Kein Pardon

Hamburgs Behandlungszentrum für traumatisierte Flüchtlinge muss zum Jahresende schließen

(aus Hinz&Kunzt 139/September 2004)

Dr. Sabine von der Lühr schießen Tränen in die Augen. „Ich bin 60. Ich kann den Job eh nicht mehr lange machen“, sagt die Psychologin von accept, der einzigen mit öffentlichen Mitteln geförderten Einrichtung in Hamburg, die traumatisierten Flüchtlingen, Kriegs- und Folteropfern sozial- und psychotherapeutische Hilfe bietet. Aber natürlich habe sie auf eine Nachfolgerin gehofft, sagt sie nach einer kurzen Pause. „Stattdessen muss ich den Klienten jetzt eiskalt mitteilen: Ab Dezember ist niemand mehr hier.“

Manya! – Musik und Männer

Ein Hamburger Dokumentarfilm über eine leidenschaftliche Frau feiert Premiere auf dem Filmfest

(aus Hinz&Kunzt 139/September 2004)

Das Filmfest Hamburg zeigt das unterhaltsame Porträt der über 90-jährigen Hamburgerin Manya Nolepa. Die ehemalige Revue-Akkordeonistin, Truppenbetreuerin und lebenslustige Dreifach-Witwe berichtet aus ihrem Leben – eine muntere und melancholische Rückschau auf das vergangene Jahrhundert. Silke Schütze und Armin Plöger haben Manya drei Jahre mit der Kamera begleitet.

Saubere Sache

Wie ein Obdachloser Alkohol und Schulden in den Griff bekam – und jetzt ein Reinigungsunternehmen führt

(aus Hinz&Kunzt 139/September 2004)

Dienstag, 6.30 Uhr am Rathausmarkt. Hannes Hemmers (48) klappt die Leiter aus, greift zu Eimer und Leder. Heute sind wieder die Glasscheiben des Imbiss-Pavillons dran. Neben Hemmers putzt sein Sohn Michael (26). Auch er in Firmen-Montur: rote Hose und gelbes T-Shirt. Ein Familienunternehmen bei der Arbeit.

„Das P in den Augen“

Hartz IV: Abendblatt-Redakteurin Barbara Hardinghaus lebte einen Monat lang vom Arbeitslosengeld II

(aus Hinz&Kunzt 139/September 2004)

Hinz&Kunzt: Wie viel Geld stand Ihnen am Tag zur Verfügung?

Hardinghaus: Ich dachte anfangs, ich hätte zehn Euro. Aber beim zweiten Durchrechnen habe ich gemerkt, dass das gar nicht stimmt: Ich habe noch ein Auto und Telefon, danach hatte ich einen Tagessatz von etwas über sechs Euro, für Essen waren das noch 4,34 Euro. Mein Auto würde ich abschaffen, weil es mich 70 Euro im Monat kostet.

Aus dem Abseits

In Göteborg spielten 26 Teams von vier Kontinenten um den Homeless World Cup

(aus Hinz&Kunzt 139/September 2004)

„Nip-pon! Nip-pon!“, schallt es Göteborgs Flaniermeile Avenyn hinab. „Fotbolls VM“ ist auf der Tribüne des Hasselblad-Museums in riesigen Lettern zu lesen, „Fußball WM“. Kein Hinweis darauf, dass hier nicht die EM-Stars Larsson und Ibrahimovic spielen, sondern Obdachlose und andere, denen das Leben übel mitgespielt hat.

Glückliche Gewinner

Plötzlich ist eine Familie um 80.000 Euro reicher – und doch bleibt vieles beim Alten

(aus Hinz&Kunzt 139/September 2004)

Gewonnen. Die Kinder jubeln und tanzen durch die Wohnung. „Ich konnte es nicht fassen: 79.500 Euro nur dafür, dass man ein Geräusch erkennt.

Auf nach Hawaii!

Ein Gespräch über Abzocker und „Sozialschmarotzer“

(aus Hinz&Kunzt 138/August 2004, Die Verkäuferausgabe)

Lenuweit: Hast du schon gehört? Jetzt sollen die Blinden Fernsehgebühren bezahlen! Das ist doch ein starkes Stück. Wahrscheinlich sind die sowieso nur blind, um sich von den Gebühren befreien zu lassen.

Flucht vor dem „großen Tag“

Genitalverstümmelung – die Geschichte eines Mädchens aus Eritrea

(aus Hinz&Kunzt 138/August 2004, Die Verkäuferausgabe)

Hinz & Künztlerin Laura hat für viele afrikanische Frauen gedolmetscht, die ein gemeinsames Schicksal haben: Sie wurden in ihrer Heimat beschnitten, oder sie sind vor der Beschneidung geflohen. Aus den Erzählungen der Frauen komponierte sie die Geschichte von Kraa-Gool, einem Flüchtlingsmädchen aus Eritrea.

