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„Ich wollte nach Goa und kam zu mir“

Collage des Lebens: Hinz&Künztlerin Steffi Neils schreibt seit Jahren Gedichte – auch über ihre Zeit als Junkie. Eine Auswahl ihrer Verse und Illustrationen

In den 60er-Jahren macht sich Steffi Neils auf die Suche nach neuen Wegen: Sie reist durch Europa, nimmt das damals angesagte Haschisch, experimentiert mit Heroin – und wird davon abhängig. Um ihre teure Sucht zu finanzieren, arbeitet sie als Striptease-Tänzerin auf der Großen Freiheit. Im Animiergeschäft trinkt sie Alkohol, sie rutscht in die nächste Abhängigkeit. 30 Jahre lang lebt Steffi auf der Straße, macht lange Zeit Therapien und Entgiftungen, macht tatsächlich einen kalten Entzug – und schafft ihn! Heute ist sie Hinz&Kunzt-Verkäuferin und seit nunmehr zehn Jahren clean – ohne Heroin, ohne Alkohol – ihr ganz eigener Sieg!

Bildergalerie: „Ich wollte nach Goa und kam zu mir“

 


  • Zuflucht Palette Mitten im Krieg wird Steffi Neils 1943 in Danzig geboren und wächst in der DDR auf. Als sie zehn Jahre alt ist, fliehen ihre Eltern am 17. Juni 1953 – dem Tag des Volksaufstands – mit ihr in die Bundesrepublik, nach Mannheim. Ein Buch über Auschwitz mit Fotos von Leichenbergen, gefunden bei Schulfreundin Monika, verändert ihr Leben. Dazu kommt für sie eine Erkenntnis: „dass alle Systeme betrügen: das stalinistische, das kapitalistische und das nationalsozialistische“. Sie wird tief religiös. Mit 17 verlässt sie ihr Zuhause und geht nach Hamburg. Für die Heilsarmee arbeitet sie an der Talstraße in St. Pauli. Mitte der 60er-Jahre bringt ihr Freund sie zur Palette in der ABC-Straße, eine Kneipe, in der sich Aussteiger, Beatnicks und Künstler treffen. Steffi bricht mit allem, was ihr bisheriges Leben bestimmte. Die Palette wird ihr Zuhause.

  • Ziel Goa Sie sucht nach neuen Lebensformen und trampt durch ganz Europa, im Rucksack Bücher von Hermann Hesse, Jack Kerouac und Allen Ginsberg. Ihr Ziel ist das indische Aussteigerparadies Goa. In Paris bleibt sie länger, lernt Revoluzzer Dany Cohn-Bendit kennen, trifft die Szene aus Künstlern und Aussteigern im Café „Chez Popoff“, experimentiert mit Haschisch und Heroin und wird süchtig.

  • Das Ende der großen Freiheit In Panik vor dem Kaltentzug seilt sich Steffi 1979 aus einem Fenster. Die Bettlaken reißen, zwei Lendenwirbel brechen. Diagnose: Querschnittlähmung. Ihre Mutter schreibt: „Jetzt kannst Du wenigstens nicht mehr weglaufen.“ Eines Tages bewegt sich der große Zeh ihres rechten Fußes. Der Querschnitt ist inkomplett. Sie wird wieder laufen können. Auf zwei Stöcken auf die Straße entlassen, mit einer Behinderung von 100 Prozent, kann sie nicht mehr als Tänzerin arbeiten. Adieu Salambo, adieu Safari, adieu Große Freiheit. Nun muss sie ihre Sucht auf dem Autostrich in St. Georg finanzieren, spritzt sich Heroin in den Fuß, damit keiner die Einstiche sieht. „Das war meine schlimmste Zeit. Ich entkam dem Rollstuhl. Der Droge entkam ich nicht.“

  • Ein neues Leben 1998 schafft es Steffi durch einen Kaltentzug, von Heroin, Alkohol und Zigaretten loszukommen. „Das war ein Trip durch die Hölle.“ Sie wusste: „Entweder überlebe ich das oder krepiere.“ Heute hilft ihr das Schreiben. Jeden Tag bringt sie Gedichte und Texte zu Papier, über ihr Leben, aber auch über Politik, den Einfluss der Kirche auf die Politik, über Neonazis und soziale Ungerechtigkeit. Manchmal recherchiert sie selbst, wenn sie annimmt, von Medien oder Politik betrogen zu werden. „Die Wut half mir zu überleben.“

