Ohne Alkohol, ohne Albträume, ohne Gott: Popsänger Farin Urlaub will einfach gut und glücklich sein
(aus Hinz&Kunzt 145/März 2005)
Ende März erscheint das zweite Solo-Album von Sänger Farin Urlaub („Die Ärzte“). Den deutschen Straßenmagazinen gab der 41-Jährige ein Vorab-Interview.
Hinz&Kunzt: Du machst seit vielen Jahren Musik. Ganz früher hast du mal Blumen ausgetragen?
Farin Urlaub: Ja, einmal an Pfingsten. Das war furchtbar.
H&K: Warum musstest du damals arbeiten?
Urlaub: Für mich. Wenn ich etwas haben wollte hieß es: „Ja, viel Spaß.“ Ich habe zwar auch Taschengeld bekommen, aber nur ganz wenig. Meine Eltern wussten anscheinend nicht, dass es so etwas wie eine Inflation gibt. Ich habe so viel Taschengeld bekommen wie sie selbst 30 Jahre vorher. Die anderen konnten sich immer was kaufen und ich nicht. Aber ich will mich nicht beschweren. Dadurch habe ich nur leider überhaupt nicht gelernt, mit Geld umzugehen. Wenn ich was hatte, war es sofort weg. Und als ich dann später richtig viel Geld hatte, habe ich dieses Prinzip beibehalten [K](lacht)[/K].
H&K: Also hatte eure Familie damals wenig Geld?
Urlaub: Ja. Ich bin zwischen sieben und 18 Jahren in Frohnau auf-gewachsen, einem ziemlich reichen Bezirk in Berlin. Meine Eltern waren Beamte, deswegen haben Sie einen Kredit für ein Haus dort bekommen, aber zu Hause hatten wir überhaupt kein Geld. Die ganze Straße fuhr BMW und Mercedes, und wir immer nur gebrauchte Fiats. Ich rede hier nicht von Armut und Elend, aber trotzdem. In den Anfangsjahren der Band haben wir immer gejobbt. Ich bekam zusätzlich noch Geld von meiner Familie: 280 Mark im Monat. Davon habe ich gelebt, das ging. Aber ich habe schon überlegt: „Wenn ich heute esse, dann kann ich morgen nicht essen.“ Dafür reichte das Geld nicht. Ich will es aber nicht dramatisieren. Wir haben nie unter Brücken schlafen müssen. Aber ich hatte immer Sympathie für Leute, die unter Brücken schlafen. Glücklicherweise kenne ich das alles nur aus dem Urlaub. Das ist ein ziemlicher Luxus.
H&K: Hast du damals nichts vermisst, als du gesehen hast, was die anderen sich leisten konnten?
Urlaub: Ich war damals auf einer Schule mit Neureichen-Kindern. Die haben auf meine Turnschuhe geguckt und gesagt: „Die sind ja nicht mal von Adidas.“ Und da habe ich geantwortet: „Ja, aber ich renne trotzdem schneller als du.“ Ich habe ziemlich schnell gemerkt, dass man gewisse Dinge nicht braucht im Leben. Und ich hatte sehr gute Freunde, die mit mir geteilt haben. Ich habe es also nie als furchtbare Strafe empfunden. Im Gegenteil. Mir haben die Leute Leid getan, die superbehütet aufgewachsen sind, dann auf eigenen Füßen stehen mussten und der Lebensstandard ging erstmal rapide bergab. Das war bei mir nie so. Bei mir ging es immer bergauf.
H&K: Du trinkst gar keinen Alkohol, stimmt’s?
Urlaub: (schüttelt den Kopf): Einen Schluck musste ich mal nehmen, als ich eine Wette verlor. Aber dass ich keinen Alkohol trinke, hänge ich nicht an die große Glocke.
H&K: Aber das ist doch ungewöhnlich in der Musikbranche.
Urlaub: Ich habe nie damit angefangen. Drogen – egal welche – waren nie Teil meines Lebens. Zum Glück. Es ist nämlich erschreckend, wie schnell man als Musiker an Drogen käme. Ich will das nicht. Und wenn ich etwas nicht will, dann werde ich echt ekelig. Frag mal meine Band-kollegen! Die verzweifeln daran. Kompromiss? Nein! [K](lacht)[/K] Und des-wegen bin ich auch nicht so furchtbar stolz darauf, keinen Alkohol zu trinken.
