So klingt Weltverbessern

Unser Vertriebsraum platzte fast aus allen Nähten. Mehr als 70 Kinder und Jugendliche strömten zur diesjährigen Audiyou-Preisverleihung. Ihre Hörspiele für den Schülerwettbewerb widmeten sich den Geflüchteten dieser Welt.

Audiyou2016_JOF
Schüler und Schülerinnen der 3. Klasse der Grundschule an der Haake schlüpften in die Rolle eines Flüchtlingskindes (von oben nach unten und von links nach rechts): Miija, Midina, Julian, Helin, Slava, Karina, Dascha, Niels und Tuncay.

Sicherheit ist ein Naturrecht, aber keine Selbstverständlichkeit für jeden. Wir haben das Glück, in Sicherheit geboren worden zu sein. Wir fürchten den Morgen nicht. Wir leben komfortabel, kennen keine Bombeneinschläge, hören keine Kinder und Frauen im Elend schreien.“ Diese Zeilen markieren den Anfang von Sena Sahins Hörspiel, mit dem die 18-Jährige, die in Glückstadt an der Elbe geboren wurde, beim Hörspiel-Schülerwettbewerb von Hinz&Kunzt und Audiyou in der Sonderkategorie „Einzelwertung“ gewonnen hat. Zahlreiche Schülergruppen von der Grundschule bis zur Oberstufe hatten in diesem Jahr Beiträge zum Thema „Weltverbessern“ eingereicht.

Sena Sahins Beitrag stach hervor. Sie, deren Großeltern aus der Türkei als sogenannte Gastarbeiter nach Hamburg gekommen sind, erzählt von Flucht und Vertreibung aus Syrien, von den Schwierigkeiten, in einem neuen Land Fuß zu fassen, und hinterfragt schonungslos die Haltung ihrer jungen Hörer: „Bedeutet Hoffnungslosigkeit für dich, dass dir deine Eltern kein iPhone 6 kaufen?“ Es fallen Bomben, man hört Schreie. Sena Sahin nennt Zahlen der Toten, der Menschen auf der Flucht und schlussfolgert: „Die Kinder Syriens zahlen einen hohen Preis für den Krieg ihrer Eltern.“

Doch Sena Sahin will nicht moralisieren, sondern zum Handeln animieren. Sie weiß, wie das geht. Seit Jahren unterstützt sie zusammen mit Freunden Flüchtlinge in ihrer Heimatstadt. 2013 seien die ersten Flüchtlinge in die Stadt gekommen, erinnert sie sich. Die neuen Mitschüler hätten schnell die Sprache gelernt und sich integriert. „Aber die älteren Geschwister, die durften offiziell nicht mehr die Schule besuchen“, erzählt sie. Statt zu hadern, bot sie kurzerhand Sprachkurse mit ihren Freunden an. Fortan unterrichtete die damals gerade mal 15-Jährige jede Woche in einer Freistunde die jungen Erwachsenen in Deutsch.

Aus dem, was die Jugendlichen damals aufbauten, seien inzwischen professionelle Kurse der Stadt erwachsen, erzählt sie. Als in Glückstadt die Zahl der Flüchtlinge im vergangenen Sommer wieder stieg, engagierte sich Sena Sahin erneut. Sie sammelte Möbel und Kleider, half, wo Hilfe benötigt wurde. Zusammen mit ihren Mitstreitern entwickelte sie zudem das erste Integrationskonzept für die Stadt und vernetzt seitdem die unterschiedlichsten Akteure, von den zuständigen Angestellten der Stadt bis zu den ehrenamtlichen Flüchtlingshelfern vor Ort. Das Ergebnis ihrer Arbeit? „Früher kannte man sich nicht“, sagt Sena Sahin und fügt stolz hinzu: „Jetzt ist die Stadt viel multikutureller und die Menschen achten mehr aufeinander.“ Fast so, wie sich Sena Sahin die Welt auch in ihrem Hörspiel ausmalt, das mit folgendem hoffnungsvollen Ausblick endet: „Wenn jeder dem anderen helfen würde, wäre allen geholfen.“

Solch eine Achtsamkeit wünschen sich auch die Schüler der 3. Klasse der Grundschule an der Haake aus Neuwiedenthal. „Alles ist anders“, lautete der Titel ihres Hörspiels, dass beim Hörspiel-Wettbewerb in der Gruppenwertung den ersten Platz belegte. Auch ihr Stück rückt das Thema Flucht in den Blickpunkt. Ein verzweifeltes Flüchtlingskind vernimmt nur ein Stimmengewirr seiner Klassenkameraden. Ein gelungener Trick der Grundschüler, die dafür ihre Stimmen in dem Hörspiel rückwärts abspielen lassen. Aber als die Klassenkameraden die Not des Mädchens realisieren, helfen sie, und ihre Stimmen werden wieder in der richtigen Reihenfolge abgespielt. Eine Geschichte, die so oder ähnlich sich regelmäßig an ihrer Schule abspiele, erzählt Lehrerin Lena Strohschein. Einige Kinder seien erst vor wenigen Monaten nach Deutschland gekommen und durchliefen derzeit eine Vorbereitungsklasse. Es sei beeindruckend, wie sich die Kinder gegenseitig unterstützten und wie schnell sie Deutsch lernten. So wird in dem Stück das Flüchtlingskind von der Türkin Helin gesprochen, die selbst gerade erst die Vorbereitungsklasse durchlief.

Was die Jury nicht wusste. Doch auch so beeindruckte das Hörspiel die Experten Sascha Draeger, die „Tarzan“-Stimme aus der TKKG-Reihe, Jörgpeter von Clarenau, Redakteur von NDR Mikado, Hinz&Kunzt-Verkäufer Reiner Rümke und die beiden Poetry-Slammerinnen Mona Harry und Bente Varlemann, die in diesem Jahr die Jury bildeten. Unter den vielen Einsendungen wählten sie in diesem Jahr gleich zwei Sieger aus. Denn auch die Klasse 3c der Louise-Schroeder-Schule hatte sich viel Mühe mit ihrem Hörspiel „Stell dir vor“ gegeben, das auf charmante Art die Abholzung des Regenwalds oder Luftverschmutzung durch Autos kritisiert. Dafür heimsten auch sie einen der tollen Preise ein, die die Unternehmen Sound Service, Jumbo, Oetinger, Carlsen, Hajolt und Budni gespendet hatten.

Natürlich gibt es immer Sieger, aber wir danken allen Schülerinnen und Schülern, die sich am Wettbewerb beteiligt haben. Und besonders danken wir auch den beiden Organisatorinnen Stephanie Landa und Sybille Arendt.

Text und Foto: Jonas Füllner

Alle Hörspiele finden Sie unter folgendem Link: huklink.de/audiyou2016