Leben in Hamburgs Wohnzimmer

Wie die sozialen Initiativen City das Miteinander in der Innenstadt fördern

(aus Hinz&Kunzt 138/August 2004, Die Verkäuferausgabe)

Soziale Schieflagen

Verkäufer äußern sich zu drei aktuellen Themen

(aus Hinz&Kunzt 138/August 2004, Die Verkäuferausgabe)

„Mietnomaden“ und arme Schlucker

Die Informationen sind eindeutig: Immer mehr Privatleute können ihre Schulden nicht bezahlen. Allein im April dieses Jahres mussten 3500 Menschen ihre Zahlungsunfähigkeit anmelden – das sind fast 30 Prozent mehr als im vorigen Jahr. Gleichzeitig nehmen die Räumungsklagen vor Hamburger Amtsgerichten zu. Und die Wohnungsgenossenschaften klagen über ausstehende Mieten.

Eine neue Bezeichnung kursiert: „Mietnomaden“. Zahlungsunwillige Mieter mit Wiederholungspotenzial sind damit gemeint, die wissen, dass sie sich die geplanten Ausgaben nicht leisten können.

Sicher gibt es solche Betrüger. Aber das ist die Minderheit. Die Gefahr liegt in dem gezielt gepflegten Meinungsklima unserer Zeit. Denn wer nichts hat, ist auch nicht angesehen. So versuchen die Menschen, Gewinn vorzutäuschen, bei der großen Maskerade mitzuspielen.

Doch selbst, wer sich nicht maskiert: In Erwartung realer Kürzungen (Hartz IV) ist nicht nur die Angst der Armen, sondern auch die der unteren Mittelschicht berechtigt, bald nicht mehr zurechtzukommen. Wessen privates Warnsystem nicht funktioniert, der ist ungeschützt und wird dafür zahlen. Die Wege in Richtung Abgrund werden zunehmend besser planiert.

Autor: Laura

Beratungsstellen vor dem Aus?


Ein Gespräch mit Dieter Ackermann, Leiter Soziale Dienste beim Hamburger Caritasverband


Laura:
Die Beratungsstelle Billstedt in der Möllner Landstraße und die Außenstelle Bergedorf am Achterdwars, die sich um Wohnungslose kümmern, sollen vor der Schließung stehen. Was ist an den Gerüchten dran?

Dieter Ackermann: Wahr ist, dass die Caritas ihren Mitarbeitern vorsorglich gekündigt hat. So können wir uns notfalls aus dem Beratungsangebot zurückziehen.

Laura: Warum erwägen Sie das?

Ackermann: Weil wir die Kosten trotz Zuschüssen von der Stadt auf Dauer nicht mehr tragen können. Allein die Geldverwaltung für Menschen, die kein eigenes Konto haben, kostet rund 8000 Euro im Jahr. Das sind Belastungen, die wir nicht refinanzieren können.

Laura: Haben Sie die Hoffnung, die Löcher zu stopfen und die Arbeit fortsetzen zu können?

Ackermann: Noch ja. Wir wollen die Betriebsführung kostengünstiger gestalten, außerdem verhandeln wir mit der Behörde. Noch bin ich zuversichtlich, dass die Arbeit in Billstedt weitergeführt werden kann.

Die Beratungsstellen Billstedt und Bergedorf werden von der Sozialbehörde (BSF) finanziert, allerdings, so Dieter Ackermann, reichen die Pauschalen nicht aus. Derzeit zahlt die BSF allein für Billstedt rund 317.000 Euro jährlich, die Beratungsstelle benötigt aber etwa 15.000 Euro mehr. Jährlich erhalten dort im Schnitt 317 Menschen Hilfe, zusätzlich besuchen etliche die offene Sprechstunde. Träger sind der Caritasverband und der Verein Integrationshilfen.

Hartz-Zeiten, harte Zeiten

Hinz & Kunzt-Verkäufer Torsten Pingel erhält Arbeitslosenhilfe. Doch ab 2005 wird Arbeitslosengeld II gezahlt – und das ist weniger Geld. „Soll ich nun halbiert leben?“, fragt Torsten.

„Bei meinem Kumpel Axel wird auch gekürzt. Werde ich hartziert? 20 Quadratmeter Wohnung statt 40? Meine Einrichtung – nur noch die Hälfte? Was denkt dieser Hartz sich! Ich säge meine Stühle durch! Ich hole die Hilti und hartze meinen Tisch, das heißt, ich hälfte ihn. Kommt das in den Nachrichten? Nein. Ich höre immer nur von Hartz, nie von mir.“