Ein Gespräch über Abzocker und „Sozialschmarotzer“
(aus Hinz&Kunzt 138/August 2004, Die Verkäuferausgabe)
Lenuweit: Hast du schon gehört? Jetzt sollen die Blinden Fernsehgebühren bezahlen! Das ist doch ein starkes Stück. Wahrscheinlich sind die sowieso nur blind, um sich von den Gebühren befreien zu lassen.
Martin Soltau: Recht hast du.
Lenuweit: Das sind doch alles Schmarotzer. Glaubst du, im Bus wär’ mal ein Rollstuhlfahrer aufgestanden, um mir Platz zu machen?
Martin Soltau: Aber jetzt mal im Ernst. Nicht viele haben die Möglichkeit zu wählen, ob sie Bankräuber oder Anlageberater werden wollen. – Ist es eigentlich das Gleiche, ob jemand die Sozialhilfe abzockt oder Millionen abstaubt?
Lenuweit: Abzocken ist Abzocken. Aber die Folgen, wenn jemand erwischt wird, sind unterschiedlich. Die Armen wandern in den Knast, die Reichen nach Hawaii. Mit einem Paar geklauter Schuhe für 40 Euro kommst du nicht nach Hawaii, mit 60 Millionen schon. Die reichen Abzocker richten mehr Schaden an. Man verliert das Vertrauen – in Politiker und Unternehmer und überhaupt in Menschen, die das Schmarotzen eigentlich nicht nötig haben.
Martin Soltau: Ehrliche Menschen sind in Politik und Wirtschaft noch seltener anzutreffen als schwangere Gänseblümchen. Möchtest du wissen, wie hoch das Einkommen von Ex-Bundespräsident Johannes Rau war, nach seinem Appell an die Bescheidenheit? Wobei der für mich noch zu den anständigen Politikern gehört.
Lenuweit: Manche Abzocker wie die Steuerflüchtlinge Schumi, Boris Becker und Jan Ullrich genießen sogar Hochachtung. Die dürfen sich alles erlauben. Obwohl sie nun wirklich Kohle hätten, um ihre Steuern zu bezahlen. Abzocker sind übrigens nicht nur die, die illegal Geld an sich nehmen, sondern auch die Manager, die trotz wahnsinnig hoher Gewinne ihre Arbeiter entlassen.
Martin Soltau: Weißt du, wie man ein Unternehmen mit korrekter Buchführung nennt? Pleite!
Lenuweit: Ich habe neulich von einer Firma gehört, die in Ostdeutschland von 150 Frauen Hemden nähen ließ. Der Stundenlohn lag bei 8,50 Euro. Dann zog die Firma nach Rumänien um und zahlte nur noch 2,50 Euro. Jetzt plant das Unternehmen einen erneuten Umzug: in die Ukraine. Sie brauchen den Frauen dann nicht mal mehr einen Euro zu bezahlen. Der Manager lachte im Fernsehen und sagte: Wir würden auch an den Südpol gehen, wenn wir den Pinguinen das Nähen beibringen könnten.
Martin Soltau: Schauen wir doch mal vom Südpol an die sonnige Küste der USA. Man mag ja über den so genannten Florida-Rolf denken, wie man will, aber er hat seine Sozialhilfe und die Miete für seine Wohnung am Strand völlig legal überwiesen bekommen.
Lenuweit: Wochenlang war das auf der Titelseite. Sogar das Gesetz ist geändert worden wegen der 1000 Menschen,die ihre Sozialhilfe ins Ausland bekommen.
Martin Soltau: Es bringt nichts, zum abertausendsten Mal festzustellen, wie ungerecht die Welt ist und dass der Teufel immer auf den größten Haufen scheißt. Zu Recht könnte uns Sozialneid unterstellt werden. Wir brauchen mehr Einfluss auf Personalentscheidungen. Polizei und Staatsanwaltschaft müssen verstärkt werden, um die Wirtschaftskriminalität zu bekämpfen. Die Täter sollten nicht amnestiert werden, sondern gemeinnützige Arbeit leisten. Und Arbeitslose machen die Kontrollbesuche.