Musikerin Atena Eshtiaghi

Aus dem Iran nach Hamburg-Wilhelmsburg

Sie möchte Künstlerinnen aus ihrer Heimat zusammenbringen: Atena Eshtiaghi. Foto: Miguel Ferraz
Sie möchte Künstlerinnen aus ihrer Heimat zusammenbringen: Atena Eshtiaghi. Foto: Miguel Ferraz
Sie möchte Künstlerinnen aus ihrer Heimat zusammenbringen: Atena Eshtiaghi. Foto: Miguel Ferraz

Atena Eshtiaghi ist Cellistin und Komponistin, für ihre Filmmusik wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Nun organisiert sie ein dreitägiges Festival in Wilhelmsburg, das eine spannende Generation persischer Künstler:innen vorstellt – zu der auch sie selbst gehört.

Hinz&Kunzt Randnotizen

Freitags informieren wir per Mail über die Nachrichten der Woche:

Atena Eshtiaghi hat vorsichtshalber ein paar Notizen mitgebracht, über ihr Leben und ihre Musik; sie sei nämlich, das sagt sie vor dem Gespräch, keine allzu gesprächige Person. Ja, sie, die Musikerin, mag an Hamburg vor allem, dass die Leute hier auch einfach mal ruhig sind, dass in U-Bahnen keine Hintergrundmusik spielt, man in Supermärkten nicht ständig mit jemandem reden muss. Was aber ganz offensichtlich nicht ausschließt, dass Atena Eshtiaghi in klugen, mit hübschen Vergleichen geschmückten und doch sehr klaren Sätzen erzählen kann. Davon zum Beispiel, welche Kraft die Stille für eine Musikerin wie sie haben kann.

Gerade hat sie die Filmmusik für „My Stolen Planet“ komponiert, ein Dokumentarfilm der Regisseurin Farahnaz Sharifi, die in einem Videotagebuch den alltäglichen Widerstand iranischer Frauen festhält; im September kommt er in die deutschen Kinos. Atena Eshtiaghi wurde hierfür mit dem Musikpreis des Deutschen Dokumentarfilmfestivals ausgezeichnet, für die beste Filmmusik des Jahres, und auch, laut Jury-Wertung, dafür: Stille als Stilmittel zu benutzen. In dem Film gibt es zum Beispiel eine Tanzszene; eine, in der erwartet wird, dass hier Musik spielt, die Leute auch tatsächlich zum Tanzen anregt. Atena Eshtiaghi aber hatte sich dazu entschieden, nur ein bisschen Klavier spielen zu lassen, dann ein paar Sekunden der Stille, dann wieder Klavier, dann wieder Stille, und so geht es immer weiter. „Es ist wie ein Echo in den Bergen“, sagt Atena Eshtiaghi, „man hört das Klavier, und dann wieder nichts, bis das Klavier wiederkommt.“ Und so wiederhole es sich, „wie Energie und Hoffnung mal gefunden und dann wieder verloren gehen können, wie in einem Zyklus, der niemals endet.“

„Wir haben wieder Hoffnung, in unserem Kopf und in unseren Herzen.“

Atena Eshtiaghi

Für den Iran, ihre Heimat, fühlt Atena Eshitaghi gerade wieder etwas Hoffnung. Dort wurde sie 1989 geboren, und bis zum Jahr 2022, in dem die Women-Life-Freedom-Proteste im Iran begannen, habe es keine Vision für die Zukunft gegeben. Heute ist das anders, bei ihr und vielen anderen, sagt sie: „Wir haben alle wieder Hoffnung, in unserem Kopf und in unseren Herzen. Sie gibt uns die Energie, weiterzumachen, zumindest gilt das für mich“, sagt sie. Ihre Möglichkeiten um weiterzumachen, um Widerstand zu leisten, seien zwar begrenzt, hier im Ausland. Doch ihre Musik sei ihre persönliche Art, aktiv zu sein und etwas beizutragen.

Sie liebe es, Filmmusik zu komponieren, sagt Atena Eshtiaghi. Die Bilder inspirierten sie auf eine ganz besondere Weise. Sie sieht sich den Film einmal an, manchmal noch in der Rohfassung, manchmal hat sie erst mal nur ein Skript. Dann dauert es ein paar Tage, manchmal nur zwei, mal eine ganze Woche, bis ihr eine erste Melodie einfällt. Diese Melodien, sie kämen einfach zu ihr, sagt sie. Bis Atena Eshtiaghi dann die Musik für einen ganzen Film komponiert hat, dauert es natürlich meist einige Monate. Sie hat auch die Filmmusik für „I Am Trying to Remember“ von Pegah Ahangarani komponiert, eine 15-minütige Dokumentation über die Iranische Revolution, die ebenfalls mit einigen Preisen ausgezeichnet worden ist. Oder die zu „Endless Borders“, einen Spielfilm über einen Lehrer, der im Iran lebt und sich mit Geflüchteten der afghanischen Hazara anfreundet.

