Video: 1029 Luftballons

1029_Ballons-13(2)Mitte April vor dem Hamburger Mariendom: Der Caritasverband schickt 1029 bunte Luftballons in den Himmel – genau so viele Obdachlose zählte die Stadt bei einer Studie im vergangenen Herbst. Anlass für die Aktion war das Ende des Winternotprogramms der Stadt.

HINTERGRUND:

Bis zu 750 Menschen mussten Mitte April zurück auf die Straße, weil es keine Wohnungen
für sie gibt. Die Wohlfahrtsverbände fordern bessere Hilfen für Obdachlose.
Neben Wohnraum fehle es vor allem an kleineren Unterkünften und Einzelzimmern.
Der Senat findet seine Hilfsangebote hingegen ziemlich gut.

Laut Obdachlosenbefragung vom vergangenen Jahr leben 1029 Menschen in Hamburg auf der Straße, 20 Prozent weniger als 2002. Dass „die Arbeit Erfolge zeigt“, so Sozialsenator Dietrich Wersich (CDU) anlässlich einer Fachtagung, würden auch die Zahlen zum Ende des Winternotprogramms zeigen. Die sind bei näherer Betrachtung aber wenig beeindruckend: Nur 13 Obdachlose konnten laut Sozialbehörde in eine Wohnung vermittelt werden, 101 zogen mangels Alternative von der Winternotunterkunft Sportallee in eine andere städtische Unterkunft. Da laut Behörde insgesamt 875 Menschen das Winternotprogramm genutzt haben, mussten somit bis zu 750 Obdachlose zurück auf die Straße ziehen. Dennoch spricht der Senat von „erfolgreicher Vermittlung in feste Bleibe“ und erklärt: „Ein Teil der Menschen wollte ausdrücklich und auf eigenen Wunsch zu einem Leben auf der Straße zurückkehren oder ist zu Bekannten, Freunden oder einem Untervermieter gezogen.“ Sozialarbeiter hingegen machen vor allem fehlende Alternativen dafür verantwortlich. 

UJO

Musik: Xóchil&Nils Wülker – GUTE MÄCHTE aus dem Hinz&Kunzt-Geburtstagsalbum KunztStücke

Vorschau: zu Knyphausen im Hinz&Kunzt-Interview

Straßenmagazin schon ausgelesen? Jetzt schon auf die Mai-Ausgabe freuen!

Making oft: Hinz&Kunzt-Fotograf Benne Ochs und Gisbert zu Knyphausen
Making of: Hinz&Kunzt-Fotograf Benne Ochs und Gisbert zu Knyphausen

Zum Beispiel auf den Kunzt&Kult-Teil, unter anderem mit Singer-Songwriter Gisbert zu Knyphausen. Der (Noch-)Hamburger veröffentlicht zu seinem Geburtstag am 23. April seine neue Platte „Hurra! Hurra! So nicht! und geht auch gleich auf große Tour. Sein Konzert am 25.4. auf Kampnagel ist leider schon ausverkauft.

Mit uns hat der Musiker über seine Zweifel an Fan-Artikeln, Fluchen übers Traurigsein und das Ignorieren seiner adeligen Herkunft gesprochen.

Hinz&Kunzt kaufen und Killerqueen kämpfen sehen

Die Hamburger Boxweltmeisterin Susianna Kentikian, der Weltmeister im Halbschwergewicht Jürgen Brähmer und der Amateurweltmeister Jack Culcay trainieren am 20.4. ab 13 Uhr öffentlich mit ihren Gegnern. Eigens dafür wird in der Wandelhalle am Hauptbahnhof ein Box-Ring aufgebaut. Anschließend verkauft Susianna mit Hinz&Künztler Uwe eine halbe Stunde lang das Straßenmagazin.

01HK206_Titel.inddIn einigen der Hefte, die sie verkauft, wird sie Eintrittskarten für ihren Weltmeisterschaftskampf am Samstag, 24. April, in der Sporthalle Hamburg verste­cken.

Wer am Dienstag, 20. April, ab 13 Uhr in der Wandelhalle im Hauptbahnhof eine Hinz&Kunzt bei Kentikian kauft, hat die Chance, zwei Tickets von 50 zu erwischen.

Viel Glück!

