Denkmalschutz in Miniatur: Mit ihrem Kunstprojekt „BarKeepers“ bewahren Dani Freitag und Alexandra Grieß abrissgefährdete Kneipen für die Nachwelt.
(aus Hinz&Kunzt 227/Januar 2012)
Dani Freitag umrundet ihre Kneipe, knipst drinnen ein paar Lampen an und bittet sodann zur Peepshow: Von außen fällt der Blick auf den nun hell erleuchteten, abgenutzten Tresen samt Plattenteller, auf die mit Kritzeleien verzierten Wände, auch der Kickertisch hinten in der Ecke ist zu sehen. Keine Frage: Das hier ist die Egal Bar in der Marktstraße – nur in Miniatur. Und aus Pappe. Auf einem Sockel daneben thront die Astra Stube in all ihrer Schmuddelpracht – ebenfalls in Schuhkartongröße. Beide Modelle sind liebevoll nachgebaute Schmuckstücke, behutsam zusammengebastelt und anschließend fotografiert von Dani Freitag und Alexandra Grieß.
Die beiden Freundinnen kritisieren mit ihrem Kunstprojekt „BarKeepers“ die Stadtplanungspolitik der „Freien und Abrissstadt Hamburg“, wie Dani nur halb im Scherz sagt. „Gerade in St. Pauli verschwinden immer mehr urige Kneipen, weil Altbauten nicht saniert, sondern einfach abgerissen werden“, beklagen beide. „Mit den Modellen erhalten wir die Gebäude nun zumindest im Kleinformat.“
Denkmalschutz in Miniatur – und auch persönlicher Trost. Denn die Idee zum Projekt kam Dani im Sommer 2009, als sie das erste Mal von einer drohenden Schließung der Egal Bar hörte, ihrer Stammkneipe. „Ich dachte nur, oh Gott, wie kann ich mir das bewahren?“, erzählt die 38-Jährige. „Die Atmosphäre hier, die Räume, in denen so viele spannende Geschichten stecken – für mich unverzichtbar.“ Da sie schon als Kind von Modellbauten und kleinen „Guckkästen“ fasziniert war, fing sie an, die Egal Bar aus Pappe nachzubauen. „Dabei bin ich gar keine Künstlerin“, sagt Dani fröhlich. „Zeichnen kann ich zum Beispiel überhaupt nicht.“ Dafür hat die Pädagogin eine Engelsgeduld, liebt es, mit Pinzette und Zahnstocher rumzuwerkeln, ist „verzückt“ von fisseliger Detailarbeit. Acht Monate werkelte sie an der Egal Bar, „immer so nebenbei.“ Meist abends, wenn ihr kleiner Sohn schlief. „Nach seiner Geburt bin ich zwangsläufig weniger ausgegangen. Und nur Fernsehen?“ Dani lacht. „Da bin ich so schnell unteramüsiert.“
Als Alexandra das fertiggestellte Modell ihrer Freundin sah, war sie begeistert. Die 34-Jährige ist Künstlerin und Fotografin, wollte „mehr“ aus dem Schmuckstück machen. Dani hatte die einzelnen Winkel und Ecken ihres Modells fotografiert, Alexandra fotografierte nun dieselben Details in der Originalbar. Beides, Nachbau und Fotos stellten sie 2010 im Gängeviertel aus. „Es kamen total viele Leute“, freut sich Dani. „Mit dem Thema haben wir offenbar einen Nerv getroffen.“ Und so machten sie sich gleich an den nächsten Barbau. Dieses Mal die Astra Stube, vom Abriss bedroht wegen Sanierungsarbeiten an der Sternbrücke, „und außerdem wollte ich unbedingt ein Mini-Schlagzeug basteln“, sagt Dani.
Mit ihrer Idee bewarben sich die beiden für den Kunstpreis „Goldener Anker“ der Kurverwaltung St. Pauli – und gewannen ein Stipendium für ihr Projekt. „Das bedeutete aber auch, dass aus dem Spaß nun eine Vollzeitarbeit wurde“, erzählt Dani. In gerade einmal sechs Wochen entstand die Mini-Astra-Stube in ihrem charakteristischen Rot. Beide Bar-Modelle und die Fotografien stellten Dani und Alexandra im November vergangenen Jahres im Clubmuseum aus. Direkt neben der echten Egal Bar, die immer noch steht. Genau wie die Astra Stube – beide Kneipen bekamen jeweils kurz nach dem Bastelbeginn einen Abrissaufschub. Natürlich reiner Zufall, dennoch sprach Simone Buchholz, Autorin und Jurymitglied bei der Goldener-Anker-Preisverleihung, von einem „Baggerbann“, den das Projekt „BarKeepers“ anscheinend auslöse. Stichtag für den Abriss der Egal Bar ist nun der 5. Januar. „Aber wer weiß“, sagt Dani. „Vielleicht zieht es sich auch noch hin.“ Die Astra Stube bleibt noch mindestens bis Ende 2013 erhalten.
Für Dani und Alexandra kein Grund, Pappe und Pinzette beiseitezulegen. „Dafür sind zu viele Kneipen gerade in St. Pauli bedroht“, sagen sie. Und damit auch eine Begegnungskultur, die sie besonders schätzen: „In Räumen wie der Egal Bar wird nicht einfach nur konsumiert. Hier bekommst du nichts vorgesetzt, sondern gestaltest selber den Abend mit. Und das macht es so spannend.“
Um diese Art der Kneipenkultur zu bewahren, sind die nächsten Modelle schon in Planung. Nun geht es um vier kleine Kaschemmen am Hamburger Berg, die einem Neubau mit Studentenwohnungen weichen sollen. „Wieder ein typisches Stück Kiez, das bald verschwindet“, bedauert Dani. Denn selbst wenn in den Neubauten ebenfalls Bars eröffnen sollten, sei das nicht zu vergleichen. „Mittlerweile entstehen doch nur noch Einheitsklötze ohne Seele“, findet sie. „Lounges, die alle gleich aussehen und auch um Mitternacht noch Bagels und Latte Macchiato servieren.“ Es klinge vielleicht banal, fügt sie hinzu, „aber eine verschwundene Bar kann man nicht ersetzen. Was weg ist, ist weg.“
Text: Maren Albertsen
Fotos: Cornelius M. Braun, Alexandra Grieß