Komponist Franz Wittenbrink packt mit seinen populären Liederabenden Themen an, bei denen jeder mitreden kann, denn zu „Männern“, „Sekretärinnen“ oder „Müttern“ haben schließlich alle eine Meinung. Sein neues Stück beschreibt die Macken und Verschrobenheiten von Eltern.
(aus Hinz&Kunzt 218/April 2011)
Franz Wittenbrink hat sich nicht gerade ein lauschiges Plätzchen ausgesucht, um an seiner Partitur zu arbeiten. Geschirr klappert, Stimmen schwirren, dann und wann wird per Lautsprecher etwas kaum Verständliches durchgegeben. Dazu riecht es erst nach Essen, später nach frisch aufgebrühtem Kaffee: In der Kantine des Schauspielhauses ist Mittagszeit, und die Tische sind mehr als gut besetzt. „So“, sagt Franz Wittenbrink, „langsam wird es.“ Und er legt seine Notenblätter erst mal zur Seite.
Noch gut zwei Wochen, dann ist Premiere; dann wird es einen neuen Franz-Wittenbrink-Liederabend geben: „Eltern“ wird er heißen und sich einem merkwürdigen Phänomen widmen: Ganz normale Menschen, im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte, freundlich und anderen zugewandt, verwandeln sich in merkwürdig verschrobene Wesen, kaum dass sie Eltern geworden sind. Eben waren sie noch locker und spontan, doch von nun an stolpern sie völlig unentspannt durchs Leben, sehen überall Gefahren für ihr Kind: ob ungesicherte Treppen, giftige Süßigkeiten oder unfähige Lehrer, die ihren Schützlingen die Zukunft versauen. Also darf nichts, aber auch gar nichts dem Zufall überlassen werden, während sie den nächsten Erziehungsratgeber aufschlagen, in dem so ziemlich das Gegenteil von dem stehen wird, was ihnen der vorherige Ratgeber ans Herz gelegt hat. „Und das Schöne ist“, sagt Wittenbrink, „im Publikum werden alles Experten sitzen. Im Publikum weiß es jeder besser.“ Und er lacht sein lautes Lachen: „Selbst die, die keine Kinder haben, haben ja Eltern. Den Eltern entkommt keiner!“ Beginnen wird der Abend wie im richtigen Leben: mit einem Geburtsvorbereitungskurs. „Und er endet im Altenheim, wo meine neun Helden sitzen und darauf warten, dass die Kinder sie besuchen – aber die kommen natürlich nicht.“
Eine Lösung aller Elternprobleme bietet er nicht an: „Ich gebe keinem recht. Ich würde mich eher freuen, wenn das Publikum angeregt debattierend das Theater verlässt: ‚Ja, wie soll man es denn nun richtig machen?‘ Und vielleicht auf Ideen kommt, wie man es besser nicht machen soll.“ Nur so als Beispiel: „Da gibt es doch diese Impfgegner, die sagen: ‚Ich lass doch mein Kind nicht von der Chemieindustrie behandeln!‘ Okay – das kann man ja mal denken. Das kann man auch mal aussprechen. Aber dann sollte man doch mal nachdenken, ob das so wirklich richtig ist.“
Wittenbrink selbst ist in einer kinderreichen Familie aufgewachsen. Er hat zwölf Geschwister. „Meine Eltern hatten gar nicht die Zeit mich zu erziehen“, erzählt er. Das hätte durchaus Vorteile gehabt: „Als Sechstgeborener bin ich von meinen älteren Geschwistern erzogen worden und das war sehr reell, denn es gibt nicht diese Abhängigkeit von den Eltern wie bei einem Einzelkind. Bei so vielen Kindern verteilt sich das.“ Trotzdem kracht es, als er ins Jugendlichenalter kommt: „Mein Vater war CDU-Stadtrat, also war er ein fürchterlicher Reaktionär. Dazu war er noch fürchterlich christlich, auch noch katholisch, mit dem brauchte ich gar nicht erst zu reden. Ich war da sehr gnadenlos.“ Wittenbrink rebelliert gegen den Vater, gegen die Familie. Er seufzt einmal auf: „Ich bin manchmal richtig dankbar, dass meine Kinder nicht so widerlich zu mir sind, wie ich zu meinen Eltern.“
Denn seine Rebellion hat es in sich: Er tritt dem Kommunistischen Bund Westdeutschland (KBW) bei, einer linken Splittergruppe, die damals ernsthaft daran glaubt, dass hierzulande paradiesische Zustände ausbrechen, wenn erst mal die Arbeiter die Demokratie stürzen und den Kapitalismus hinwegfegen, über Nacht natürlich. Nur muss man das erst mal den Arbeitern beibringen, notfalls auch gegen deren Willen. Wittenbrink ist nicht nur einfaches Mitglied, sondern wird Funktionär, gehört zur Leitungsebene dieser Politsekte.