Musik ist ihre persönliche Art, aktiv zu sein.

Es ist heute, bemerkt Atena Eshtiaghi, ein außergewöhnlich heißer Tag für Hamburg, sonnige 28 Grad. Sie hat schon einen Krug mit Wasser aus dem Wilhelmsburger Bürgerhaus geholt und nimmt Platz an einem Tisch, der im Schatten unter einer großen Weide steht. Gleich daneben liegt ein Teich, gesprenkelt mit lauter grünen Seerosenblättern. Hier, im Wilhelmsburger Bürgerhaus, ist Atena Eshtiaghi momentan jeden Tag. Sie bereitet ein Festival vor, das „HASTAM – Just because I AM“ heißen soll. Hierfür werden zeitgenössische persische Künstler:innen aus ganz Europa nach Wilhelmsburg kommen: An drei Tagen präsentieren sie ihre Musik, werden ihre Filme aufgeführt, wird es Publikumsgespräche über die Widerstandsbewegung im Iran geben.

Das Festival soll eine neue Generation persischer Künstler:innen vorstellen, sagt Atena Eshtiaghi, denn sie glaubt, das über diese neue Generation in Deutschland noch wenig bekannt sei. Es gibt kein spezifisches Genre, das diese Generation ausmache, die aufgrund der Repressionen in ihrer Heimat vor allem im Ausland lebt. Es sei vielmehr ihr Mut und ihre Experimentierfreudigkeit, die sich durch die Kunst trägt. Atena Eshtiaghi selbst begann Klavier zu spielen, da war sie sieben Jahre alt, später hat sie klassische Musik am Musikkonservatorium in Teheran studiert. Heute spielt sie Cello, ihre Inspiration sammelt sie aber aus verschiedenen Richtungen: der klassischen persischen Musik, Electro und Jazz. Sie versuche, sagt sie, ohne Grenzen zu komponieren, das Internet erleichtere das natürlich – sie könne Ideen aus der Musikgeschichte der ganzen Welt sammeln und sich davon inspirieren lassen. Möglichst alle Genres und Einflüsse der Musik kennenzulernen, das brauche diese neue Generation.

Das Festival wird auch der Abschluss für ein Jahr sein, das Atena Eshtiaghi als Stipendiatin am Bürgerhaus Wilhelmsburg verbracht hat. Dieser Ort sei für sie ein ganz besonderer geworden, denn wenn sie etwas sehr vermisse – neben ihrer Familie natürlich –, dann sei es die Möglichkeit, eine musikalische Community ohne großen Aufwand zu verbinden; in Teheran, sagt sie, da fanden sich all die Musiker:innen, da waren sie immer gemeinsam. Doch langsam finde sie sich auch in Hamburg ein, habe Freund:innen kennengelernt, und die Pianistin Clara Haberkamp, mit der sie das Musikduo Azadi gegründet hat. Mit ihr müsse sie oft nicht mal sprechen, sagt Atena Eshtiaghi, ihr Austausch passiere oft allein über die Musik. Azadi bedeutet „Freiheit“ auf Persisch, immer wieder widmen sie ihre Musik der Widerstandsbewegung im Iran, den mutigen Frauen, genauso wie auch der Sorge um Freunde und Familie.

Vor zwei Jahren ist Atena Eshtiaghi nach Hamburg gekommen, mit einer Wolke an Ideen, die über ihrem Kopf schwebten, so beschreibt sie das. Im Iran hatten sich diese alle aufgestaut, weil manche verboten waren oder weil für ihre Umsetzung eine besondere Erlaubnis nötig gewesen wäre, die sie, gerade als Frau, nicht bekommen hätte. Also hat sie diese Ideen weiter mit sich herumgetragen, bis sie, in Hamburg dann, die Möglichkeit bekommen habe, diese Wolken langsam aufzulösen und all diese Ideen nach und nach umzusetzen: neue Musik komponieren, ein eigenes Musikduo gründen, Konzerte geben, Festivals organisieren, Stipendien beantragen (und erhalten), Musik für politische Filme komponieren und dafür ausgezeichnet werden.

Sie beobachte das immer wieder, sagt Atena Eshtiaghi: dass Frauen, die aus dem Iran ins Ausland gingen, sich plötzlich entfalten wie eine Blume. Wenn man nur genau hinsieht, könne man sie überall entdecken, diese blühenden Frauen. Und niemand könne sie stoppen – sie daran hindern, kreativ zu sein und zu wachsen.

Artikel aus der Ausgabe:
Autor:in
Anna-Elisa Jakob
Anna-Elisa Jakob
Ist 1997 geboren, hat Politikwissenschaften in München studiert und ist für den Master in Internationaler Kriminologie nach Hamburg gezogen. Schreibt für Hinz&Kunzt seit 2021.

Weitere Artikel zum Thema