Lesung: Schreps Sozialreportagen

Am Donnerstag, 15. April, liest der Spiegel-Reporter Bruno Schrep Geschichten aus seinem Buch „Nebenan. Wahre Geschichten“.

Spendable Schüler

Die 4b der Gesamtschule Allermöhe hat gleich zwei Flohmärkte zugunsten von Hinz&Kunzt veranstaltet. Auf die Idee kam die Klasse, nachdem sie gemeinsam „Mein Freund Ringo“ gelesen hatte. In dem Buch geht es darum, wie man füreinander einsteht. Den Erlös, den die Kinder der 4b mit dem Verkauf eigener Spielsachen und Bücher erzielten, schenkten sie Hinz&Kunzt.

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Dafür kamen Jenny, Julia und Jan-Valentin mit ihrer Lehrerin eigens in der Altstädter Twiete vorbei und überreichten 100 Euro an Gabriele Koch, die bei Hinz&Kunzt das Spendenmarketing leitet.

Ein riesengroßes Dankeschön, liebe 4b!

Die neue Hinz&Kunzt ist da!

Ab sofort auf Hamburgs Straßen und Plätzen zu kaufen: Die Hinz&Kunzt-Aprilausgabe.

Titel_206Auf dem Titelbild zu sehen: die bezaubernde Sibel Kekilli. Bekannt wurde sie mit Fatih Akins Filmerfolg „Gegen die Wand“, in „Die Fremde“ verkörpert sie die Deutsch-Türkin Umay, deren Leben zwischen zwei Kulturen tragisch verläuft. Unserem Autor Frank Keil sagte die Schauspielerin, warum sie ihren neuesten Film so sehr mag.

Neue Studien zum Arbeitsmarkt

„Arbeit soll sich wieder lohnen“, poltern Politiker.

Im Februar hatte das Karl-Bräuer-Institut – das Forschungsinstitut des Bundes der Steuerzahler – eine für die Frankfurter Allgemeine Zeitung durchgeführte Studie veröffentlicht. Laut dieser lohnt sich für viele Beschöftigte in Deutschland die Arbeit nicht, weil sie sogar weniger verdienen als die Grundsicherung durch den Staat betrüge.

Jetzt bieten gleich vier neue Studien Hintergrund für die Debatte über Arbeitsmarktpolitik.

Das alte Lied

Hinz&Künztler Manfred, 31: Ohne Arbeit keine Wohnung, ohne Wohnung keine Arbeit

Manfred1Dass er keinen Job kriegt, sagt Hinz&Künztler Manfred, liegt daran, dass er keine Steuernummer hat. So simpel das klingt, so unlösbar scheint ihm die Situation: „Ich habe keine feste Meldeadresse, also kriege ich keine Steuerkarte. Und ohne die Karte kriege ich keine Arbeit.“

Seit Ende November 2009 ist der Österreicher Hinz&Künztler. Seinen Verkäuferausweis hat er sich nach seiner ersten Nacht draußen an der Alster geholt.

Flüstern und Schreien

Wie der Schauspieler Dietmar Mues den Gescheiterten eine Stimme gibt

(aus Hinz&Kunzt 117/November 2002)

Er hat als Gollum im Herrn der Ringe Furore gemacht, er war Karl May und Jack the Ripper. Trotzdem kann sich der Schauspieler Dietmar Mues, seit über 30 Jahren im Geschäft, völlig unbehelligt durch die Stadt bewegen. Denn erkannt wird nicht sein Gesicht, sondern seine Stimme.

Mit diesem sonoren Bass, der in unendlichen Variationen wispern und flüstern, poltern, schmeicheln, spotten, schimpfen und schreien kann, hat der 57-Jährige in drei Dutzend Hörspielen die unterschiedlichsten Figuren zum Leben erweckt. Für ihn bedeutet diese Arbeit nicht einfach zu sprechen, sondern eben spielen, „weil man ja mit seiner Stimme den Figuren einen Körper gibt, so dass der Hörer sie in seiner Phantasie vor sich sieht“.

Tatsächlich gelingt es Dietmar Mues, von abgrundtiefer Verzweiflung über milde Depression, wohlige Resignation bis zu offenem Hass vor allem die dunkleren Facetten der menschlichen Seele eindrucksvoll zu verkörpern. Er liebt das. Seine braunen Augen leuchten, wenn er von „den spannenden Manuskripten und den Autoren, die noch wirklich was wollen“, schwärmt, die man beim Hörspiel, dieser „freien Insel“ im Kulturbetrieb, entdecken könne.

