Antisemitismus ist allgegenwärtig. Dagegen setzt das Festival „Verbindet euch!“ neue Energien frei: Es soll Kräfte mobilisieren und bündeln, Augen öffnen und Spaß machen.
Es tauschte Bomberjacke gegen Sakko ein und drängte ins Amt / Schräg erhoben blieb die rechte Hand …“ Wenn Ben Salomo über Neonazis und rechte Extremist:innen rappt, dann spricht leidvolle Erfahrung aus seinen Zeilen. Der 46-Jährige ist Jude, geboren in Israel, aufgewachsen in Berlin und groß geworden in einer Szene, die ihm heute vorkommt wie Feindesland. Doch er hat eine Mission: Wo Hass auf Juden und Jüdinnen hörbar wird, erhebt der Rapper seine Stimme.
Nur hat er keine im Takt wogende Menschenmenge mehr vor sich, wenn er auftritt. Sein Publikum sitzt inzwischen in Klassenräumen. Ben Salomo macht Bildungsarbeit, klärt auf über Antisemitismus in der deutschen Rap-Szene und Jugendkultur. Am 4. Mai ist er auch in Hamburger Schulklassen gebucht: Seine Workshops im Vorprogramm des Festivals Verbindet euch! zeigen, dass Antisemitismus überall vorkommt – auf Konzerten, auf Instagram, auf dem Schulhof.
Bekannt wurde Ben Salomo als Gründer von „Rap am Mittwoch“. Die Veranstaltung, bei der namhafte und aufstrebende Rapper:innen gegeneinander antraten, zog Tausende Fans an. Doch backstage vernahm er zunehmend Töne, die ihn schockierten. Er hörte Kolleg:innen von jüdischen Eliten raunen, auf Bühnen und im Netz sah er Rapper offen gegen Israel agitieren – und Fans, die sie dafür feierten. „Das fand irgendwann auch Eingang in die Rap-Texte“, sagt er.
Er selbst sei als geldgieriger Jude dargestellt worden, bekam antisemitische Hetz-Kommentare, wenn er
die Szene an ihre Werte Respekt und Toleranz erinnern wollte. Als bei der umstrittenen Echo-Verleihung 2018 zwei Rapper trotz Holocaust-verharmlosender Texte geehrt wurden, fühlte Ben Salomo sich darin bestätigt, der Szene den Rücken zu kehren. Jahrelang habe er versucht, den wachsenden Antisemitismus von innen zu
bekämpfen, erklärte er damals – doch allein schaffe er es nicht.
Wencke Stegemann kennt das Gefühl, gegen eine Gefahr anzukämpfen, die die meisten Menschen scheinbar nicht betrifft. Auch ihr begegne Antisemitismus privat selten, sagt die 44-jährige Historikerin, die sich als Bildungsreferentin auf das Thema spezialisiert hat – weil sie selbst nicht jüdisch sei. „Aber für Juden und Jüdinnen ist er alltäglich.“ Um zu zeigen, dass der Einsatz dagegen nicht nur wichtig ist, sondern mit vereinten Kräften auch Spaß macht, hat Stegemann mit dem Verein „ha-Kesher“ das Festival Verbindet euch! im Museum für Hamburgische Geschichte ins Leben gerufen. Sie hat eine jüdische Puppentheater-Kompanie eingeladen, Poetry-Slammer:innen und Musiker:innen. Ein Live-Escape-Game steht auf dem Programm, die Gruppe „Meet a Jew“ sendet Gesprächspartner:innen, eine Podiumsdebatte erörtert Unterschiede zwischen Rassismus, Kolonialismus und Antisemitismus. „Man kann aber auch einfach kommen, um eine Crêpe zu essen“, sagt Stegemann. Sie will alle erreichen: engagierte Profis, ratlose Lai:innen – oder, wie sie sagt, „Menschen, die eine Haltung haben, über die man gerne einmal mit ihnen reden würde“.
Antisemitismus hat viele Ausdrucksformen, weiß Stegemann. Die Behauptung etwa, Israels Umgang mit den Palästinenser:innen sei nicht besser als das, was die Nazis den Jüd:innen angetan hätten – aus so einer Täter-Opfer-Umkehr spreche oft ein Schuldgefühl angesichts der eigenen Geschichte, erklärt sie. Fragt sie Jugendliche in ihren Seminaren nach spontanen Assoziationen mit dem Wort „Jude“, kommen manche Antworten immer wieder vor: „Du Jude“ als Schimpfwort. Die Annahme, alle Jüd:innen seien reich. Oder Thesen wie „Coca-Cola gehört den Juden“. „Antisemitismus gibt es in jeder Altersgruppe, jeder sozialen Schicht und jedem kulturellen oder historischen Background“, sagt Stegemann. „Niemand ist davor gefeit.“
„Bleib vom Brunnen fern, Hebräer“: Manche Hetzkommentare gegen Rapper Ben Salomo klingen wie aus dem Mittelalter. Auch von Morddrohungen berichtet er. Die zeige er inzwischen an. Der alltägliche Antisemitismus trifft ihn – etwa wenn seine Kinder erleben, dass andere nicht mehr mit ihnen spielen dürfen, weil sie jüdisch sind. Oder wenn sie Sprüche hören: „Iiih, guck mal, diese Juden.“ Auf Demos höre er oft antisemitische Parolen. „Das sind für uns unvergessliche Situationen, die uns an die dunkelsten Zeiten in Deutschland erinnern“, sagt der Rapper.
Für das Festival Verbindet euch! gibt es ein Sicherheitskonzept. Bei Veranstaltungen mit jüdischen Gemeinschaften sei das leider nötig, sagt Stegemann. „Aber wenn man deshalb Dinge nicht tut, macht es das auch nicht besser.“ Ihr Engagement richte sich schließlich nicht nur gegen Antisemitismus. Es gehe um die Demokratie als Ganzes. Ben Salomo stimmt zu: Wer bereit sei, Lügen und Gerüchte über Jüd:innen zu glauben, sei auch anfällig für andere Verschwörungsideologien und Manipulationen. „Daraus erwächst eine Gesellschaft, der man jede Propaganda andrehen kann.“ Und dann werde es nicht nur für Jüd:innen gefährlich.