Gentrifizierung : Wem gehört St. Georg?

St. Georg soll anders werden – irgendwie. Aber wie genau? Während Investoren das dicke Geschäft wittern, haben Alteingesessene Angst vor Schickimicki. Und die neu Zugezogenen wollen bei den teuren Mieten weder Prostitution noch Armut vor der Haustür. Es knirscht im Stadtteil, wie unser Rundgang zeigt.

(aus Hinz&Kunzt 233/Juli 2012)

Die Buchhandlung Wohlers (links) wird schließen müssen, wenn die Mieterhöhung nicht zurückgenommen wird. Dann gibt es in der Langen Reihe wohl bald noch mehr Außengastronomie. Hinter vielen Schleifen im Viertel verbirgt sich PROTEST gegen Bauvorhaben und Baumfällungen. Er richtet sich häufig gegen Immobilien-Investor Jendrusch, der direkt über diesem Loch in der Wand am Hansaplatz sein Büro hat.

Am Deutschen Schauspielhaus, gleich hinter dem Hamburger Hauptbahnhof, beginnt St. Georg. Noch vor wenigen Jahren galt es als „Problemviertel“ mit Straßenstrich, offener Drogenszene und hohem Migrantenanteil. Heute ist St. Georg hip. Der Preis dafür ist hoch: Die Mieten steigen, Kleingewerbe verschwindet, frühere Viertelbewohner müssen wegziehen. „Der Hauptbahnhof und das Bahnhofsviertel sollen Hamburgs Visitenkarte werden“, glaubt Michael Joho. Er ist der Vorsitzende des Einwohnervereins und will uns heute sein Viertel zeigen.

Der Hansaplatz ist  die erste Station des Quartiersrundgangs. Der ehemals schmuddelige Platz ist frisch saniert, auch an vielen Fassaden der Altbauten drum herum wird gearbeitet. Früher wurde hier offen mit Drogen gedealt, heute erinnert daran nichts mehr. Auf dem Platz gibt es keine Bänke oder andere Sitzgelegenheiten, damit sich hier keine Trinker und andere Unerwünschte hinsetzen können. Am Rand steht neuerdings ein grauer Klotz, der die Aufschrift Pissoir trägt. „Die neue Szene möchte dieses Pissoir nicht haben, weil es auch Obdachlose anzieht“, sagt Joho.

Die neue Szene, von der er immer wieder spricht, das sind die hinzugezogenen Bewohner der teuren Eigentumswohnungen. Und deren Interessen sind oft andere als die von Michael ­Joho, dem Einwohnerverein und vielen alteingesessenen ­Anwohnern. Mehr als die Hälfte der ehemaligen Mietwohnungen um den Hansaplatz seien mittlerweile in teure  Eigentumswohnungen umgewandelt worden, beklagt Joho, der ­beruflich als Mitarbeiter für die Linksfraktion in der Bürgerschaft tätig ist.

Grundsätzlich hat er zwar nichts gegen Hinzugezogene, aber: „Seit ein paar Jahren droht, dass die schicke und teure Szene den Rest verdrängt.“ Das wollen Joho und seine ­Mitstreiter verhindern. Ihr Ziel: Der Hansaplatz soll zu einem „Treffpunkt verschiedener Lebenswelten und Lebenskul­turen“ werden.

Doch die neue Szene engagiert sich auch: Den Kiosk Hansatreff direkt am Platz habe sie vertreiben wollen, erzählt Joho. Er glaubt, dass der Kiosk manchem ein Dorn im Auge ist, weil er auch Anlaufpunkt für Transvestiten und Sex­arbeiterinnen ohne Zuhälter ist. „Der Kiosk ist eine Art Schutzraum“, sagt Joho. Ein Schutzraum für Menschen, die gesellschaftlich kaum akzeptiert werden, der zum schicken Image des Platzes nicht mehr so recht passen will. Ein kleiner Triumph für die Stadtteilaktivisten um Michael Joho: Den Rechtsstreit um die Frage, ob er seine Außenbestuhlung auf dem Hansaplatz aufbauen darf, hat der Kioskbesitzer gerade gewonnen.

Wir lassen den Hansaplatz hinter uns und gehen durch die Baumeisterstraße zum Platz am Spadenteich. Am Beginn der Langen Reihe, dem Eingang ins Viertel, steht seit kurzer Zeit ein neues Gebäude: acht Stockwerke mit modernen Mietwohnungen, Blick auf das knallgrüne Blätterdach auf dem Vorplatz inklusive. Ein heruntergekommener, zweistöckiger Altbau musste dem Neubau weichen, die Kultkneipe Max & Consorten nach 31 Jahren umziehen. „Das war ein richtig trauriger Abschied“, erinnert sich Michael Joho.

Der ungeliebte große Neubau sei einem neuen städtebaulichen Konzept geschuldet, glaubt er. „Der Oberbaudirektor möchte immer am Eingang und am Ausgang von Stadtteilen Torwegsituationen schaffen“, erklärt er. Torwegsituationen werden durch repräsentative Hochhäuser an den Toren der Quartiere geschaffen, die Tanzenden Türme an der Reeperbahn seien dafür ein bekanntes Beispiel. „Wir wissen sehr genau, wo St. Georg anfängt und aufhört, wir brauchen keine Torwegsituation“, sagt Joho hörbar ­verstimmt. „Edle Hochhäuser brauchen wir in St. Georg schon gar nicht.“