Und weil man aufpassen sollte auf das, was man liebt, ist er wählerisch, wofür er seine Stimme hergibt. Er leiht sie nicht aus an andere Schauspieler, deshalb kann man ihn nicht als Synchronsprecher buchen. Wohl aber, um Dokumentarfilme zu vertonen. Man hat von ihm, anders als von anderen berühmten Stimmen, auch noch keine Produktwerbung gehört.

Nein zu sagen, das habe er schon bei seiner Ausbildung bei Eduard Marks an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst gelernt. „Denken fängt mit Nein sagen an.“ Beinahe triumphierend verkündet er dieses Credo, mit dem er sich im Laufe seines Lebens zwar den einen oder anderen Ärger, aber auch jede Menge Spaß eingehandelt hat. Denn mit der gleichen Leidenschaft, mit der er sich gegen etwas entscheiden kann – gegen einen Langzeit-Vertrag in der Lindenstraße beispielsweise oder eine Verlängerung der immerhin zwölfjährigen Zugehörigkeit zum Schauspielhaus-Ensemble –, begeistert er sich für andere Projekte: Wenn er gemeinsam mit Jazz-Musikern wie Dieter Glawischnig auf Tournee geht und Ernst Jandl zum Besten gibt, und für den Tucholsky-Abend, den er seit zwölf Jahren gemeinsam mit Hannelore Hoger und Joachim Kuntzsch aufführt.

Oder jetzt eben „Leben bis Männer“, die bittere Rückschau eines Mannes, der seine Erfahrungen und sein Scheitern in den Begriffen des Fußballs zu fassen und zu ordnen versucht. In ausgeleierter Jacke sitzt Dietmar Mues räsonierend auf der Bank am Rande eines Bolzplatzes, zieht die Linien nach, pumpt den Ball auf, bis er fast platzt, und erzählt aus seinem Leben als Freizeittrainer in der ostdeutschen Provinz: „Andere hatten ihre Familien, ich hatte Tatkraft Börde!“ – „Erst der Sieg der DDR hat den DFB zur BRD gemacht“ oder „Wenn gespielt wird, kommt das komplette übrige Leben zum Erliegen!“ sind einige seiner Lebensweisheiten, bei denen das Publikum zwar lacht, aber doch zunehmend traurig wird. Denn je länger man ihm zuhört, umso mehr fürchtet man, dass diese „Jungs“, die er über den Platz scheucht und die alles sind, was dem Trainer geblieben ist, dass die vielleicht gar nicht kommen werden, sondern auch nur noch in seiner Erinnerung existieren.

Dietmar Mues glaubt das auch. Er selbst hat nur mal in einer Theatermannschaft gekickt, aber darum gehe es auch nicht in diesem Ein-Personen Stück von Thomas Brussig. „Es geht um diesen zugegebenermaßen spezifisch männlichen Wahnsinn, der genauso gut im Hobbykeller stattfinden kann wie auf dem Fußballplatz. Diese Manie, nicht nur seine gesamte Zeit und Energie in eine Sache zu stecken, sondern auch noch eine komplette Philosophie dazu zu erfinden.“ Grinsend wird er später zugeben, Schach zu spielen – aber nicht manisch, versteht sich.

In „Leben bis Männer“ macht er vor allem die Verzweiflung sichtbar, die hinter diesem Wahnsinn verborgen ist, ein Scheitern, das vor allem deshalb so tragisch ist, weil dieser Trainer selbst permanent einer Welt das Wort redet, in der nur Gewinner Platz haben.

„Den Gescheiterten eine Stimme zu geben“, das sieht Dietmar Mues nicht nur als künstlerische Herausforderung, sondern auch als politische Aufgabe, und das fordert er auch vom Theater, das „nicht nur fürs internationale Feuilleton spielt, sondern etwas mit der Stadt zu tun haben muss, in der es steht“.

