Warum sich der Schriftsteller, Kolumnist und DJ Wladimir Kaminer für ein bedingungsloses Grundeinkommen stark macht.
(aus Hinz&Kunzt 212/Oktober 2010)
Er kennt zwar nicht alles, aber doch einiges: Die Umschulungsmaßnahme zur Bürofachkraft beispielsweise, in der Wladimir Kaminer – ausgebildeter Toningenieur, studierter Theaterwissenschaftler, Langzeitarbeitsloser – Mitte der neunziger Jahre saß. Oder die Vorladung zum Arbeitsamt, um sich anzuhören, welche Chancen er als Maler- und Lackierermeister hätte. „Und einmal saß ich mit lauter anderen Arbeitslosen aus dem Kulturbetrieb bei einem Vortrag, wo die Umschulung zum Metzger angeboten wurde.“ Während sich der inzwischen erfolgreiche Schriftsteller erinnert, an die Schautafel mit der Kuh und die entsetzten Gesichter der jungen Schauspielschul-Absolventinnen, werden die großen runden braunen Augen des 43-Jährigen noch ein wenig größer. Wie ein staunendes Kind guckt er jetzt oder wie ein Besucher von einem anderen Stern, der sich über die seltsamen Sitten und Gebräuche auf diesem Planeten wundert. „Schon erstaunlich, was für ein riesiger und teurer Apparat damit beschäftigt ist, die Menschen zu Handlungen zu zwingen, die nicht wirklich sinnvoll sind.“ Als er weiter über die Metzger-Vorstellung redet, huscht ein verschmitztes Lächeln über sein Gesicht: „Ich fand das Erlebnis eigentlich ganz interessant und habe dann auch darüber geschrieben. Aber niemand wollte die Geschichte haben.“
Glücklicherweise ist es ihm dann irgendwie gelungen, das Arbeitsamt zu überzeugen, dass er sich weder zum Metzger noch zum Maler eignet, „weil ich mir nicht vorstellen kann, eine Arbeit zu machen, für die ich keine Leidenschaft habe“. Er folgte der Leidenschaft und wurde Geschichtenerzähler, wie er es selber nennt. Die meisten seiner Geschichten werden inzwischen nicht nur in Büchern und Zeitschriften gedruckt, man kann sie im Radio hören, manchmal auch im Fernsehen sehen oder aus den Liedern heraushören, die er mit seinen Freunden bei der „Russendisko“ auflegt. Sie handeln vom Alltag in Berlin und dem Kaukasus, von den Gepflogenheiten in der deutschen Schrebergartenkolonie oder dem sowjetischen Militärknast.
Man kann seine Geschichten „schräg“ finden oder „banal“, „hintersinnig“ oder „charmant“ – allesamt sind sie aber Liebeserklärungen an die Menschheit und ihre vielfältigen, meist zum Scheitern verurteilten Versuche, das Leben irgendwie zu meistern. Oder, wie Wladimir Kaminer es formuliert: „Alle haben ein anderes Bild von sich selbst und wollen etwas anderes sein als sie sind. Und alle stehen in diesem unmöglichen Spagat zwischen dem gewünschten Ich und dem real existierenden, beziehungsweise dem, was alle anderen sehen. Das macht Menschen unglücklich und auch lächerlich, und ich möchte der Letzte sein, der darüber lacht.“
Bei solchen Sätzen hat er nichts mehr vom treuherzigen Russendisko-Spaßvogel, den die Medien so gerne haben. Eher erinnert er an einen weisen Dorfältesten irgendwo in Afrika oder wo es sonst noch Gemeinschaften geben mag, in denen weisen Männern zugehört wird. Und dann setzt er noch einen drauf und sagt allen Ernstes: „Ich habe gelernt, dass Geduld, Liebe und Mitleid die wichtigsten Eigenschaften sind, und nicht die im Westen so willkommene kritische Haltung !“ Klingt gut. Aber wie hält er das durch, im eigenen Großstadtalltag, wenn die Nachbarn einen nachts um drei mit lauter Musik terrorisieren und Offroad-Autos einem in der Wohnstraße die Vorfahrt nehmen? Wo die Kinder quengeln, weil sie fernsehen wollen und die Telekom ständig absurd hohe Telefonrechnungen schickt – um nur ein paar Beispiele zu nennen. Jetzt macht das Dorfältesten-Gesicht dann doch wieder kurz dem schelmischen Grinsen Platz, und Wladimir Kaminer gibt zu, dass auch er nicht immer gleichermaßen geduldig, liebevoll und mitleidig reagiert. Wollte man mehr dazu wissen, müsste man wahrscheinlich seine Frau Olga oder die Kinder Nicole und Sebastian fragen.