An der Langen Reihe, der Einkaufs- und Flaniermeile, kann man gut erkennen, wie der Stadtteil sich schick macht. Kleine Familiengeschäfte machen Filialen von Ladenketten Platz; wer für den täglichen Bedarf einkaufen will, hat’s schwer. Gemütliche Nachbarschaftskneipen verschwinden, schicke Restaurants wachsen nach, die mit ihrer ausufernden Außengastronomie die Straße noch enger machen – und die Nächte lauter. Die Gewerbestruktur habe sich den hohen Touristenzahlen angepasst, sagt Joho. „Nachts schlafen in St. Georg mehr Hotelgäste als Einwohner.“ Und Touristen würden eben Kneipen dem Einzelhandel vorziehen. „Die ­Anwohner empfinden das als Verlust ihres Raumes.“

Als hier 2005 ein Haus angezündet wurde, glaubten viele Bewohner an einen Zusammenhang mit den damaligen ­Abrissplänen des Eigentümers. Bewiesen wurde das nie, aber trotzdem ging das Gerücht durch den Stadtteil: „Jetzt fackeln sie auch noch die Häuser ab!“ Den Immobilienfirmen traut man in St. Georg einiges zu, sogar eine „warme Sanierung“.

Mitten auf der Langen Reihe geht der Kampf um steigende Mieten gerade in eine neue Runde. Die Traditionsbuchhandlung Wohlers wird schließen müssen, wenn ihr Vermieter Frank Jendrusch nicht doch noch von seinen Mietforderungen Abstand nimmt. 4100 Euro statt 1400 Euro will er plötzlich von Buchhändler Robert Wohlers. Das stößt im Stadtteil auf Protest: In vielen Schaufenstern hängen Solidaritäts­plakate, an einer Demonstration nahmen viele Hundert Menschen teil. In St. Georg hält man gegen die „Miethaie“ zusammen, sogar ein benachbarter Buchladen hatte zu den Protesten mit aufgerufen.

Am Ende der Langen Reihe zeigt Michael Joho eine ­alte Turnhalle, heute ein schickes Szenelokal. Früher gehörte die Halle einmal der Stadt. Damals wurde sie noch von vielen Sportvereinen benutzt, bis sie höchstbietend verkauft werden sollte. „Wir haben natürlich im Stadtteil ­Protest dagegen erhoben“, erklärt Michael Joho. Verkauft wurde die Turnhalle trotzdem. Joho ist sich sicher: „Das hat die Entwicklung erst so richtig in Fahrt gebracht.“

Auf einem Hinterhof in der Parallelstraße zur Langen Reihe sind um einige der alten Bäume schwarze Tücher ­gebunden – die Reste einer Protestaktion des Einwohnervereins. Denn diese Bäume sollen verschwinden, ebenso wie die teilweise leer stehenden Bürogebäude auf dem Grundstück zwischen der Koppel und der Alster. Der Allianz-Konzern möchte hier moderne Gebäude mit Büros, Eigentumswohnungen und Tiefgarage errichten. Doch er hat die Rechnung ohne die engagierten Bürger des Einwohnervereins St. Georg gemacht, die jetzt gegen die Pläne Sturm laufen.

Sie pochen darauf, dass das Grundstück gemäß Bebauungsplan eigentlich Teil eines Wohngebiets ist. „Wenn hier etwas neu gebaut wird, dann müssen es Wohnungen sein“, sagt Michael Joho. Im Bezirksamt wird gerade eigens für die Allianz ein neuer Bebauungsplan erarbeitet, der im Herbst vorgestellt werden soll. „Das ist ein weiteres Beispiel dafür, dass der Bezirk ein Investorenprojekt nach dem anderen durchwinkt“, schimpft Joho.

Doch auch das Bezirksamt zeigt Zähne, möchte die ­Allianz mit städtebaulichen Verträgen zu sozialem Wohnungsbau bewegen. Für den Versicherungskonzern ist dieser allerdings nicht rentabel genug – die Verhandlungen laufen. Würde an der Koppel geförderter Wohnraum entstehen, wäre Michael Joho sogar mit Eigentumswohnungen an der Alster-Seite des Grundstücks einverstanden.

Die Kehrseite: Die Mieten in diesem Abschnitt der Koppel könnten drastisch ansteigen, befürchtet der Anwohnerverein. Das tun sie im Viertel sowieso schneller als im Rest von Hamburg: „Die Mieten in St. Georg steigen doppelt so stark wie die Mieten im Hamburger Mietenspiegel“, sagt der stellvertretende Leiter des Hamburger Mietvereins, Siegmund Chychla. „Sie kriegen hier nichts mehr unter 12 Euro pro Quadratmeter.“ Begonnen hat diese Entwicklung an der Alster. Immer mehr Hotels, repräsentative Bürogebäude und teure Eigentumswohnungen entstanden in den 1990er-Jahren am Alsterufer. Von dort aus habe die Gentrifizierung dann das ganze Viertel erfasst, bis sie auf dem Hansaplatz im Süden von St. Georg ankam. Auf dem Weg dorthin hat sie noch Straßenzüge wie die Koppel und die Lange Reihe verändert. „Die Aufwertungswelle schwappt von der Alster über die Koppel und die Lange Reihe bis zum Hansaplatz“, fasst Joho die Entwicklung zusammen, wie er sie ­erlebt hat. Und die Welle rollt immer noch.

 

Text: Benjamin Laufer
Fotos: Mauricio Bustamante

Der Einwohnerverein St. Georg besteht seit 1887 und hat sich zur Aufgabe gemacht, die Stadtteilkultur zu fördern. Derzeit organisiert er maßgeblich die Proteste gegen die Mieterhöhung der Buchhandlung Wohlers. Weitere Infos im Internet unter www.einwohnerverein-stgeorg.de