H&K: Kennst du persönlich Menschen, die mit Alkohol ein Problem haben?
Urlaub: Ja. Und ich finde das ganz, ganz furchtbar. Dadurch, dass Alkohol so leicht erhältlich ist und das in jeder Konzentration, ist er die schlimmste aller Drogen. Drogen lassen einen nicht mehr Herr seiner selbst sein. Und dazu bin ich viel zu egoistisch. Ich will immer einen klaren Kopf haben und bestimmen, was ich mache.
H&K: In deiner Musik geht es immer wieder um Liebe, Verlassenwerden, Strand und Meer… Auf der neuen Platte spielen aber neue Themen eine Rolle. Was haben die mit deinem Leben zu tun?
Urlaub: Unterschiedlich. Im Stück „Sonne“ geht es um den Tod eines Menschen. Das habe ich selbst mal erlebt und darin verarbeitet. Ganz viele Texte entwickeln sich aus einem Wort, das mich interessiert, oder einer ganzen Zeile, die gut klingt und mich fasziniert. Es gibt ja Leute, die können Zahlen schmecken oder riechen. Ähnlich ist es mit manchen Textzeilen. Dazu höre ich schon die Musik. Und daraus entwickelt sich dann – zack!– ein Lied. Zum Beispiel „Porzellan“: Es handelt von Leuten, die unglücklich sind, weil sie sie selbst sind und sich vorstellen, dass alle anderen viel glücklicher sind. Aus der Zeile „Es liegt an dir“ ist das ganze Lied entstanden.
H&K: In einem anderen Lied heißt es: „Ich nehme Anlauf und dann spring ich hinein und gehe unter wie ein Stein. Doch unter Wasser kann man nicht schrei’n“?
Urlaub: Genau (lacht). Dazu muss man wissen: Ich habe nie Albträume. Aber ich versuche, mich in Sachen hineinzuversetzen. Ich lote mich selbst aus und gucke, wie weit ich gehen kann. Versuche, Welten zu betreten, die ich im Leben nicht betrete. Dann lieber im Text. Das ist sicherer. Da muss ich keine Drogen nehmen.
H&K: Das hört sich gut und glücklich an.
Urlaub: Es ist wirklich so. Es gibt aber auch Leute, die etwas anderes dahinter vermuten.
H&K: Dass du etwas verdrängst?
Urlaub: Ja, genau. Weil: Das kann ja nicht sein. Man kann ja nicht glücklich sein. Vielleicht haben die auch Recht. Aber dann bin ich eben Weltmeister im Verdrängen. Nee, wirklich. Wenn ich an Gott glauben würde, dann würde ich jeden Morgen beten und mich bedanken. Aber glaube ich halt nicht.
H&K: Gar nicht?
Urlaub: Null. Ich glaube an Dinge, die ich sehe und die ich begreifen kann. Religion ist ein wunderbares Konstrukt und hilft vielen Leuten, sich nicht gegenseitig die Köpfe einzuschlagen. Gut, dass es das gibt. Aber bitte nicht für mich.
H&K: Aber man hat doch manchmal Erlebnisse, da denkt man, die waren kein Zufall.
Urlaub: Ich hatte Erlebnisse, die waren wunderschön. Auch schreckliche. Aber warum sollte dafür jemand verantwortlich sein? Warum soll der sich mich ausgesucht haben? Aber ich bin sehr dankbar dafür, dass es mir so gut geht. Und wenn durch das, was wir hier reden, fünf Zeitungen mehr verkauft werden – das ist doch cool.
H&K: Kaufst du selbst die Straßenmagazine?
Urlaub: Ja, aber nicht als Zwang. Ich kaufe sie, wenn ich sie kaufen will und nicht aus schlechtem Gewissen. Als das erste raus kam, dachte ich: „Geniale Idee! Warum bin ich nicht darauf gekommen?“ Wie man immer so schön sagt: „Gib jemandem einen Fisch, dann kann er sich satt essen. Schenk ihm eine Angel, dann kann er selbst für den Lebensunterhalt sorgen.“ Das finde ich toll. Es ist nicht die Rettung der Welt, aber ein guter Schritt.