Der Bruch mit den Eltern ist entsprechend total: „Ich war über Jahre abgetaucht; meine Eltern dachten, ich wäre bei der RAF und würde Bomben schmeißen.“ Doch diese Zeit geht vorbei und Wittenbrink, der noch eben rigide über andere bestimmt hat und der genau wusste, was richtig und besonders was falsch ist, findet zum bürgerlichen Theater, zur Oper, und entwickelt seine speziellen Liederabende: Ob Schlager, Operette oder ernsthafte Opernlieder – alles mixt er mit leichter Hand zusammen, mit viel Gefühl für Humor und Situationskomik. Gerne sitzt er selbst am Klavier und spielt durch den Abend.
„Zwei-, dreimal war ich kurz davor, meinen Elternabend über den Haufen zu werfen“, gesteht er: „Denn es gibt kaum Lieder über Eltern.“ Mama-Lieder, klar, die würde es geben. Aber eben kaum Lieder, in denen diese widersprüchlichen Gefühle gegenüber den Eltern zum Tragen kommen: Einerseits mag man sie, sind es nun mal die eigen-en Eltern; andererseits könnte man sie gegen die Wand klatschen! Und den eigenen Kindern geht es später mit Sicherheit ebenso. Wo es also an solchen Lie-dern mangelt, musste er das meiste eben selbst komponieren. Zur Unterstützung hat er die Schauspielerin Anne Weber vom St. Pauli Theater dazu geholt, die für ihn die Texte zu vielen Eltern-Liedern schrieb.
Am liebsten arbeitet er überhaupt mit Schauspielern und eben nicht mit Sängern, und das hat seinen guten Grund: „Ein ausgebildeter Opernsänger, der seit Jahren singt, kann so singen, dass die Fassade steht, egal ob es um die Liebe oder den Tod geht. Der ist da völlig abgesichert. Für einen Schauspieler dagegen ist Singen noch mehr als Hose ausziehen. Und wenn das geschieht, spürt das Publikum, dass etwas anderes passiert: etwas Nahes, Verletzliches.“ Erklärt das, warum so viele bekannte Film- und Fernsehschauspieler früher oder später eine Band gründen, eine CD einspielen – von Jan Josef Liefers über Jasmin Tabatabei und Jürgen Vogel bis hin zu Barbara Schöneberger? Wittenbrink nickt: „Es war schon immer so, dass ein Großteil der Schauspieler, wenn man sie privat fragt, sagt: ‚Ich wäre gerne Sänger geworden.‘“
So. Er muss jetzt mal hoch zu seinen Proben. Aber eines muss er noch erzählen: Also seine Töchter – drei hat er: 16, 19 und 22 Jahre alt – die hätten in letzter Zeit entdeckt, dass sie ja einen ganzen Schwung Onkel und Tanten hätten. Die hätten richtig Spaß an Familientreffen; wenn alle zusammenkämen, würden sie ihn bitten, doch ein bisschen mehr auf Familie zu machen. Und er lacht noch einmal laut auf, sagt dann: „Also so was wäre mir als Jugendlicher nicht eingefallen!“
Text: Frank Keil
Foto: Benne Ochs