Qualität kommt von Quälen

Wie der Textildiscounter KiK mit seinen Mitarbeitern in Deutschland und den Näherinnen in Bangladesch umgeht.

(aus Hinz&Kunzt 207/Mai 2010)

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Schon für weniger als 30 Euro kann man sich komplett einkleiden, damit lockt KiK seine Kunden. Und Starlet Verona Pooth macht für die Billigkette Werbung. Dabei beutet der Discounter seine Mitarbeiter in Deutschland und Näherinnen in Bangladesch gnadenlos aus. Eine Reportage von NDR-Chefreporter Christoph Lütgert.

Fachwerkidylle südlich von Bremen. Im Stadt-Café wartet eine KiK-Mitarbeiterin in ihrer Mittagspause auf mich. Eine von 3500 bei KiK. Sie sind billig, steigern den Profit und müssen alles machen, auch Toiletten putzen. Seit August 2003 arbeitet die 31-Jährige bei KiK. Eingestellt wurde sie als Packerin: „Ich habe aber von Anfang an komplett die Kasse mitgemacht und alles, was so in der Filiale anfiel: Reinigungsarbeiten, Warenbestände machen, Inventur.“ Und natürlich Kunden bedienen. 4,50 Euro pro Stunde habe sie dafür bekommen, sagt sie. Dann 4,75 Euro. „Vor ungefähr zwei Jahren gab es eine Angleichung, da haben wir dann alle 5 Euro bekommen, weil KiK in die Medien gekommen ist wegen Lohndumpings.“ Seit dem 1. April bekommt sie wie alle anderen KiK-Aushilfen auch 6,50. Was ist, wenn man krank wird? „Kriegt man kein Geld“, sagt sie. Genauso wenig wie Weihnachts- oder Urlaubsgeld. (Anmerkung der Redaktion: Der Mitarbeiterin wurde inzwischen mündlich zugesagt, dass sie in Zukunft Urlaubsgeld bekommt: sechs Euro pro Tag.)

Zu alldem ist der Laden in einem katastrophalen Zustand, sagt die Frau. Ständig war die Heizung mitten im Winter kaputt. „Zum Schluss bin ich mit Handschuhen und Schal rumgelaufen, und irgendwann habe ich mir die Jacke angezogen, weil mir so kalt war. Meine Finger waren blaugefroren“, sagt sie.

Immerhin: Eines Tages traute sie sich, vor Gericht zu ziehen. Denn KiK hat ihr laut Gewerkschaft für ihre vielen Tätigkeiten 13.000 Euro zu wenig gezahlt. (Ein Urteil lag bei H&K-Redaktionsschluss noch nicht vor.)

Wir wollen uns selbst ein Bild machen und präparieren eine junge Reporter-Kollegin mit einer versteckten Kamera. Sie soll aufnehmen, was KiK uns auf alle offiziellen Anfragen nicht bestätigen will. Sie nennt sich Maren Müller und gibt in mehreren KiK-Filialen vor, als Aushilfe anfangen zu wollen. „Da verdienste fünf Euro in der Stunde“, sagt eine Verkäuferin. „Dann wirste irgendwann fest angestellt, und dann wird das auch ein bisschen mehr.“ Unsere Kollegin fragt: „Und wenn ich krank werde, bekomme ich dann auch was?“ Antwort: „Quatsch, wo lebst du denn?“

In der zweiten KiK-Filiale wird „Maren Müller“ klipp und klar erklärt, dass sie je nach Bedarf zwischen sechs Filialen springen muss. Und jeden Tag muss sie für die paar Euro von 9 bis 20 Uhr auf Abruf bereitstehen. Ihre Tätigkeiten: Warenannahme, Eingangskontrolle, Ware wegräumen, kassieren, abrechnen, Laden sauber machen, Toiletten reinigen, Schaufenster putzen. Und alles für jetzt immerhin 6,50 Euro die Stunde.

Wir fliegen nach Bangladesch, wo KiK einen Großteil seines Billigangebots nähen lässt. Die Kampagne für Saubere Kleidung, eine Initiative, die seit Langem gegen Machenschaften der Textildiscoun­ter agiert, hat uns mit Informationen und Kontaktadressen versorgt.

Bangladesch, eines der ärmsten Länder der Erde. 40 Prozent der Menschen leben unter der sogenannten Armutsgrenze, Sklaven der Moderne. 80 Prozent der Einnahmen aus dem Export Bangladeschs werden mit Textilien aus solchen Fabriken erzielt.

