Leselounge #9

Auf ein Getränk mit … Birgit Weyhe

Autorin Birgit Weyhe im Gespräch mit Nefeli Kavouras. Foto: Imke Lass

Die Comic-Künstlerin erzählt unserer Kolumnistin von ihrer Kindheit in Ostafrika und ihrer Liebe zu Rooibostee.

Hinz&Kunzt Randnotizen

Freitags informieren wir per Mail über die Nachrichten der Woche:

Ich treffe mich mit der Comic-Künstlerin Birgit Weyhe auf ein Getränk, von dem ich dachte, dass ich es nicht mag: Rooibostee. Mir ist schon der Klang des Getränks suspekt, und ich muss jedes Mal aufs Neue nachschauen, wie dieser rote Tee überhaupt geschrieben wird. Ich sitze also Birgit Weyhe gegenüber, in der „cantina fux & ganz“ unweit ihres Ateliers, und ich möchte natürlich wissen, warum wir Rooibostee trinken.

Die in München geborene Comic-Künstlerin erzählt mir von ihrer Kindheit in Ostafrika, wo sie aufgewachsen ist. Bis sie 19 Jahre alt war, kannte sie gar keine Schneekälte. Als sie schließlich zurück nach Deutschland zog, konnte sie sich nicht ans Frieren gewöhnen. Eines Tages blieb sie vor einem Teeladen stehen und entdeckte im Schaufenster einen Tee, dessen Verpackungsbild eine afrikanische Wüste zeigte. „Das war der Rooibostee. Ich kannte den vorher gar nicht, aber er wurde für mich direkt zum Trosttee. Ich trinke den, wenn ich Heimweh nach Ostafrika habe“, erzählt mir Birgit Weyhe. Ich nehme einen Schluck, der Tee ist nicht mehr zu heiß, und es blitzen Kindheitserinnerungsbilder bei mir auf: die Küchenschürze meiner Oma und mein aufgeschürftes Knie, nachdem ich den größeren Kindern hinterhergerannt war. Ich fange an, Rooibostee zu verstehen.

Lesetipp von Birgit Weyhe:

„Über Tyrannei: Zwanzig Lektionen für den Widerstand“ von Timothy Snyder: „Das Buch zeigt, wie wichtig Sprache ist, und wie wichtig es ist, Romane zu lesen. Weil wir durch Geschichten Empathie erlernen.“

An Birgit Weyhes Werken mag ich, wie sie es schafft, Einzelschicksale oder auch Milieus kommentierend zu erzählen, ohne sie zu bewerten. Sie bewegt sich nicht nur an der Schnittstelle zwischen Literatur und Bildkunst, sondern auch an der Grenze zum Journalismus. Ich frage sie, woher er kommt, dieser beobachtende Blick. „Durchs Zugucken. Ich war als Kind oft an Orten, an denen ich die Sprache nicht konnte. Und dann bist du gezwungenermaßen immer in einer Beobachtungsposition. Es machte mich neugierig, die Menschen um mich herum zu beobachten und selbst die Leerstellen zu füllen“, erzählt sie mir. Es wundert mich also nicht, dass Birgit Weyhe mit dem Zeichnen begonnen hat, schließlich ist es ein Medium, das ohne Sprachverständnis auskommt. Allerdings erzählt sie mir, dass sie – anders als viele andere Comiczeichner:innen – erst den Text schreibt und im Nachhinein (immer mit Tusche!) die Bilder zeichnet.

Ob sie denn eigentlich derzeit Rooibos als Trosttee bräuchte, frage ich sie noch. „Nein, trostbedürftig bin ich gerade nicht. Aber Heimweh habe ich dennoch nach den Kindheitsorten, die es so gar nicht mehr gibt.“

Nach dem Gespräch laufe ich an einem Teeladen vorbei. Auch ich denke über mein Heimwehgefühl nach Kindheitsorten nach und gehe hinein. Zum ersten Mal in meinem Leben kaufe ich Rooibostee.

Artikel aus der Ausgabe:

Tafeln vor dem Kollaps

Schwerpunkt Ehrenamt: Wie mehr als 1200 Freiwillige Hamburgs Obdachlosen helfen und wieso das problematisch ist. Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) spricht im Interview über die Überwindung der  Obdachlosigkeit. Außerdem: Wieso Antiquariate ums Überleben kämpfen und manchen Geflüchteten aus der Ukraine die Abschiebung droht.

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Nefeli Kavouras

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