Peter Franke ist ein Schauspieler reinsten Wassers: markant, wandlungsfähig, gerade heraus. Im Rahmen des Harbour Front Literaturfestivals liest er zusammen mit Nina Petri Texte von Hans Fallada – zugunsten von Hinz&Kunzt.
(aus Hinz&Kunzt 223/September 2011)
Ist es nun dieser Tisch oder der hier? Peter Franke schaut sich die Tische im Gastraum des Bistro Roth im Herzen von Ottensen genau an: Einen dieser Tische hat sein Schwiegervater gezimmert! Franke klopft auf Holz, streift mit dem Zeigefinger an der Tischkante entlang: Er kommt schließlich aus einer Hand-werkerfamilie.
„Keine Ahnung, warum ich unbedingt Schauspieler werden wollte“, sagt er, nachdem er einen Tisch gewählt hat. „Ich wollte schon ans Theater, da war ich noch nie im Theater gewesen.“ Obwohl – eine mögliche Erklärung gäbe es: „Es gibt ja viele ehemalige katholische Messdiener, denen es gefällt, vorne vor Publikum zu stehen.“
Und Peter Franke erzählt erst mal von vorn an aus seinem Leben: Geboren wird er 1941 im damaligen Breslau. Ende 1944 macht er sich mit seiner Mutter auf den Weg gen Westen, sie landen bei Verwandten im Rheinland. „Mein Vater war da schon tot, meine Mutter war eine lebenslustige Person, die war ja gerade mal zwanzig Jahre älter als ich“, umschreibt er die familiäre Situation. Seine Mutter hat durchaus Pläne: Sie möchte, dass er Priester wird, also Theologie studiert. „Die hat immer gesagt: Mein Junge macht es nicht unter einem Kardinal.“ Franke wird aufs entsprechende Internat geschickt – und fliegt dort mit 16 Jahren wieder raus: „Ich mochte die Mädels dann doch lieber.“ Er verfolgt von nun an sein Ziel, Schauspieler zu werden. Gründet eine kleine Bühne, die sofort verboten wird: „Na ja, wir waren frech“, sagt er.
Er kommt bei einem Onkel in Düsseldorf unter, wächst mit seinen Vettern auf. Probiert nach der Schule allerhand aus, hat kurz einen Job in der Werbung: „Aber nicht als Kreativer, ich war vielmehr ein guter Organisator. Die wollten mich gar nicht gehen lassen.“ Aber er will ans Theater, zunächst noch lieber an die Oper: „Sänger, das galt auch vom Beruf her als sicherer.“ Er beginnt ein Gesangsstudium, doch richtig warm wird er mit der hiesigen Oper nicht: „Diese enge, deutsche Gesangsführung hat mir nicht gefallen. Ich wollte brüllen wie die Italiener!“ Und er breitet seine Arme weit aus, brüllt nun nicht, aber intoniert einige kräftige Lautfolgen.
Er nimmt Unterricht an einer privaten Schauspielschule; am Wochenende wird Theater gespielt. Um seine Gesangsstunden zu finanzieren, verdingt er sich als Komparse. In Friedrich Schillers „Wallenstein“ wird er entdeckt: „Ich war bei den Krüppeln, lag da auf dem Boden und heulte vor mich hin. Bei einer Probe fragte mich der Regisseur, ob ich auch singen könne.“ Franke erhält seine erste Rolle – und danach sein erstes Engagement, im wilden Jahr 1969.
Nun purzeln die Namen von Regisseuren und Schauspielerkollegen, mit denen er in den vergangenen Jahrzehnten gearbeitet, mit denen er sich zerstritten und dann wieder zusammengetan hat: Über Köln geht es nach Stuttgart, Frankfurt, Berlin, bis nach Hamburg. Er scheut dabei kein Urteil: Regielegende Claus Peymann etwa nennt er unumwunden einen Oberflächler. Wenn er von dem stotternden Theatermacher Einar Schleef erzählt, fängt er an zu sto-sto-stottern. Als ihm als Partner der Schauspieler Bernhard Minetti zugeteilt wird, von 1930 bis 1945 am Staatstheater in Berlin engagiert, weigert er sich mit diesem aufzutreten, „diesem alten Nazi!“
Über Ulrich Wildgruber, am Hamburger Schauspielhaus in den 80er-Jahren ein Star, erzählt er folgende Anekdote: „Wir Schauspieler hatten irgendeine Versammlung, da kommt der Wildgruber zu mir geschlichen und sagt: ‚Ich weiß doch, du hältst mich für einen schlechten Schauspieler.‘“ Und Franke beugt sich vor, sagt mit leiser, aber eindringlicher Stimme: „‚Es ist noch viel schlimmer – du bist gar keiner!‘“
Nebenher macht er Filme, wird mit einer Rolle in „Das Wunder von Bern“ auch dem breiten Publikum bekannt. Obwohl: „Ich hab mir ein Toupet aufgesetzt und dann war ich der Sepp Herberger – das war keine große Sache.“ Schließlich gibt er auch dem Drängen des Fernsehens nach: „Ich hatte damals das Theater so satt und hab mir gesagt: Na gut, dann geh eben ich auf den Strich und mache Fernsehen.“ Anfang der 90er ist er in Unterhaltungsserien wie „Unsere Hagenbecks“ oder „Park Hotel Stern“ zu sehen. Die Dreharbeiten machen ihm dennoch viel Spaß, auch wenn er unter den oft eindimensionalen Rollen leidet: „Ich bin fünf Jahre lang nur als Penner besetzt worden.“ Später spielt er den knarzigen, aber herzensguten Opa, der in auseinanderbrechenden Familien für Halt sorgt. In letzter Zeit ist ein neues Betätigungsfeld hinzugekommen: „Die brauchen ja neuerdings in jedem Fernsehfilm einen dementen Vater, und so bin ich jetzt abonniert auf den Dementen.“ Und Franke springt auf, geht schleppend ein paar Schritte zwischen den Tischen hindurch, setzt jenen verlorenen und in sich gekehrten Blick auf, den das Fernsehen haben will, wenn fix ein dementer Mensch gebraucht wird.