Jeden Morgen ergießt sich in der Hauptstadt Dhaka der Strom der Näherinnen in die vielen Tausend Textilfabriken. Sie verdienen umgerechnet 20 bis 35 Euro im Monat. (Anmerkung der Redaktion: Wie wenig das ist, lesen Sie im Infokasten auf Seite 31.)

Die Slums von Dhaka, wo die Näherinnen herkommen. Lange müssen wir hier suchen, um Menschen zu finden, die mit uns reden. Wer auspackt, riskiert seinen Job. Am Abend dann ein Geheimtreffen in einem kleinen Institut, das die Arbeitsbedingungen in Bangladesch erforscht. Buna, Alea und zwei Kolleginnen haben all ihren Mut zusammengenommen. Sie nähen KiK-Kleidung oder haben es bis vor Kurzem getan.

„Es ist schlimmer als im Gefängnis. Im Gefängnis darf man wenigstens mit dem Nachbarn sprechen“, erzählt eine Näherin. „Bei Krankheit wird oft der Lohn abgezogen. Vorarbeiter pöbeln uns an, als hätten wir keine Würde. Wir werden zu unbezahlten Überstunden gezwungen. Wer sich weigert, fliegt.“ Wochenlang musste eine der Näherinnen von morgens acht bis nachts um drei arbeiten. „Wie lange wir das aushalten, wir wissen es nicht.“ Verzichten kann trotzdem niemand auf den Job: „Es tut so weh. Aber unsere Familien brauchen das Geld.“

Fast die Hälfte der 13 Millionen Bewohner von Dhaka lebt in Slums, natürlich auch unsere Näherinnen. Jede Familie hat im Durchschnitt drei bis fünf Kinder. Die Lebenserwartung liegt im Schnitt bei 50 Jahren. Ein Plumpsklo für Hundert Menschen.

Auf zwölf Quadratmetern lebt eine ganze Familie. Dieses Zimmer kostet ihren gesamten Monatslohn, rechnet Buna vor. Ihr Mann bekommt auch umgerechnet 30 Euro pro Monat. Wie können davon fünf Menschen leben? „Jeden Tag nur Reis und vielleicht alle zwei Monate ein Hühnchen.“

Auf demselben Flur, zwei Zimmer weiter, wohnt eine andere Näherin, die wir auch schon getroffen haben, die 20-jährige Alea. Ihr neunjähriger Bruder Rana ist bis auf die Knochen abgemagert. Dass dieser Junge todkrank ist, sieht ein Laie. Ich kann diesen Anblick kaum ertragen. Alea, die jede Woche 54 Stunden arbeitet, erzählt, sie könne keinen Arzt für ihren Bruder bezahlen. Sie weiß also auch gar nicht, welche Krankheit er hat. „Ich kann nichts machen“, wiederholt Alea immer wieder. „Ich habe kein Geld, die Familie hat kein Geld. Keiner kann helfen.“

Der Anblick des kranken Jungen, seine Schwester, die für den reichen Westen billige Jeans oder T-Shirts näht, aber in Bangladesch keinen Arzt bezahlen kann, das alles lässt mich nicht mehr los.

Kontrastprogramm: Oberhausen, roter Teppich, Musical-Premiere. Ein schriller Aufmarsch der Eitelkeiten, auch KiK-Werbe-Ikone Verona Pooth ist da, der wandelnde KiK-Kleiderständer, überdreht und gut gelaunt wie immer – und komplett in KiK-Klamotten eingekleidet, die vielleicht Buna oder Alea genäht haben. Verona Pooth hat übrigens für KiK eine eigene Kollektion entworfen. Ich spreche sie auf ihre Garderobe an, und sie antwortet sprudelnd: „Ich habe die Hose von KiK aus meiner aktuellen Kollektion, die Kette ist von KiK, die Armreifen, die Bluse – nur die Tasche sieht nach Chanel aus.“

„Wissen Sie, unter welchen Bedingungen KiK in Asien die Kleidung fertigen lässt?“, frage ich sie. „Also ich weiß, dass KiK rund um den Globus Kleidung fertigen lässt, aber Sie können sich ja vorstellen, dass ich nicht in den Vorstand gehöre und somit natürlich nicht über die einzelnen Details Bescheid weiß.“

Ich hake nach: „Wissen Sie, dass eine Näherin in Bangladesch …“, doch da wird sie von einer Begleiterin weggeführt. „Kommen Sie doch mit, dann gucken wir uns so ’n bisschen die Hauptdarsteller an“, ruft Verona und läuft schon mal voraus. „Kann ich Ihnen diese eine Frage noch stellen?“ Da wird sie deutlich: „Nein, können Sie nicht!“

Im malerischen Heppenheim an der Bergstraße bin ich mit Ria Ehret verabredet, die in ihrem Heimatstädtchen jahrelang die KiK-Filiale geleitet hatte. Meistens arbeitete sie von 9 bis 20.30 Uhr. Bei Inventuren kam sie sogar oft um 3 Uhr nachts nach Hause.

