Schlechte Aussichten für Hamburger Familien in Not: Noch immer sind die Mitarbeiter in den Hamburger Jugendämtern völlig überlastet. Daran wird sich auch so schnell nichts ändern, befürchtet unser Kommentator Frank Keil.
(aus Hinz&Kunzt 206/April 2010)
Gut ein Jahr ist es her, dass die neun Monate alte Lara-Mia tot in Wilhelmsburg aufgefunden wurde. Wie kann es sein, dass ein Kleinkind, das mit seiner Familie in der Obhut des Jugendamtes war, verhungerte? Ausschüsse haben getagt, Berichte wurden verfasst, Gutachten eingeholt – geklärt hat das alles nichts. Dazu das ganze parteipolitische Hickhack: Die CDU sagt dies, die SPD das, die Grünen halten sich heraus. Nächstes Thema.
Und die Situation in den Hamburger Jugendämtern? Zwar wurden dort Stellen aufgestockt, doch der Krankenstand ist hoch, und 20 Stellen sind zur Zeit nicht besetzt. Wer kann, geht ins Umland, dort werden höhere Tarife bezahlt als bei der Stadt. Und die Arbeit wächst: 2009 gab es knapp 40 Prozent mehr Meldungen, dass ein Kind in Not sein könnte.
Auch die Zahl der Kinder, die aus Familien herausgenommen werden müssen, steigt. Zwischen 80 und 100 „Fälle“ betreut ein Mitarbeiter, Kinderschutzexperten empfehlen die Hälfte. Fälle? Das sind Kinder, das sind Familien, die mit dem Rücken zur Wand stehen.
Nun haben die Mitarbeiter der Jugendämter erneut einen Brandbrief an den Bürgermeister und Bezirksamtsleiter geschrieben: „Wir können die Arbeit, die wir machen sollen, nicht mehr leisten“, ist die Aussage.
Die Reaktionen darauf sind beschämend. Die meisten Bezirke schweigen. Der Bezirk Harburg lässt erklären: „Wir kommentieren diesen Brief nicht.“ Die Bezirksamtsleiterin aus Wandsbek lässt ausrichten, sie zolle den Jugendamtsmitarbeitern uneingeschränkte Anerkennung und empfinde großen Respekt für die Verantwortung, die sie täglich schultern. Allein Markus Schreiber vom Bezirk Mitte wird deutlich: „Es muss endlich festgestellt werden, wie viele Fälle ein ASD-Mitarbeiter guten Gewissens bearbeiten kann.“
Als Reaktion auf ihren Brandbrief wurden die Mitarbeiter des Jugendamtes von der Sozialbehörde zu einem gemeinsamen Gespräch eingeladen. Was sie dort zu hören bekamen, ist genauso hilflos wie erschütternd: ein besserer Tarif, damit sich gute Leute bewerben und auch bleiben? Soll doch die Gewerkschaft den Tarifvertrag kündigen und einfach einen besseren aushandeln!
Dabei könnte das die Sozialbehörde genauso gut. Die Arbeitsüberlastung durch zu viele „Fälle“? Ob dies so ist, das werde durch ein Personalbemessungssystem geprüft – aber erst im Jahr 2012. Und das heißt nicht, dass im Ergebnis mehr Stellen eingerichtet würden. Das sei Sache der Politik. Wie die handelt, ist ja bekannt.
Es sieht nicht gut aus für die Jugendämter – und für die Kinder mit ihren Familien dieser Stadt. Nächstes Thema.