Promille im Blut hat, bekommt die Hilfe für den Tag gekürzt. Begründung: Er sei „nicht arbeitsfähig“. Weigert sich ein Betroffener, zum Amtsarzt zu gehen, streicht ihm das Amt für zwei Wochen die Unterstützung.
Kritiker zweifeln an der Rechtmäßigkeit des Vorgehens, ein Sprecher des Hamburger Arbeitsamts hält von dem Vorgehen wenig: „Wir wollen die Leute nicht drangsalieren.“ Am gleichen Tag stellen gewerkschaftlich organisierte Arbeitsamts-Mitarbeiter eine Erklärung ins Internet. Da die BA dieses Jahr Arbeitslosengeld-Einsparungen in Höhe von 2,89 Milliarden Euro fordere, laute das neue amtsinterne Zauberwort „Verfolgungsbetreuung“. Jede Möglichkeit zur Verhängung von Sperrzeiten solle genutzt werden. „Es werden Hitlisten eingerichtet mit dem Ziel zu schauen, wer in welcher Zeit wie viele Sperrzeiten verhängt.“
18. März
Nach Plänen des Wirtschaftsministeriums sollen Arbeitslose unter 25 Jahren, die einen Job oder eine Weiterbildung verweigern, die Hilfe komplett gestrichen bekommen. Im Gegenzug erklärt die Regierung nicht zum ersten Mal, sie wolle jedem jungen Menschen zu einem Arbeits- oder Ausbildungsplatz verhelfen. Derzeit sind bundesweit 580.000 junge Leute arbeitslos gemeldet. Die Zahl der Lehrstellen sinkt, bundesweit fehlen dieses Jahr mindestens 100.000 Ausbildungsplätze. Wegen der Kürzungen bei der überbetrieblichen Ausbildung fallen vermutlich weitere 80.000 Lehrstellen weg.