Die Überstunden durfte sie nicht abbummeln, geschweige denn, dass sie bezahlt wurden. Manchmal musste sie den Laden ganz alleine schmeißen. Dann musste sie ihren Mann anrufen, damit er kam und ihr einen Gang auf die Toilette ermöglichte.

Mit ihren Kollegen überlegte sie 2005, einen Betriebsrat zu bilden. Da arbeitete sie bereits fünf Jahre bei KiK. Ein paar Wochen später kreuzte eine Abordnung der Unternehmensleitung mit einem neuen Team auf, bestellte Frau Ehret und die Kolleginnen zum Gespräch und kündigte den Frauen. Grund: die schlechten Inventurergebnisse.

Ria Ehret und ihre Kolleginnen fielen aus allen Wolken. „Es hat sehr viele Tränen gegeben“, sagt sie. „Wir waren geschockt, weil wir nie gedacht hätten, dass so was sein kann, dass man ein ganzes Team an einem Tage innerhalb von zwei Stunden rausschmeißt!“

Allerdings wurde die Filiale nicht geschlossen. „Das neue Team hat gleich weitergearbeitet“, sagt Ria Ehret. Sie mutmaßt, dass der eigentliche Kündigungsgrund die geplante Bildung eines Betriebsrates war. Das weist KiK jedoch zurück. Ria Ehret überlegte, vor Gericht zu gehen, entschied sich dann aber, eine Abfindung anzunehmen. Denn ihre Mutmaßung kann sie nicht beweisen.

KiK ist nicht der einzige westliche Großabnehmer, der mit rücksichtsloser Preisdrückerei den Menschen die Chance auf ein besseres Leben nimmt. Aber KiK gehört eindeutig dazu, fand der Arbeitsforscher Khorshed Alam vom unabhängigen Institut „Alternative Movement for Resources and Freedom Society“ heraus, der 150 Textilfabriken in Bangladesch untersucht hat.

Die KiK-Führung sei vor etwa zwei Jahren bei ihm gewesen, habe sich seine Kritik angehört und Besserung gelobt.„Wir fanden jetzt in etwa dieselben schlimmen Zustände vor wie vor eineinhalb Jahren“, sagt Alam. „Seine Verantwortung nimmt KiK nicht wahr.“

Am letzten Tag vor meinem Rückflug gehe ich noch einmal in den Slum. Ich will sehen, wie es Alea und ihrem Bruder Rana geht. Ich erlebe die erschüt­terndsten Momente dieser Reise. Rana sieht noch abgemagerter und schwächer aus, wenn das überhaupt noch möglich ist. Alea ist verzweifelt. Und ich sage zu mir: Du musst Hilfe holen. Und: Du musst das fotografieren und es dem KiK-Chef Stefan Heinig in Deutschland zeigen. Denn alles hängt irgendwie mit allem zusammen.

48 Stunden später. Ich bin wieder in Deutschland und weiß, dass ich Stefan Heinig in einem Düsseldorfer Hotel treffen kann. „Tag Herr Heinig. Lütgert, Deutsches Fernsehen. Ich bin gestern aus Bangladesch zurückgekommen. Würden Sie sich bitte dieses Bild mal ansehen?! Da stirbt ein Junge, seine Schwester ist KiK-Näherin und sie verdient so wenig, dass sie sich keinen Arzt für ihn leisten kann. Was sagen Sie dazu? Wollen Sie dazu nichts sagen?“

„Ich denke mir, ich weiß, was Sie wollen“, sagt Heinig und vertröstet auf „später“. Heinig lächelt – und geht.
Eine Antwort auf meine Fragen bleibt er mir bis heute schuldig.

Aber wir haben auf unserer Reise genug gesehen. Wir können jetzt in etwa erahnen, warum KiK so billig sein kann und wer in Wahrheit dafür bezahlen muss. Eins haben wir aber geschafft: Aleas kleiner Bruder Rana ist jetzt im Krankenhaus. Unicef hat sich seiner angenommen und bezahlt für ihn. Rana wird überleben.

So ging´s weiter: Die KiK-Story, Teil zwei – noch schlimmer als der erste!

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