Damit er diese hohen Anforderungen erfüllt, hat er fast drei Monate für „Leben bis Männer“ geprobt: Ist eisern jeden Vormittag den Kollau-Wanderweg abgeschritten und hat den Text auf den Karteikärtchen auswendig gelernt, hat Freunde, Bekannte und Kollegen in die Proben gebeten und sich ihrer Kritik gestellt – und nach jeder Vorstellung geht er das Ganze noch einmal mit einer jungen Kollegin durch, um zu sehen, was man noch besser machen könnte. Und das alles, wie er dann doch mal sagen muss, für eine Gage, die er sich nur leisten kann, weil er noch die ein oder andere gut bezahlte Nebenrolle im „Tatort“ spielt.

Doch schon im nächsten Satz sagt er mit großem Ernst: „Ich habe einfach wahnsinnig viel Glück gehabt! Dass ich mich so lange als freier Schauspieler halten konnte und mir meine Projekte wirklich aussuchen kann – andere, hervorragende Leute, sind untergegangen, nur weil sie vielleicht nicht im richtigen Moment am richtigen Ort waren.“

Trotz solcher hautnahen Erfahrungen mit den Grausamkeiten des Berufs sind seine beiden älteren Söhne Wanja und Jona auch Schauspieler – oder jedenfalls dabei, es zu werden. Und der 11-jährige Woody hat bei seinem Vater gerade ein Kinderbuch in Auftrag gegeben. 150 Seiten davon hat Dietmar Mues schon fertig. Breit grinsend sagt er, dass er „solche zurückgezogenen Projekte“ sehr genießt. Möglicherweise eine neue Leidenschaft, die der Büchernarr ohne Abitur, der auch schon Drehbücher verfasst hat, da entdeckt hat.

Diesen Mut, immer wieder neues Terrain zu betreten, schöpfe er auch aus der Sicherheit, „in einem System zu leben, das Scheitern zulässt“. Dazu zählt natürlich seine Frau, mit der er seit 29 Jahren verheiratet ist, und die vermutlich genauso lange dafür sorgt, dass er zwischen all seinen Projekten nicht den Überblick verliert. Dazu zählen aber auch Kollegen, mit denen er sich beinahe ohne ein Wort verständigen kann, seine langjährigen „Kaffeehausfreunde“, mit denen er noch immer freudig die Welt im Allgemeinen und Besonderen debattiert. Dieses persönliche „Sicherheitsnetz“ ist vermutlich ein wichtiger Teil von dem, was er als „Glück“ bezeichnet – neben seiner Erfahrung, seiner Professionalität und dieser unnachahmlichen Stimme.

Sigrun Matthiesen

Not-Lösung

Wie Wohnungslose leben

(aus Hinz&Kunzt 117/November2002)

Welche Angebote gibt es in Hamburg für Menschen, die nicht mehr auf der Straße leben wollen? Im ersten Teil unseres Überblicks stellen wir die Notunterkunft Achterdwars, das Container-Projekt der Neuen Wohnung und das betreute Wohnen im Jakob Junker Haus vor.

Kleine Ewigkeiten

In den Notunterkünften von pflegen & wohnen (p & w) leben Menschen, die keiner haben will: Alkohol- und Drogenkranke, Verwirrte und Alte, Einsame und Uneinsichtige. Hans-Jürgen zum Beispiel hat zuletzt in einer sozialtherapeutischen Einrichtung gewohnt. Gärtnern sollte er dort, um sich das Trinken abzugewöhnen. Das gefiel ihm nicht, und deshalb ist er gegangen. „Wer arbeitet denn für 150 Mark im Monat?“, fragt der 53-Jährige noch heute empört.

17 Jahre ist das nun her. In der Bergedorfer Unterkunft Achterdwars ist der mittlerweile Pflegebedürftige dann gestrandet. 172 „alleinstehende obdachlose Männer“ leben hier in dreistöckigen, unauffälligen Klinkerbauten, „öffentlich untergebracht“ laut Behördendeutsch. Die meisten teilen sich zu viert die schlichten Zwei-Zimmer-Appartements mit Küche und Bad, jeweils zwei Betten pro Raum. Für schwierige Kunden stehen 24 Einzelzimmer bereit. „Wir nehmen jeden so, wie er hier ankommt, und versuchen ihm ein Gefühl von Zuhause zu vermitteln“, sagt Werner Glissmann, Leiter der Wohnunterkunft. Da haben seine beiden Sozialarbeiter eine Menge zu tun.