Nun liest er für Hinz&Kunzt im Rahmen des Harbour Front Festivals zusammen mit Nina Petri Texte von Hans Fallada. Er schätzt diesen Autor, war im Frühjahr 2009 in einem Falladastück auf der Bühne zu sehen, in „Kleiner Mann, was nun?“, im Altonaer Theater, ganz in der Nähe. Eine etwas comichafte, aber recht muntere Inszenierung. „Ja? Fanden Sie?“, knurrt er: „Ich fand’s grauenhaft!“ Er schüttelt den Kopf: „Für mich war das Kunstgewerbe. Reines Studententheater.“ Er hätte selbst Schuld gehabt: „Ich hab mich vorher nicht richtig drum gekümmert; ich hab den Regisseur erst bei den Proben kennengelernt und da war es zu spät.“ Nun – so was kann passieren. „Beim Theater bin ich streng“, sagt er. „Das hab ich gelernt, da kenne ich mich aus.“
In diesem Jahr ist er 70 geworden. Pläne hat er einige, mal schauen, was kommt. Sein Segelboot, mit dem er früher sommers über Wochen unterwegs war, hat er verkauft. Räumlich hat er sich gerade mit Macht verkleinert, auch weil die Tochter aus dem Haus ist: von 170 Quadratmeter runter auf 37. „Was soll ich mit 3000 Büchern, wenn ich höchstens in 20 noch mal reinschaue? Und außerdem: Für einen einzelnen so viel Platz, das ist doch asozial.“
Was aber bleibt, ist seine Zuneigung für das Bistro Roth. Sein Wohnzimmer nennt er die Kneipe. Zuletzt hat er hier eine Lesungsreihe installiert: MoMo1. „Damit die hier nicht nur saufen!“ Heißt: An jedem ersten Montag im Monat wird vorgelesen. Und die Liste der Vorleser ist beeindruckend: von Hannelore Hoger über Peter Lohmeyer geht es zu Gustav Peter Wöhler. „Nur der Christian Redl hat noch nicht gelesen, der traut sich nicht“, sagt Franke, steht nun auf, geht die Stufen runter zum Tresen. Es dauert ein bisschen, bis Franke alle Gäste begrüßt hat, die sich in der letzten Stunde hier versammelt haben, dabei muss er längst wieder los.
Draußen schließt Franke sein etwas klappriges Klappfahrrad auf. Da fällt ihm noch was ein! Er hat endlich mal wieder ein Hörspiel eingesprochen! Die letzten vier Tage, für den Westdeutschen Rundfunk, in Köln. Und um was ging es? Um einen Dementen! „Der Text war von einer ganz jungen Autorin, hat die sehr gut gemacht: Es war mehr Poesie und es ging gar nicht so sehr um das Krankheitsbild.“ Ja, das sei eine schöne Arbeit gewesen. Und mit dem kleinen Moritz Bleibtreu, mit dem würde er wirklich gerne drehen, wie auch mit dem Herbert Knaup – zweimal wäre er vor der Kamera schon dessen Vater gewesen. Jetzt aber! Er muss los! Bohnen schnippeln für das Abendessen, das seine Freundin heute kocht. Sein Pianist wird hinzukommen, sein neuer Pianist. Sie wollen zusammen was aushecken. Vielleicht etwas Melodramatisches.
Text: Frank Keil
Fotos: Daniel Cramer
Lesen Sie auch: Chronist der Krise – Schriftsteller Hans Fallada (1893-1947)