Vorlesen war für Gustav Peter Wöhler früher ein Graus. Für Hinz&Kunzt trägt der mittlerweile begeisterte Vorleser und Schauspieler bei einer Benefizlesung aus dem neuen Literaturheft vor.
(aus Hinz&Kunzt 225/November 2011)
Wenn Gustav Peter Wöhler mal verschlafen sollte, wäre das kein Wunder: Auf seinem Nachttisch ist vor lauter Büchern kaum Platz für einen Wecker. „Ich bin ein Vielleser. Ohne Buch ins Bett zu gehen – undenkbar!“, räumt der Schauspieler und Musiker ein, und legt gleich los mit der Liste all der Bücher, die ihn gerade beschäftigen. Arno Geigers „Der alte König in seinem Exil“ über die Demenzerkrankung seines Vaters habe ihn sehr berührt. Hans Neuenfels’ Autobiografie „Bastardbuch“ gehört ebenso zum Lesestoff wie die Neuausgabe von Falladas „Jeder stirbt für sich allein“ oder „Macht euch keine Illusionen“, Auszüge aus dem verbotenen Blog des chinesischen Künstlers Ai Wei Wei. „Ich könnte noch sechs andere Bücher nennen!“, schwärmt der 55-Jährige.
Schon bei der Einschulung konnte der Sohn eines Gastwirtspaares aus Westfalen lesen, zur nicht geringen Irritation der Lehrer. „Mit der Bild-Zeitung hab ich das gelernt“, erzählt er lachend. „Da waren die Buchstaben schön groß. Die Bedeutung hab ich mir nach und nach zusammengebaut.“
So baute er sich nach und nach auch sein Bild von der Welt zusammen. Meinungsbildend waren dabei „Die Kinder von Bullerbü“, „Der Lederstrumpf“, „Tom Sawyer“ und ein bisschen Karl May: „Aber damit konnte ich nicht so richtig was anfangen.“ Bald schon folgte andere Belletristik; Lesen sei für ihn immer noch eine Reise in die Fantasie, eine Schulung des inneren Auges. Handke sei sein Lieblingsautor, auch wenn er sich mit den letzten Werken schwer getan habe.
Schwer tut er sich auch mit der ständig wachsenden Bücherwand zu Hause. Wohin mit den gelesenen Werken? „Manche verschenke ich, wenn ich beim Lesen spontan an einen Menschen denke, dem das Buch gefallen könnte“, sagt Wöhler. Aber lieber kauft er es dann doch nach.
Mit einer Mischung aus Bewunderung und schaurig-schönem Grusel erzählt er von einer Freundin, die Bücher im Zug liegenlasse. „Ich schaffe das nicht. Ein Buch wird beim Lesen doch ein intimer Partner, den kann man nicht so einfach aussetzen!“ Der Gedanke, dass in Hamburg in mehreren Buslinine Bücherregale stehen, aus denen man sich bedienen kann oder in die man Bücher dazustellen kann, gefällt ihm allerdings: „Da fahre ich jetzt unbedingt mal mit!“
Lesen gehört für Wöhler zum Leben wie Essen oder Atmen. Im Lesen kann er sich verlieren wie in der Musik, die er so liebt. „Dabei bekomme ich ein Gespür für mich selbst, es ist eine Kontemplation, ein Weiterspinnen der Fantasie.“ Schwer getan hat er sich mit dem Vorlesen. „Lesungen waren früher für mich der Horror“, erzählt er. Die Bemerkung eines großen Regisseurs steckte ihm lange in den Knochen und empört ihn noch heute: „Der sagte, ich könne nicht lesen!“ Bis vor wenigen Jahren habe er damit sehr gekämpft; erst über das Aufnehmen von Hörbüchern habe er nach und nach seine Befangenheit etwas verloren.
So recht kann Gustav Peter Wöhler es wohl immer noch nicht glauben, dass er als begnadeter Vorleser und Interpret von Texten mittlerweile sehr gefragt ist. „Leicht fällt es mir immer noch nicht, für andere zu lesen.“ Für Hinz&Kunzt mache er es jedoch gern: „Seit es die Zeitung gibt, bin ich auf ihrer Seite.“ Schon im Elternhaus habe er gelernt, dass man Menschen, die draußen sind, unterstützen soll. „Ich kann an einem Menschen in Not nicht vorbeigehen.“ Manchmal sei das nicht so einfach: „Wenn in der S-Bahn in Berlin zwischen sechs Stationen sieben Musikrichtungen präsentiert werden, dann ist das schon heftig. Aber ich gebe jedem Musiker was. Ich habe das Glück, von meiner Musik leben zu können und nicht auf der Straße spielen zu müssen. Aber vielleicht muss ich es ja auch mal.“
Text: Misha Leuschen
Foto: Wolfgang Schildt