Wenn man weiß, dass er während seiner Militärzeit in der Sowjetunion wegen Aufsässigkeit unter Arrest stand, wenn man sich vorstellt, wie hart die erste Zeit als Flüchtling in Deutschland gewesen sein muss, dann ahnt man, dass in diesem eher zart gebauten Mann mit dem sanften Blick eine große Stärke wohnt. Doch über sich selbst als Person spricht Wladimir Kaminer ungern. Er habe doch schon längst alles von sich gegeben und sehe sich inzwischen eher als Transportmittel für die Geschichten anderer. „Wie ein Koffer werde ich beladen und bringe diese Geschichten dann weiter.“
Dadurch, so hofft er, könnten die Menschen wieder lernen, ihre Erlebnisse und Erfahrungen zu teilen und sich so an ihre Gemeinsamkeiten erinnern, statt immer nur ihre Individualität zu betonen. Auf diese Weise schreibt der Geschichtenerzähler an gegen „eine Lebenshaltung, die so tut, als wäre unsere Welt ein Selbstbedienungsladen, eine Kaisers-Filiale, in der jeder nur das bekommt, was ihm schmeckt“. Diese besorgniserregende Haltung findet er nicht so sehr bei den Menschen, für die der Staat sorgt, sondern bei den anderen. Die sorgten durchaus für sich selbst, seien aber vollkommen reduziert auf ihr Gebiet, „so professionalisiert, dass sie in einer sehr verkleinerten Welt leben, die die Grenzen eines Sessels hat“.
Ein solch bequemer kleiner Sessel kann auch der Literatur- und Kulturbetrieb schnell werden. Für Wladimir Kaminer bildet der sowieso „eine Parallelgesellschaft“: Irgendwann habe man ihm mal einen Preis für ausländische Schriftsteller verleihen wollen, „aber dann haben sie bemerkt, dass ich kein ausländischer Schriftsteller bin, und seitdem haben sie das Beste daraus gemacht und tun so, als hätte es mich nie gegeben“. Also lebe er nicht von „irgendwelchen zwielichtigen Preisen“, sondern einzig und allein von der Kasse seiner Veranstaltungen, die er fifty-fifty mit den Organisatoren teile.
Das habe den großen Vorteil, dass er niemanden etwas schuldig sei, sondern tun und lassen könne, was er wolle. Zum Beispiel, für die Einführung von freien Schulen plädieren, in denen Kinder selber bestimmen, was sie lernen. Oder dafür, den Begriff Leistung abzuschaffen und stattdessen die Leidenschaft, mit der man etwas tut, zum Maßstab zu machen. Und mehr Leidenschaft zu ermöglichen durch ein bedingungsloses Grundeinkommen. Wahrscheinlich sei das auch nicht teurer als all der staatliche Zwang zur Arbeit – und menschenfreundlicher noch dazu. „Dann müsste man auch nicht, wie die Bundeskanzlerin sagte, zwei Herzen haben, eines für die Leistungsschwachen und eines für die Leistungsträger. Sondern man könnte mit einem Herz über die Runden kommen.“ Dann guckt hinter dem Weiser-Mann-Gesicht wieder das schelmische Kind hervor, und Wladimir Kaminer fügt noch hinzu: „Ein Herz statt zwei finde ich auch irgendwie menschlicher.“
Text: Sigrun Matthiesen
Foto: Tanja Kernweiss
„Grundeinkommen für alle?“: Am 15. und 16. Oktober laden das Hamburger Netzwerk Grundeinkommen, das Kulturforum Zeitzeichen und Kampnagel zu Gesprächen über morgen ein.
Am Freitag, 15.10., geht es ab 15 Uhr (Kampnagel, k2, Jarrestr. 20), um Arbeit und Grundeinkommen. Es diskutieren neben anderen: Susanne Wiest (Petition für Grundeinkommen), Adrienne Göhler (Publizistin und Kuratorin) und Thomas Huth (Professor für Volkswirtschaftslehre). Eintritt: 8/5 Euro.
Am Samstag, 16.10., lautet das Thema Menschen und Grundein-kommen (Kampnagel, k6). Auf dem Podium sitzen ab 13 Uhr neben anderen: Götz W. Werner (Unternehmer), Hinz&Kunzt-Verkäufer Torsten Meiners, Wolfgang Strengmann-Kuhn (MdB Bündnis90/Die Grünen), Sascha Liebermann (Soziologe) und Wladimir Kaminer (Autor & DJ). Ab 22 Uhr legt Wladimir Kaminer seine „Russendisko“ auf. Eintritt: 12/7 Euro. Weitere Infos unter www.kampnagel.de