Bei „komm tauschen“ in Rahlstedt bezahlen Eltern für Kinderkleidung keinen Cent: Sie tauschen gegen Klamotten, die ihren eigenen Babys zu klein geworden sind. Das Angebot kommt gut an. Trotzdem muss der Tauschladen vermutlich am Ende des Jahres schließen.
(aus Hinz&Kunzt 234/August 2012)
Elisa hat wieder ganz schön zugelegt. Das soll sie auch, sie ist ja gerade mal sechs Monate alt. Aber immer, wenn Elisa ein Stückchen wächst und ein paar Hundert Gramm zunimmt, ist eine neue Garderobe fällig. Über den Klamottenverschleiß ihrer kleinen Tochter lacht Mama Franziska Stein und streichelt Elisa übers runde Bäuchlein. Denn Franziska Stein hat in ihrem Stadtteil Rahlstedt eine gute Quelle für immer größere, günstige Hemdchen, Höschen und Röckchen. Im Tauschladen der Hamburger Arbeit (HAB) ist die Auswahl an Kinderkleidung riesig – und sie kostet keinen Cent. Denn bei „komm tauschen“ geht es nicht ums Geld. Wer Kinderkleidung oder Spielzeug bringt, bekommt dafür eine Gutschrift. Es gilt: ein Teil, ein Punkt. Bei hochwertigen Artikeln auch mehr. Auf Papiergutscheinen werden die Tauschpunkte notiert, mit denen die Kunden dann weiter einkaufen.
Ohne draufzuzahlen kann Mama Franziska Stein so die Bodys, die ihre Elisa vor vier Wochen noch getragen hat, gegen solche tauschen, die auch jetzt passen. Das Konzept kommt gut an. Im Rahlstedter Tauschladen ist mächtig was los. Bis zu 30 Kunden kommen pro Tag. Mütter und Kinder stöbern im Sortiment. Die Kinderklamotten hängen nach Größen sortiert auf kleinen Kleiderbügeln. Zwischen den Ständern stehen ein Kinderwagen und ein Kinderreisebett. In einer großen Kiste drängeln sich Plüschelefanten, -bären und -enten.
Alexandra Kleine hat einen richtigen Schatz gefunden: ein Regencape für den Kinderfahrradsitz. „Das hat mir noch gefehlt. Im Laden könnte ich mir das nie leisten“, sagt die Mutter von Jonas. Überhaupt hat Alexandra Kleine fast alles, was der Anderthalbjährige braucht, aus dem Tauschladen. Auch das, was er heute trägt: vom marineblauen Windbreaker über die Jeans bis zu den Schuhen. „Seit er auf der Welt ist, hole ich für Jonas alles hier.“ Sie sagt es mit Wehmut. Denn lange wird es den Rahlstedter Tauschladen wohl nicht mehr geben.
Ab 2013 wird die Hamburger Arbeit keine Arbeitsgelegenheiten mehr betreuen. Zurzeit gibt es in den Projekten der HAB noch rund 700 Ein-Euro-Jobs, aber kein Vertrag läuft länger als bis zum 31. Dezember 2012. Denn die HAB richtet sich neu aus und konzentriert sich künftig auf zwei Kernbereiche: Zum einen bleibt sie in der Schuldnerberatung aktiv. Zum anderen bietet sie sogenannte flankierende Maßnahmen an: 40 Sozialbetreuer begleiten langzeitarbeitslose Menschen, um sie mittelfristig wieder in den regulären Arbeitsmarkt zu integrieren. Die Neuausrichtung ist nötig, weil die HAB sich laut eigenen Angaben in „erheblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten“ befindet.
Seit 1983 war die städtische Beschäftigungsgesellschaft ein Schwergewicht auf dem zweiten Arbeitsmarkt. Mit der Arbeitsmarktreform 2005 ist der Umsatz laut Sozialbehörde um drei Viertel zurückgegangen: 2004 betrug der Umsatz der HAB noch 47,3 Millionen Euro, 2011 nur noch 13,5 Millionen Euro. Rote Zahlen schreibt man seit drei Jahren. Zufall oder nicht: Kurz zuvor, im Jahr 2008, gab Detlef Scheele, jetzt Sozialsenator der Stadt, den Posten als HAB-Geschäftsführer auf. 2011 gab es ein Minus von rund 2,24 Millionen Euro. 6,87 Millionen Euro seien zur Sanierung der HAB vorraussichtlich nötig, so die Sozialbehörde, im schlimmsten Fall sogar bis zu 9,9 Millionen Euro.
Grund dafür ist letztlich, dass die Bundesagentur für Arbeit seit 2010 die Zahl der Ein-Euro-Jobs erheblich reduziert hat: Bis dahin gab es rund 300.000, heute (Stand Juni 2012) sind es nur noch 141.000. Die Bundesregierung hatte die Mittel für Arbeitsmarktpolitik drastisch gekürzt. Seit 2011 gibt es zudem schärfere Bedingungen dafür, welche Stellen als Arbeitsgelegenheiten überhaupt zulässig sind. Für die HAB heißt das: Die Projekte, die ja überhaupt erst mit Arbeitsgelegenheiten möglich geworden sind, können nicht weiter bestehen. Dazu gehört auch der „komm tauschen“-Laden in Rahlstedt und vier weitere in Neugraben, Schnelsen, Lohbrügge und Eidelstedt. Denn alle Jobs hier werden von Ein-Euro-Jobbern erledigt: Sie nehmen Kinderklamotten an und kümmern sich ums Tauschgeschäft. Sie waschen Kleidung und Spielzeuge. Bei Bedarf bessern sie die Stücke aus, nähen kleine Risse zu oder fehlende Knöpfe an. Sie bügeln und sortieren die Kleidung, arrangieren sie auf Bügeln und bestücken die Läden entsprechend der jeweiligen Jahreszeit damit.
„Das ist ein sinnvolles Projekt für Eltern mit kleinen Kindern. Alle Tauschläden sind an Standorten, an denen es dafür Bedarf gibt. Und das Angebot wird ja auch gut angenommen“, sagt Heike Baumann von der Hamburger Arbeit. Dass die Läden wohl schließen müssen, findet sie auch persönlich schade. Einen kleinen Hoffnungsschimmer gibt es wohl: „Es würde uns freuen, wenn unsere Idee in der Hand eines anderen Trägers weiterleben könnte.“ Doch das ist nur eine vage Hoffnung.
Alexandra Kleine verstaut Jonas’ neues Regencape im Kinderwagen. Franziska Stein hat zwei Bodys und ein rosa Mäntelchen erstanden – für null Euro. Wo sie so günstig für Elisa einkaufen soll, wenn es „komm tauschen“ in Rahlstedt nicht mehr gibt, weiß sie noch nicht. Klar ist nur: Am Ende geht es doch irgendwie immer ums Geld.
* Die Namen von Müttern und Kindern sind geändert.
Text: Beatrice Blank
Foto: Hannah Schuh