Heimat
2002 kommt sie zu Hinz&Kunzt. Steffi ist sich sicher: „Ohne Hinz&Kunzt würde ich heute nicht mehr leben. Es reicht nicht, nur clean zu sein. Man muss dem Leben einen Inhalt geben.“ Als ihre Mutter im Sterben liegt, ist Steffi bei ihr bis zum Tod. Sie schließen Frieden. Nach 30 Jahren auf der Straße hat Steffi heute ein Dach über dem Kopf und sitzt in ihrer Freizeit am Computer, den ihr ein Kunde schenkte, damit ihre Gedichte besser zu lesen sind. In der Nähe des Rödingsmarkts, am Großen Burstah, steht die 65-Jährige jeden Tag mit ihrer roten Mütze vor dem Eingang von Spar und verkauft die Zeitung. In der Weihnachtszeit verschenkt sie als Dankeschön Gedichte an ihre Kunden. Sie liebt ihre Straße. Dort fühlt sie sich geborgen. „Der Große Burstah mit seinen Menschen ist meine Heimat, meine Wiege, meine Tankstelle für die Seele. Ich bin angekommen, nicht in Goa, aber bei mir.“

Zwischentexte: Joachim Wehnelt

Freunde

Guter Rat

Ganz unbürokratisch: Fünf Anwälte bieten regelmäßig kostenlose Rechtsberatung bei Hinz&Kunzt an. Ihr Engagement finden sie selbstverständlich.

(aus Hinz&Kunzt 249/November 2013)

Freunde

Die Zeitspender

Freiwillige vor: Ob Kuchenverkauf oder Kassendienst – ein starkes Team von Helferinnen unterstützt Hinz&Kunzt seit Jahren bei Veranstaltungen und Aktionen. Vielen Dank dafür!

(aus Hinz&Kunzt 249/November 2013)

Freunde

Der Rat der Experten

Ohne sie würden wir im eigenen Saft schmoren und hätten einige Projekte nicht verwirklichen können. Hier lernen Sie unsere externen Beiratsmitglieder kennen und die Gründe, warum sie sich für uns engagieren.

(aus Hinz&Kunzt 249/November 2013)

Auktion

Kunst für Menschenrechte

Verfolgten und Gequälten eine Zuflucht zu bieten – das ist oberstes Gebot, finden die Künstler, die ihre Werke zugunsten von „Kunst für Menschenrechte“ gespendet haben. Am Samstag werden in Blankenese die Bilder und andere Kunstwerke zugunsten der Hilfe für Flüchtlinge versteigert.

Hinz&Künztler

Gemeinsam sind sie stark

Sie sind das Herzstück von Hinz&Kunzt: unsere Verkäufer. Sie trotzen Wind und Wetter und wollen durch den Zeitungsverkauf ihr Leben wieder in den Griff kriegen. Dass sie auf diesem Weg erfolgreich sind, verdanken sie Ihnen – allen Hinz&Kunzt-Lesern, ohne die unser Projekt überhaupt nicht möglich wäre. Viele sind dabei sogar mehr als nur Kunden: Sie halten ­Klönschnack mit „ihren“ Verkäufern, spendieren mal einen Kaffee und machen vor allem Mut. Genauso wie die Marktleiter, die den Hinz&Künztlern Verkaufsplätze vor Supermärkten und Geschäften zur Verfügung stellen. Es sind tolle Beziehungen, die da zum Teil entstehen – wie die Begegnungen von acht Hinz&Künztlern mit „ihren“ Marktleitern und Kunden zeigen.

(aus Hinz&Kunzt 249/November 2013)

Wanderarbeiter

Polens verlorene Söhne

In Hamburg Geld machen – davon träumen viele Wanderarbeiter. Oft endet die Reise in der Obdachlosigkeit. Die Polen haben dabei noch Glück im Unglück: Sie dürfen hier ohne Einschränkung arbeiten. Und Projekte wie der Verein Barka helfen in Polen bei der Rückkehr. Emilia Smechowski (Text) und Mauricio Bustamante (Fotos) haben 2012 Heimkehrer besucht.

(aus Hinz&Kunzt 249/November 2013)

Europapolitik

Ohne Solidarität gibt es keinen Ausweg

Als EU-Kommissar für Beschäftigung, Soziales und Inklusion muss László Andor EU-Verträge überwachen und kann Empfehlungen aussprechen. In besonders harten Fällen kann die ­Kommission auch Klage beim Europäischen Gerichtshof einreichen. Ein Gespräch zur sozialen Lage in Europa.

(aus Hinz&Kunzt 249/November 2013)

Obdachlose Familie

18 Quadratmeter Hoffnung

Die Situation von Familie Nikolov war so verzweifelt, dass sie lieber hier obdachlos ist als in Bulgarien arbeitslos und ohne Perspektive. Georgi Nikolov glaubt fest daran, bald Arbeit zu finden. Allerdings sind da noch die Kinder im Spiel.

(aus Hinz&Kunzt 249/November 2013)

Gegen Leerstand

Obdach ist machbar, Herr Nachbar!

Die Idee könnte Schule machen: In St. Georg wollen Anwohner erreichen, dass Obdachlose in ein leer stehendes Haus ziehen. Die Kirche und Lokalpolitik unterstützen ihre Pläne.

(aus Hinz&Kunzt 249/November 2013)