Eigentlich sollen ihre Klienten hier nur vorübergehend leben. Doch wie Hans-Jürgen gibt es manchen, der den Weg aus dem Provisorium niemals mehr findet. Laut einer Studie, die p & w-Sozialarbeiter vor zwei Jahren anfertigten, ist jeder fünfte Bewohner der Notunterkünfte „nicht bzw. nur äußerst schwer integrierbar“. Viele der Dauerbewohner hätten nicht nur schwere Suchtprobleme, sondern seien auch psychisch krank und verwahrlost.

40 Menschen haben dieses Jahr den Sprung in die eigene Wohnung oder „andere dauerhafte Wohnformen“ (z.B. WG) geschafft, so die Statistik. Wie viele davon in eine Notunterkunft zurückkehren („Drehtüreffekt“), weil sie ihre Probleme nicht in den Griff bekommen, erfasst p & w nicht. Und auch nicht, wie lange die Menschen in den Unterkünften verweilen.

„Es geht nicht nur darum, Wohnungen zu vermitteln“, meint Sozialarbeiter Mike Schulze. Ein soziales Umfeld sei ebenso wichtig. Manch ehemaliger Bewohner komme trotz eigener vier Wände regelmäßig in der Unterkunft vorbei, weil er anderswo keine Freunde findet. „Einige haben sogar schon gefragt, ob sie nicht wieder einziehen dürfen – weil die Kommunikation hier so gut ist.“ Der Weg ins bürgerliche Leben ist eben lang. Und bei manchem psychisch kranken Schützling, den der Spardruck aus der Psychatrie vertrieben hat, denkt der Sozialarbeiter auch: „Ich wüsste nicht, wo der besser untergebracht sein sollte.“

Ulrich Jonas

Notunterkunft Achterdwars
Größe: 172 Plätze
Unterkunftsart: Doppel- und Einzelzimmer in Zwei-Zimmer-Appartements (40 Quadratmeter), möbliert
Betreuungsschlüssel (Sozialarbeiter pro Bewohner): 1:100
Bewohner: Obdach- und Wohnungslose
durchschnittliche Verweildauer der Bewohner: keine Angaben
Auszüge in eigene Wohnung: 21 von 113 (1998) = 19 Prozent
Kosten/Bewohner/Tag: 10,89 (Doppel-) bzw. 13,79 Euro (Einzelzimmer), finanziert von der Sozialbehörde
Träger: pflegen & wohnen
Kontakt: Wohnunterkunft W 611, Achterdwars 7–13, 21035 Hamburg, Tel. 040 / 721 15 19

Sprungbrett Container

„Bis Januar will ich eine Wohnung finden“, sagt Sascha. Seit anderthalb Jahren lebt der Ex-Obdachlose im Containerdorf an der Langenfelder Straße. „Von der Atmosphäre her ist das hier ein bisschen wie in der Jugendherberge: Man hat immer jemanden zum Reden“, sagt der 25-Jährige. „Aber ich will mich jetzt um meine Zukunft kümmern. Um Arbeit zum Beispiel.“

Projektleiter Michael Struck hört solche Sätze gern. Schließlich ist es das Ziel der gemeinnützigen Neue Wohnung GmbH, aus verzweifelten Existenzen normale Mieter zu machen. Oft gelingt das: Rund 150 Obdach- und Wohnungslose haben Struck und sein Kollege Karsten Lüdersen seit 1994 in Wohnraum vermittelt. Dieser Erfolg fußt auf drei Säulen: Nicht mehr als 20 Bewohner leben in einem Container-Projekt, wer Hilfe vom Fachmann braucht, der bekommt sie schnell, und jeder kann seine Tür hinter sich schließen. Das kostet, doch es macht Sinn: „So können sich die Menschen in Ruhe Gedanken machen, was sie wann in Angriff nehmen wollen“, sagt Lüdersen.

Monate lang mussten die Helfer mit der Stadt verhandeln, bis die sich bereit erklärte, die laufenden Kosten eines neuen Container-Projekts zum größten Teil zu übernehmen. Und obwohl die Neue Wohnung das Ziel der Sozialsenatorin – kleine, dezentrale Unterkünfte für Obdachlose – vorbildlich umsetzt, musste schließlich eine Stiftung die 180.000 Euro Investitionskosten für die neue Unterkunft in Barmbek berappen.

Sorge bereitet den Sozialarbeitern vor allem, dass sich die Suche nach Wohnungen zunehmend schwierig gestaltet. „Man möchte sich nicht mehr mit dem Lumpenproletariat abgeben“, sagt Struck ketzerisch. Nur neun Wohnungslose konnten dieses Jahr in Wohnungen umziehen, in früheren Jahren waren es deutlich mehr. „Zusätzlich 2000 Wohnungen für Sozialschwache – sofort!“ fordern die Sozialarbeiter von den städtischen Wohnungsgesellschaften SAGA und GWG. Diese sollten auch Menschen mit Altschulden als Mieter akzeptieren: „Die Schranken zum Wohnen sind einfach zu hoch.“

Ulrich Jonas

Containerprojekt Neue Wohnung
Größe: 19 Plätze
Unterkunftsart: 1-Mann-Container (13 Quadratmeter), möbliert
Betreuungsschlüssel (Sozialarbeiter pro Bewohner): 1:20
Bewohner: Wohnungslose mit Kostenübernahme vom Sozialamt
durchschnittliche Verweildauer der Bewohner: sechs Monate
Auszüge in eigene Wohnung: 88 von 170 (1994 bis 2001) = 51 Prozent
Kosten/Bewohner/Tag: 23 Euro, davon Behörden-Zuschuss 17,90 Euro, ab Januar 20, 20 Euro;
Rest über eine Stiftung
Träger: Neue Wohnen gGmbH
Kontakt: Neue Wohnung gGmbH, Langenfelderstr. 132, 22769 Hamburg, Tel. 040 / 851 23 78

Blut und Feuer

Das Haus gehört zur Division Nord, die Leitung haben zwei Kapitäne, und am Eingang hängt das Wappen mit der Inschrift „Blut und Feuer“. Auf militärische Dramatik muss man sich einstellen bei einem Träger, der Heilsarmee heißt. Doch die Streiter für den christlichen Glauben sind eifrige Verfechter tätiger Nächstenliebe: In Hamburger Stadtteil Groß Borstel unterhalten sie seit 25 Jahren das Jakob Junker Haus, eine betreute Unterkunft für Obdachlose.

Besonderheit: Die Bewohner bereiten ihre Mahlzeiten nicht selber zu, sondern essen in der hauseigenen Kantine (die von der Rathauspassage beliefert wird). „Das wird rege angenommen“, sagt Betreuungsleiter Christoph Güra. „Die Vollverpflegung ist unser Part in der Hamburger Hilfelandschaft.“

Die 60 Einzelzimmer werden derzeit renoviert. Sie sollen auch künftig unter einem Dach bleiben: Eine Dezentralisierung des Angebots ist nicht geplant. Zusätzlich gibt es elf Zimmer, in denen Bewohner sich selbst versorgen – um mehr Selbstständigkeit zu üben. Wer ausgezogen ist, kann trotzdem noch Unterstützung bekommen: Ein Mitarbeiter im Jakob Junker Haus ist ausschließlich für Nachbetreuung zuständig.

Die Heilsarmee unterhält außerdem einen Tagestreff für Alkoholgefährdete in Billstedt (Park-In) und ist an der Beratung für Wohnungslose in Harburg beteiligt. Mit sechs Container-Plätzen beteiligt sich das Jakob Junker Haus am Winternotprogramm für Obdachlose. Die Polsterei, ein Beschäftigungsprojekt mit 14 Plätzen, muss allerdings zum Jahresende geschlossen werden. Grund: die Kürzungen bei den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen.

Detlev Brockes

Jakob Junker Haus
Größe: 71 Plätze
Unterkunftsart: 60 möblierte Einzelzimmer (ca. 12 Quadratmeter) mit Verpflegung,
11 möblierte Zimmer mit Selbstversorgung
Betreuungsschlüssel (Sozialarbeiter pro Bewohner): 1:8
Bewohner: wohnungslose Männer mit besonderen sozialen Schwierigkeiten
Durchschnittliche Verweildauer: sieben Monate
Auszüge in eigene Wohnung: 41 von 110 (2001) = 37 Prozent
Kosten/Bewohner/Tag: 60,15 Euro, finanziert von der Sozialbehörde
Träger: Heilsarmee
Kontakt: Jakob Junker Haus, Borsteler Chaussee 23, 22453 Hamburg, Tel. 040 / 51 43 14 0